Stefan Effenberg zeigt wieder einmal allen den Stinkefinger – im übertragenen Sinne zumindest. In der ARD-Show "Hart aber fair" ist der frühere Fußball-Profi der einzige Talk-Gast, der die WM 2022 in Katar verteidigt. Dabei bringt er seine diskussionserprobten Gegner aus Politik, Wirtschaft und Religion anfangs sogar in Erklärungsnot. Doch dann kommt das trotzige Kind in Effenberg zum Vorschein.

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Solche Situationen mochte Stefan Effenberg schon immer. Alle gegen einen, alle gegen ihn. Schon zu Fußball-Zeiten eckte Effenberg gerne an.

Bei Frank Plasbergs Talkrunde "Hart aber fair" in der ARD durfte der "Tiger" wieder seine Krallen ausfahren. Das Thema lautete: "Unsere wüsten Freunde – kaufen die Scheichs nach der WM auch unsere Moral?" Effenberg stand vier Männern aus Politik, Wirtschaft und Religion gegenüber. Alle vier waren gegen die WM 2022 in Katar. Nur Effenberg nicht.

"Hart aber fair" entwickelt sich von Anfang an in eine Richtung. Vier Männer schimpfen über alles, was mit dem Wüstenland zu tun hat. Bei fast jedem katarkritischen Kommentar blicken sie zu Effenberg, dem Gegner in der Runde. Sie bekommen dafür artig Beifall aus dem Publikum. Effenberg hält als Einziger dagegen und verteidigt das Land. Hier ist es wieder: "Effe" gegen alle. Er alleine gegen den Rest der Welt. "Schön ist es hier", kommentiert er die Situation grinsend. Applaus bekommt er von fast keinem. Nur vereinzelte Hände klatschen aneinander.

Stefan Effenberg: "Würde mir Sorgen um die WM 2018 in Russland machen"

Effenberg selbst spielte in der Saison 2003/2004 bei Al-Arabi in Katar. Sieben Monate lebte er dort und vertritt heute die Meinung: "Katar hat die Chance WM 2022 verdient". Auch andere Sportarten wie Tennis und Golf würden dort wichtige Turniere austragen. 2015 fand sogar die Handball-WM in Katar statt. Wie es letztlich zur Vergabe der Fußball-WM im Jahr 2010 kam, sei Effenberg nun egal: "Korruption hin oder her. Okay". Der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel grinst süffisant und entgegnet: "Nicht okay". Doch Effenberg lässt sich davon nicht beeindrucken: "Ich nehme jede Wette entgegen, dass die WM 2022 dort stattfindet." Thema beendet.

Effenbergs Gegner versuchen indes, die Verlegung der WM in den Winter ins Lächerliche zu ziehen. Der Grünenpolitiker Jürgen Tritten sagt, dass er beim Public Viewing im Winter nicht am Hintern frieren wolle und deswegen dagegen sei. Und der evangelische Theologe Wolfgang Huber echauffiert sich darüber, dass die WM zur unpassendsten Zeit überhaupt stattfindet: während der besinnlichen Adventszeit. Wie soll man sich nur auf Weihnachten und Plätzchen essen konzentrieren, wenn draußen eine Meute "Schland, Schland!" schreit? Unvorstellbar für Huber.

Und plötzlich grätscht der "Tiger" Effenberg dazwischen: "Ich würde mir lieber mehr Sorgen über die WM 2018 in Russland machen." Erstens würde diese schon in drei Jahren statt in sieben stattfinden und zweitens gebe es dort andere Dinge zu regeln wie die Ukraine-Krise und politische Morde an Oppositionellen. Bumm, zack. Der saß. Kurzes Schweigen in der Talkrunde. Dann hat SPD-Vize Schäfer-Gümbel die rettende Idee: "Das ist aber ein anderes Thema". Moderator Plasberg stimmt ihm zu und lenkt die Diskussion wieder nach Katar um. Dennoch: Effenbergs Aussage war ein Wirkungstreffer. Während sich die Talkgäste über frierende Hintern und fehlende Weihnachtsstimmung beklagten, haben sie weitaus wichtigere Probleme schlichtweg ignoriert.

Stefan Effenberg beharrt auf Pro-Katar-Einstellung

Die Talkrunde wendet sich wieder dem Thema Katar zu. Plasberg lässt einen Einspieler laufen. Wanderarbeiter aus Indien oder Nepal würden unter katastrophalen Arbeitsbedingungen in Katar beispielweise beim Bau von WM-Stadien schuften. Schon 1.200 Menschen sollen dabei gestorben sein. "Wenn ich das so sehe, ist das natürlich bitter", sagt Effenberg. Er habe sich in den sieben Monaten "frei bewegen" können und das Land erkundet, habe dabei aber eine "andere Seite des Landes" kennengelernt.

So weit, so gut. Doch von nun an läuft Effenberg immer mehr ins Abseits. Es ist gut möglich, dass er wirklich nichts Derartiges in Katar erlebt hat. Doch in der kurzen Zeit von sieben Monaten könnten ihm diese Eindrücke auch schlichtweg entgangen sein. Plasberg weist ihn zu Recht daraufhin: "Amnesty und die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen werden sich das doch nicht ausgedacht haben." Effenberg beharrt aber auf seiner Pro-Katar-Einstellung. Das wäre auch weiter nicht verwerflich, wenn er einsehen würde, dass er einfach nicht alles sehen konnte.

Als der Theologe Huber erneut Katar kritisiert, entgegnet ihm Effenberg ein wenig aufbrausend: "Waren sie schon mal drüben?" Huber verneint, "Effe" dreht sich demonstrativ von ihm weg und würdigt ihn keines Blickes. Eine Basta-Mentalität. Wie ein Kleinkind, das trotzig seinen Willen durchsetzen will – und ihn seiner Meinung auch durchgesetzt hat.

Effenberg hätte als moralischer Sieger aus der Diskussion herausgehen können. Je länger die Streitgespräche aber dauerten, desto weniger hatte er den abgebrühten Gegnern entgegenzusetzen. Bestes Beispiel ist, als Trittin völlig vom Thema abschweift und plötzlich vom Transrapid in Shanghai erzählt. Effenbergs Kommentar dazu: "Reden wir nochmal über Katar oder kann ich gehen?" Klar ist dieser Einwurf auflockernd. Ein kurzer Haha-Moment tut jeder Talkrunde gut. Doch damit hat sich Effenberg keinen Gefallen getan. SPD-Vize Schäfer-Gümbel hatte es ihm doch vorgemacht: "Das ist ein anderes Thema", sagte er wenige Minuten vorher, als Effenberg über die WM in Russland sprach. Doch der hat sich für die Variante trotziges Kind entschieden – und damit seinen zweifelsohne imposanten Start zunichte gemacht.

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