Es hätte nur einer winzigen Gesetzesänderung bedurft, dann wäre die soeben in die Fremdscham-Archive der Privatfernseh-Archive abgeschobenen neunten Staffel der RTL-True-Crime-Doku zum Thema Scheidungs-Anbahnung die letzte gewesen, die sich der Kölner D-Promi-Rekonvaleszentensender wirtschaftlich hätte erlauben können.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Müsste man nämlich nur einen einzigen Euro für jedes Schimpfwort zahlen, das aufgrund von andernfalls umgehend eingeleiteten Ermittlungen zu signifikanten Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz weggebeept wurde, wäre die Produktion des Hirnzellen-vernichtenden Premium-Produktes "Sommerhaus der Stars" teurer als die Aktienmehrheit bei Tesla geworden - und somit selbst für Seichtunterhaltungsriese RTL unfinanzierbar.

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Das "Sommerhaus der Stars", das branchenintern gerne das "Guantanamo für Karrierewracks" genannt wird, hat übrigens offiziell den Titelzusatz "Kampf der Promipaare". Und das ist auch notwendig, um wenigstens unerfahrenen Zufalls-Zappern subtil suggerieren zu können, man dürfe im Rahmen der Ausstrahlung echte Celebrities erwarten. Denn am Ende läuft es bei den starpotenzialhungrigen Fans Jahr für Jahr auf dieselbe Enttäuschung hinaus: Man erwartet Stars und ein Sommerhaus - und man bekommt Sam Dylan und eine Bruchbude in der westfälischen Forstprovinz. Das ist in etwa so, wie auf Tinder ein Date mit Toni Garrn klarzumachen, und dann kommt Robert Geiss.

Nachdem sich die "Sommerhaus der Stars"-Community nun also auch dieses Jahr durch 10 pöbelintensive Zoten-Marathons der Verbalinjurie gequält hatten, kamen bereits Tage vor dem traditionellen großen Wiedersehen unter der Aufsicht von Promi-Zirkusdirektorin Frauke Ludowig Gerüchte auf, die postsommerhäusliche Reunion der Proll-Brigade aus der D-Promi-Pärchen-WG hätte zu bürgerkriegsähnlichen Frontalausfällen geführt. Sam Dylan, immerhin 50 Prozent des diesjährigen Gewinner-Duos, gabt beispielsweise zu Boulevard-Protokoll: "Frauke Ludowig war plötzlich weg, die hat wahrscheinlich gedacht, diese irren Psychos!"

Promi-Legebatterie der Ahnungslosigkeit

Die Vorfreude ist also entsprechend groß, als der formatresümierende Gruß aus der Diffamierungsküche am Dienstagabend endlich über die Bildschirme flimmert. Die wird auch nicht durch das krankheitsbedingte Fehlen der Beinverlängerungs-Artistin Theresia Fischer getrübt. Vielleicht, weil der Durchschnitts-IQ der artig auf einer langen Couch der Malediktions-Doktoranden aufgereihten "Sommerhaus 2024"-Kandidaten dadurch um etwa 78 Prozent steigt. Beste Voraussetzungen also für ein ereignisreiches Wiedersehen in der Ludowigschen Promi-Legebatterie der Ahnungslosigkeit.

Um nicht versehentlich eine konsensfähige Versöhnungssituation aufkeimen zu lassen, startet Niveau-Exorzistin Frauke Ludowig direkt mit der Anmoderation der Skandal-Highlights des Hassprediger-Kongresses im Sommerhaus: "Das Messerdrama zwischen Sam und Emma. Alessias Ausraster. Das Reizthema vegan. Die Allianz-Turbulenzen." Arschgeigenalarm ist also vorprogrammiert im beschaulichen Kölner Westen, wo sich alle Teilnehmer des Karriere-Havarie-Clubs Bocholt zum verbalen Endgame zusammenfinden. Schon während des Eingangsmonologs von Konfrontations-Trüffelschwein Ludowig fährt die Kamera über reihenweise Gesichter, denen man recht zweifelsfrei ansieht: Die sind nur hier, weil sie sich vertraglich dazu haben knebeln lassen und bei einem Wegbleiben auf signifikante Teile ihrer Gage verzichten müssten.

