Das "Sommerhaus der Stars" macht auch in diesem Jahr wieder Schlagzeilen mit Streitereien, Drohungen und Eskalationen. Zwei Experten erklären im Gespräch mit unserer Redaktion die Ursachen und fordern Verbesserungen.

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Beleidigungen, Drohungen, Geschrei, Tränen und natürlich Bisons auf einer Weide. Kenner von Reality-TV wissen es bereits, alle anderen werden in den kommenden Wochen mutmaßlich davon lesen: Das "Sommerhaus der Stars" bei RTL ist zurück.

Bereits die zweite Folge der diesjährigen Staffel, die erneut in Bocholt, in einem spartanisch eingerichteten und spärlich komfortablen Haus über die Bühne geht, hat für eine Menge Ärger gesorgt. Das Format ist dafür bekannt, regelmäßig die Grenzen des gewöhnlichen Verhaltens zu sprengen und so dürften die Streitereien und Ausraster rund um Reality-Sternchen Walentina Doronina und einiger ihrer Reality-TV-erprobten Mitstreiter wohl nur ein kleiner Vorgeschmack auf die kommenden Folgen sein.

Paartherapeut: Sommerhaus-Teilnahme "ziemlich verrückt"

Gleichzeitig werden wieder Millionen Menschen die Sendung verfolgen. "Man kann sich am Leid anderer oder deren Darstellung von sich selbst ergötzen. Früher hat man Gladiatorenkämpfe geschaut, heute sind es eben Reality-Shows", erklärt die Psychologin Anke Glaßmeyer im Gespräch mit unserer Redaktion die Faszination hinter der Reality-Show. Aber nach den Skandalen mancher Teilnehmer der vergangenen Jahre stellt sich doch die Frage, warum es für viele mehr oder weniger bekannte Personen noch immer ein Ziel ist, an der Show teilzunehmen.

"Man will wohl die Aufmerksamkeit mitnehmen. Als funktionierendes Paar dort reinzugehen ist ziemlich verrückt", sagt Paartherapeut Christian Hemschemeier im Gespräch mit unserer Redaktion zu den Beweggründen der Teilnehmenden. Zusätzlich dürfte natürlich auch noch ein reizvolles finanzielles Zubrot als Lockmittel dienen. Vor Ort präsentieren sich die Teilnehmenden dann von ihrer besten Seite - oder versuchen es zumindest.

Doch schon kleinste Meinungsverschiedenheiten werden im Sommerhaus schnell zum großen Konflikt. "Natürlich werden Dinge dort auch ein Stück weit mehr inszeniert und dramatisiert, um den Zuschauer zu unterhalten. Außerdem gibt es keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen, was zusätzlich für Druck und Stress sorgt. Dies wird noch gefördert durch die Tatsache, dass die Protagonisten auf engem Raum zusammen sind", sagt Glaßmeyer. Zudem entstehen dort "besondere Dynamiken, da man sich nicht mit seinem unmittelbaren Umfeld austauschen kann".

"RTL geht hier zu weit"

Und doch sind es in diesem Jahr insbesondere die Reality-Stars und Influencer, die für Aufsehen und Ärger sorgen. Allen voran bedient Walentina Doronina hier die komplette Klaviatur der Emotionen. "Sie hat verstanden, dass die Aufmerksamkeit und die Followerzahlen zunehmen, je mehr Drama und Zoff es mit ihr gibt. Sie sagt sich also, warum soll ich nett sein, wenn mein Verhalten so gut funktioniert", erklärt Hemschemeier.

Sie wende dabei "Mafia-Methoden" an, um ihre Gegner, aber auch ihren Partner unter Druck zu setzen. "Ich finde das ganz schlimm und sage auch: RTL geht hier zu weit", betont Hemschemeier und meint damit vor allem den womöglich fehlenden Schutz der anderen Teilnehmenden vor Doroninas Verhalten.

Doronina steht dabei als eines der Extrembeispiele für die Problematik von Berühmtheit durch ein Dasein als Influencer in den sozialen Medien. "Der große Vorteil dort ist, dass es direkte Bestätigung gibt, und das findet unser Gehirn ziemlich toll. Es ist wenig Platz für Reflexion, denn auch das eigene Image soll aufrechterhalten werden. Zudem sollen die eigenen 'Fans' nicht enttäuscht werden", sagt Glaßmeyer.

Selbstreflexion im Sommerhaus wäre "Angriff auf die Identität"

Infolgedessen ist seit geraumer Zeit zu beobachten, dass eine gewisse Selbstreflexion bezüglich des eigenen Verhaltens im Format nicht stattfindet. Stattdessen werden munter weiter Giftpfeile hin- und hergeschossen. "Es wäre ein Angriff auf die Identität, wenn man sich auf einmal hinterfragen würde. Es ist daher ein Abwehrmechanismus, diese unangenehmen Gefühle und Gedanken nicht zuzulassen – quasi ein Selbstschutz, um Scham und Ähnlichem aus dem Weg zu gehen", sagt Psychologin Glaßmeyer zu diesem oft gesehenen Verhaltensmuster innerhalb des Sommerhauses. Sie betont aber auch, dass oftmals nicht genug Zeit und Raum sei, um sich und sein Verhalten zu reflektieren.

"Außerdem muss es eine Aufarbeitung der Geschehnisse geben, um auch den Zuschauenden klarzumachen, dass ein solches Verhalten, wie es teilweise im Sommerhaus passiert, nicht normal ist."

Christian Hemschemeier, Psychologe

Doch wenn Zeit und Raum dafür tatsächlich fehlen, bleibt die Frage nach der Verantwortung von Sender und Produktion im Rahmen des Formats bestehen. Aus vergangenen Staffeln ist bekannt, dass den Teilnehmenden der Zugang zu psychologischer Betreuung möglich war. Hemschemeier fordert: "Man muss einen Mittelweg finden, damit es nicht ständig zu Eskalationen kommt, wie es im Sommerhaus der Fall ist."

Und weiter: "Außerdem muss es eine Aufarbeitung der Geschehnisse geben, um auch den Zuschauenden klarzumachen, dass ein solches Verhalten, wie es teilweise im Sommerhaus passiert, nicht normal ist. Das darf nicht einfach so stehen bleiben."

Psychotherapeutin fordert "klaren Verhaltenskodex"

Glaßmeyer richtet den Blick zudem auf das Zusammenstellen des Casts einer Staffel. "Die Produzenten haben eine erhebliche Verantwortung, die schon bei der Auswahl der Teilnehmenden anfängt. Dort müsste man schauen, ob die Kandidaten überhaupt in der psychischen Verfassung sind, an einer solchen Show teilzunehmen oder gab es in der Vergangenheit bereits Auffälligkeiten." Zudem bräuchte es aus ihrer Sicht "einen klaren Verhaltenskodex" im Vorfeld der Show, um die Teilnehmenden schützen zu können.

Zu den Personen:

  • Anke Glaßmeyer arbeitet als Psychotherapeutin und klärt zudem auf Instagram über psychische Erkrankungen auf. Sie möchte psychische Erkrankungen entstigmatisieren und den Betroffenen Mut und Hoffnung geben.
  • Christian Hemschemeier ist Diplom-Psychologe und widmet sich vor allem der Paar- und Gruppentherapie. Dazu hat er bereits mehrere Bücher verfasst und schreibt Kolumnen in verschiedenen Zeitungen.
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