259 Tage nach seinem schweren Sturz am Kulm verkündet Thomas Morgenstern seinen Rückzug aus dem aktiven Sport. Die ServusTV-Dokumentation "Sommer der Entscheidung" zeichnet in eindrucksvollen Bildern den Weg bis zu dieser Entscheidung nach.
Von der Intensivstation nach Sotschi und zurück: Thomas Morgenstern hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Am 26. September erklärte er seinen Rücktritt vom Skisprungsport. "Es fehlen die letzten zehn Prozent, die es zum Siegen braucht", sagte er damals. Er habe monatelang daran gearbeitet, fit zu werden, aber: "Wenn ich etwas mache, dann will ich es perfekt machen. Und das ist in der Art nicht mehr möglich."
Regisseur Mario Kreuzer zeichnet in einer berührenden Dokumentation den Weg bis zu dieser Entscheidung nach. Schon zu Beginn wird deutlich: Einfach war hier gar nichts. Die Kamera begleitet Morgenstern, wie er sich auf den ersten Sprung vorbereitet - fünf Monate nach dem Sturz. Die Anspannung ist ihm ins Gesicht geschrieben, sein ganzer Körper steht unter Strom. Und aus dem Off kommt seine eigene Stimme.
"So viel Angst bei der Ausübung meines Sports hab ich in den ganzen zehn Jahren nicht gehabt wie jetzt, nach den Erlebnissen." Das ist der erste Satz, den der Zuschauer hört. Und der verdeutlicht: Hier sitzt ein Getriebener. Einer, der gern will, aber nicht mehr weiß, ob er noch kann. "Die Angst wird größer. Bin ich überhaupt noch in der Lage?", fragt der Thomas Morgenstern aus dem Off. Und der in der Kabine sitzt eingesunken da. Kraftlos. Mutlos. Perspektivlos.
Es fehlt die Sicherheit
"Ich wollte es lang nicht wahrhaben, dass ich damit nicht mehr zurechtkomme", sagt er. "Weil ich einfach der Letzte bin, der an sich selbst scheitern möchte." Aber die Sicherheit ist weg. Morgensterns Begleiter kommen zu Wort: sein Arzt, sein Trainer. Mit ÖSV-Cheftrainer Heinz Kuttin wanderte Morgenstern in den Kalkalpen, um sich Gedanken zu machen. Er wolle nicht mehr "an jeder Ecke diskutieren müssen, was jetzt für mich das Beste wäre".
Auch über seine Stürze spricht Morgenstern. Darüber, dass er nicht weiß, was an diesem verhängnisvollen 10. Jänner zu seinem vierten schweren Sturz geführt hat. Es ging kein Wind wie 2003 in Kuusamo, es war kein Materialfehler wie 2009 in Kuopio, und es passierte auch nicht bei der Landung wie Mitte Dezember 2013 in Titisee-Neustadt. "Ich weiß, dass ich es bin, der da runtergerollt ist wie eine Puppe", sagt er. "Und dann sind da die Bilder in den Zeitungen, an denen du eh nicht vorbeikommst."
In "Sommer der Entscheidung" nimmt Filmemacher Kreuzer die Zuschauer mit auf eine Reise: die letzten 259 Tage von Thomas Morgensterns Karriere - von den ersten Sprüngen bis hin zur Entscheidung für das Karriereende. "Es gab von uns keine konkrete Vorgabe an Thomas, wir waren mit der Kamera eher stiller Begleiter", sagt der Regisseur. "Die Dokumentation zeigt Thomas von einer Seite, die es im TV bisher nicht zu sehen gab. Er war der Erste und Letzte, der den Film gesehen hat. Ohne sein OK hätten wir nichts hinausgegeben."
Es ist ein ruhiges und eindrückliches Porträt geworden. Ähnlich wie Erwin Wagenhöfer lässt Kreuzer Bilder und Protagonisten für sich sprechen, untermalt seinen Film nur stellenweise mit Musik. Zurück bleibt ein Zuschauer mit Gänsehaut und einem flauen Gefühl in der Magengrube. Und Wehmut, wenn Morgenstern Dinge sagt wie: "Es sind mehr schwierige Tage als schöne Tage." Eine Pause macht, überlegt. "Ich möchte aber auch nicht tauschen."
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