Anfangs wird aber erstmal durchdekliniert, wer die unangenehmsten Kreativ-Ideen mit in die Talkrunde der Gottlosigkeit gebracht hat. Rafi Rachek präsentiert ein zerknautschtes Taschentuch, das er Emma Fernlund mitgebracht hat "weil sie gar nicht geweint hat". Für das Logikpotenzial von Rachek im Prinzip ein No-Brainer, auch wenn der Rest der Nation sich fragt, ob er für Tessa Bergmeier auch ein Kilo Schweinenacken dabeihat, weil sie kein Fleisch isst und für Raúl Richter einen Feuerlöscher, weil er so gut Klavier spielt. Rachek hat aber Glück, denn sein kognitiver Systemausfall wird umgehend von weiteren Mitbringseln überschattet. "Temptation Island"-Vordenkerin Gloria Glumac sieht nämlich ihre Chance und knallt unmittelbar im Anschluss zwei hart gekochte Eier auf den hübsch dekorierten Couchtisch, die "Umut sich abholen kann, weil Emma ihm seine ja schon lange abgenommen hat".

Tessa flieht heulend aus dem Studio

Nach knapp sieben Minuten entgleitet die Wiedersehensparty bereits zum ersten Mal komplett, Gloria und Rafi kreischen sich die letzten Mikroprozent Seriosität aus dem Leib und Tessa flieht heulend aus dem Studio. Stefan Kleiser, der verbliebene Theresia Fischer Statthalter, den Rafi als "Kinderf****r" bezeichnet hatte, analysiert das Krawall-Opening mit den Worten: "Ich hätte erwartet, Sam und Rafi hätten noch eine Grundmoral, haben sie aber nicht, weil sie nicht in der Lage sind, selbstkritisch zu sein!"

Die folgenden 40 Minuten bestehen anschließend aus einem Potpourri der Best-Of-Momente einer Fettnäpfchen-Wettspringen-Staffel, die als zotenintensivste Beleidigungsorgie in die TV-Geschichtsbücher eingehen wird. Um zu demonstrieren, dass sie die Monate, die seit dem Dreh vergangen sind, nicht spürbar für offenbar maximal zweitrangige Dinge wie Selbstreflektion genutzt haben, spielen die Protagonisten des Furor-Festivals die schönsten Szenen des Sommerhauses live im Studio nochmals nach. Alle gegen alle, jeder schreit, keiner hört zu - und mittendrin Frauke Ludowig, die sich vermutlich mehr und mehr wünscht, bei der Berufswahl ein wenig umsichtiger agiert zu haben.

In schnellem Ritt geht es durch Themen wie veganer Futterneid und der Frage, ob Jäger Mörder sind. Sarah Kerns Mitbringsel Tobias Pankow kündigt eine Klage gegen Tessa Bergmeier an, die ihn im Campingstuhl-Idyll des Sommerhaus-Vorgartens als "Mörder" bezeichnet hatte, weil er Hobby-Jäger ist. Die Art und Weise, wie Tessa dem pflanzlichen Ernährungsprinzip zum Triumph verhelfen soll, bleibt auch abseits des Sommerhauses engagiert, aber mitunter fehlgeleitet. Daraus direkt einen Rechtsstreit abzuleiten, wirkt auch nicht unbedingt turbosouverän.

Das ganze Selbstzerstörungs-Fiasko wird selbstverständlich auch von einigen sprachlichen Gourmetexkursen garniert. "Playboy"-Absolventin und Raúl Richter Beiwerk Vanessa Schmitt beteuert gegenüber Emma Fernlund und Umut Tekin beispielsweise, sie und ihr GZSZ-Adonis hätten "nie über euch verurteilt!" Das glaube ich persönlich auch nicht, allerdings habe ich da auch einen Wissensvorsprung, denn ich habe gehört, Vanessas Lieblingsfilm ist "Die Geurteilten".

