Am 5. September jährt sich das Olympia-Attentat zum 50. Mal. Palästinensische Terroristen entführten und ermordeten elf Sportler und Trainer aus Israel. In der Sky-Dokumentation "1972 - Münchens Schwarzer September" kommen bislang noch nicht gehörte Zeitzeugen und Angehörige der Opfer zu Wort.
Während der European Championships im August war die Polizei in München sehr präsent. Polizistinnen und Polizisten liefen und fuhren durch die Straßen, andere patrouillierten auf Pferden oder E-Bikes durch die Landeshauptstadt. Immer wieder waren auch Beamte mit schusssicheren Westen zu sehen, eine Spezialeinheit – an schwarzen Overalls und Baretts zu erkennen – half ebenfalls, die Wettkampfstätten zu sichern.
Die klare Botschaft dahinter: Sollte es eine Bedrohung oder einen Angriff auf die Europameisterschaften, die Sportlerinnen und Sportler oder das Publikum geben, wäre die Polizei sofort in der Lage, zu reagieren.
Vor 50 Jahren, bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München, war das Konzept ein völlig anderes. Der Schatten des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus lag auf der noch jungen Bundesrepublik, München wollte sich möglichst bunt und heiter präsentieren, um eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung in die Welt zu senden.
Zurückhaltung bei der Polizei während der Olympischen Spiele 1972
Dazu gehörte auch, möglichst wenig militärisch aufzutreten. Polizisten und Grenzschützer übernahmen in zivilen, bunten Uniformen und unbewaffnet die Eingangskontrollen. Die Polizisten in München trugen Hemd und Krawatte und traten sehr zurückhaltend auf. "Wir hatten keine schwere Bewaffnung, das hat man nicht offen zeigen sollen", erinnert sich der ehemalige Polizist Guido Schlosser in der neuen Sky-Dokumentation "1972 - Münchens Schwarzer September" zurück und berichtet von "der wirklich tollen Atmosphäre damals".
Am 5. September 1972 änderte sich diese friedliche Atmosphäre schlagartig, als acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" elf israelische Sportler und Trainer im Olympischen Dorf als Geiseln nahmen. Schlosser, damals 21 Jahre alt und frisch aus der Polizeiausbildung, war einer der Freiwilligen, die sich auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck den Terroristen ohne entsprechendes Training und Bewaffnung entgegenstellen sollten.
Als Crewmitglieder verkleidet, sollten sie die Terroristen an Bord eines bereitgestellten Flugzeugs ausschalten. Angesichts der Aussichtslosigkeit des Unterfangens entschieden sich die Polizisten aber kurzfristig gegen die Durchführung der Mission und verließen das Flugzeug. Im Anschluss kam es zu einem Feuergefecht auf dem Flugplatz, bei dem alle israelischen Geiseln, ein Polizist und fünf Terroristen starben.
Später schob unter anderem der ehemalige Bayerische Innenminister Bruno Merk die Schuld für die misslungene Geiselbefreiung dem Freiwilligenkommando zu, die jungen Polizisten wurden zu Bauernopfern eines katastrophal schlecht geplanten Einsatzes.
Lesen Sie auch: "22. Juli – Die Schüsse von München" startet auf Sky: Protokoll einer Wahnsinnstat
Im Film ist zu sehen, wie Schlosser mit seiner Tochter, einer Journalistin, nach Tel Aviv reist, um sich mit Ankie und Anouk Spitzer, Witwe und Tochter des ermordeten Fechttrainers André Spitzer zu treffen. Die Israel-Reise des ehemaligen Polizisten dient als emotionale Klammer in der 93 Minuten langen Dokumentation, die ab dem 4. September auf "Sky Dokumentaries" und ab dem 2. September auf Abruf auf "Sky Go" und "WOW" zu sehen ist.
"1972 - Münchens Schwarzer September" beleuchtet dabei das Olympia-Attentat aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Die Filmemacher um Regisseur Christian Stiefenhofer und Co-Regisseur Mohamad Abou Falah sprachen mit mehr als 20 teilweise noch nie gehörten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Opferangehörigen und Experten.
Die Gespräche waren so ergiebig, dass der Film ohne eine kommentierende Erzählerstimme auskommt. Die Schilderungen und Einschätzungen werden mit den originalen Bildern von damals und nachgestellten Szenen vermischt, die sich auf dem Niveau aktueller Serienproduktionen bewegen.
Auch die palästinensische Seite kommt zu Wort
Interessant ist dabei, dass neben der deutschen und israelischen auch die palästinensische Seite zu Wort kommt. Selbst Jamal al Gashey, einer der überlebenden Attentäter, der seit vielen Jahren in einem arabischen Land im Untergrund lebt, gibt ein Interview. Das Gesagte einzuordnen, überlässt der Film den Zuschauerinnen und Zuschauern.
Vor allem protokolliert der Film aber die Überforderung und das Versagen der deutschen Behörden und der Führung der bayerischen Polizei. Zögerlich agierten die Verantwortlichen, Zuständigkeiten waren nicht geklärt, entscheidende Informationen wurden nicht weitergegeben.
Spezialkräfte wie ausgebildete Scharfschützen gab es nicht, der Einsatz einer israelischen Anti-Terror-Einheit wurde abgelehnt. Dass am Ende eine Gruppe junger, freiwilliger Polizisten die Terroristen ausschalten sollte, wirkt aus heutiger Sicht unglaublich.
Angehörige der Opfer kämpfen um Entschädigung
"Ein paar Tage später ist der Polizeipräsident persönlich gekommen, hat uns so richtig zur Sau gemacht und hat gesagt, dass das eigentlich eine Befehlsverweigerung war, und das glaubst du dann ja selber: 'Warum haben wir nicht unserer Führung vertraut? Bin ich jetzt mitschuldig am Tod von den Israelis? Hätte man doch irgendetwas machen können?'", fragt Guido Schlosser.
Getrieben von diesen Selbstzweifeln und Vorwürfen reist Schlosser nach Tel Aviv zu den Spitzers. Das Gespräch dort gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt. Es kommt zu schweren Vorwürfen, aber auch zu gegenseitigem Verständnis und Versöhnung auf einer persönlichen Ebene.
Mit der Bundesregierung konnten sich die Opferangehörigen nach langem Streit endlich auf eine angemessene Entschädigung einigen. Völlig aufgearbeitet ist das Olympia-Attentat von 1972 trotzdem auch 50 Jahre später nicht. Die Folgen belasten die betroffenen und beteiligten Menschen schwer. Das belegt die Sky-Doku "1972 - Münchens Schwarzer September" auf eindrucksvolle Art und Weise.
Verwendete Quellen:
- Vorabsichtung der Sky-Dokumentation "1972 - Münchens Schwarzer September"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.