20 Prozent der Paare schon wieder getrennt

Um auch den Mythos aufrecht zu erhalten, das "Sommerhaus der Stars" wäre ein Beziehungs-Grab für jedes Stabilitätsniveau bei den von RTL recht übermütig als "Promipaare" deklarierten Teilnehmer. Von den 10 involvierten Liebesduetten haben sich bis zum Zeitpunkt des Wiedersehens mindestens Jakob und Tessa sowie Sarah und Tobias getrennt. Das sind zwar immerhin 20 Prozent des Gesamt-Ensembles. Mit der Quote liegt RTL aber dennoch weit unter der statistischen Trennungsrate im Land der Dichter und Denker und Trash-TV-Teilnehmer, die bei rund 38 Prozent liegt.

Das jedenfalls ist inzwischen die Scheidungsrate in Deutschland, die vor einigen Jahren sogar noch höher lag. Das Trennungsthema sorgt auch beim zwischenzeitlich von Frauke Ludowig mit der Vokabel "Sendepause" in den zwischenzeitlichen Empörungsruhestand versetzten Gewinner-Couples Sam/Rafi für ein Echauffierungs-Comeback. Die immer ein wenig wie die Discounter-Version von Siegfried und Roy wirkenden Sommerhaus-Triumphatoren werden allerdings von Stefan Kleiser umgehend wieder auf die Ersatzbank rasiert: "Mal abgesehen von der Sitzbank der schlechten Erziehung, habe ich den Jakob als wunderbar entspannt und feingeistig kennen gelernt."

Im Schlussakt der Weihnachtsfeier des Blamierclubs Ostwestfalen geht es dann nahtlos weiter mit der Hauptfehde des Abends: Ein bemüht ruhiger Stefan Kleiser gegen die Verbalvulkane Sam und Rafi. Stefan unterstellt zunächst: "Alles, was sie sagen, ist kalkuliert, man weiß nie, ob es wahr ist!" Rafi kontert mit "Ich dachte eigentlich, ein anderes Paar wäre das Intrigenpaar gewesen, aber der größte Intrigant ist Mister Dottore Amore hier!"

Das knapp 20-minütigen Argumentationsdilemma, in dem Sam und Rafi versuchen, der nicht anwesenden Theresia Fischer ihren Freund Stefan Kleiser auszureden, während Gloria als Theresias offenbar ganz neue BFF von Stefan als Mann an Theresias Seite schwärmt, möchte ich an dieser Stelle aussparen. Während bereits der gesamte Abend nicht zwangsläufig als Kleinod der geistigen Sternstunden zu werten ist, verkommt das als Therapie- und Analyse-Nachlese geplante Klassentreffen des Sommerhaus-Jahrgangs von 2024 zu einer Auflistung von vermeintlich justiziablen Fehltritten während der gemeinsamen Glampingwochen auf der Waldlichtung. Wenn ich in der Hektik alles richtig mitgeschrieben habe, verklagt Tobias Pankow jetzt Tessa Bergmeier, Sam Dylan stachelt Rafi Rachek an, Stefan Kleiser zu verklagen, der umgekehrt bereits zu Protokoll gegeben hat, er würde eine einstweilige Verfügung gegen Rafi erwirken lassen.

Klar ist damit nur: In der RTL-Chefetage knallen die Korken und die Unterschrift unter den Produktionsvertrag für die 2025er Staffel "Sommerhaus der Stars" ist nur noch Formsache. Und das Vermächtnis der 2024er Edition der betreuten Wohn-Doku für Karriereflüchtlinge auf Asylsuche beim Sozialsender RTL wird lauten, dass es mehr im Sommerhaus verursachte Rechtsstreitigkeiten gibt als die FDP Wähler hat. Es bleibt also nach 10 langen Wochen und einem noch längeren Endspiel-Debakel lediglich die Freude auf ein Trash-TV freies Restjahr und die Erkenntnis, dass sich ausgerechnet das emotionsgeladene Tumultpaar Emma und Umut auf der Couch der Trostlosigkeit als am meisten gereift und beachtlich ruhig präsentieren kann. Ab jetzt nehme ich Wetten an, welche Paare am Sommerhaus 2025 teilnehmen werden. Irgendwelche Ideen? Wünsche? Hoffnungen? Ich bin gespannt. Bis bald.

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