Bonjour Tristesse: Beim Louisan-Abend von "Sing meinen Song" regierte gestern Abend die große Melancholie. Beim Tauschkonzert unterm Himmel Südafrikas zeigte sich, dass selbst Größen wie Nena der kleinen Sängerin in deren Metier nicht das Wasser reichen können.

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"Sie ist eine riesengroße Künstlerin." Mit diesem Satz fasst Sascha von The BossHoss den gestrigen Abend bei "Sing meinen Song" relativ gut zusammen. Es ist natürlich klar, dass er damit nicht die Körpergröße der 1,52 Meter großen Sängerin meint, sondern ihre Liedermacher- und Gesangsqualitäten.

2004 war Annett Louisan plötzlich da, schoss mit ihrer ersten Single "Das Spiel" und dem Album "Bohème" gleich in höchste Chart-Regionen. Top Ten, Gold, Platin, Echo, Goldene Stimmgabel, Tournee – und all das gleich am Karriere-Anfang.

Annett Louisan: "Keine Musik zum Bügeln"

Mit der Single "Das Spiel" kam aber nicht nur der Erfolg, sondern auch die passende Schublade. Kaum ein Satz über Louisan, in dem nicht auch noch das Wort "Lolita" vorkam. Ein Image, mit dem die Sängerin gerade am Anfang ihrer Karriere allerdings auch bewusst spielte, wie sie selbst sagt. Der Erfolg ist geblieben – alle ihre inzwischen sechs Alben haben mindestens Rang drei in den deutschen Charts erreicht – auch wenn es inzwischen medial deutlich ruhiger um die Sängerin geworden ist.

Geblieben ist allerdings auch das Image der Frau mit dem Kindchenschema. Klein, Kulleraugen, Chanson: Wer gerne an der Oberfläche bleibt und es mit dem Zuhören nicht so hat, der wird gar nicht merken, was für eine Künstlerin er da vor sich hat: traurig-schöne Melancholie und exzellente Schunkel-Nummern, aber alles stets mit Esprit, Wortwitz und einem betörenden Gefühl für Sprache. "Riesengroß" eben. Oder wie Annett Louisan es gestern Abend selbst beschrieb: "Wir wollen ja auch Musik machen, die beim Bügeln stört."

Dass diese Riesengröße leider auch ihre Schattenseiten hat, konnte man am gestrigen Abend bei "Sing meinen Song" sehen. Denn auch ein noch so kleiner Mensch kann riesengroße Fußspuren hinterlassen. Und wenn man versucht, diesen Fußspuren zu folgen, dann besteht eben die Gefahr, dass man umkippt. Und so ergeht es leider den meisten Künstlern am Louisan-Abend in Südafrika.

Niedecken, Naidoo und The BossHoss versuchen es mit Rock

Wolfgang Niedecken versucht sich als Erster an einem Louisan-Song. Aus "Wenn man sich nicht mehr liebt" macht er eine typische BAP-Nummer mit E-Gitarren, die klingt wie die Filmmusik eines deutschen Achtziger-Jahre-Dramas, in dem der Protagonist bei Regenwetter in irgendeiner Kölner Kneipe seinen Frust ersäuft. Die Idee sei ihm bei der Zugfahrt nach Mannheim gekommen, erzählt Niedecken. Beim Lesen eines Neil-Young-Sonderheftes habe er gewusst: "Das darfst du nicht so zart machen." Hat er nicht, richtig schön aber eben auch nicht.

Eine ähnliche Idee hatte Xavier Naidoo, als er sich "Das Gefühl" ausgesucht hatte. Naidoo hat das Lied "ein bisschen aufgedonnert, ein bisschen auf die Zwölf". Am Ende klingt das gute Stück dann aber leider so, als ob es jemand einfach mal anders machen wollte - mit dem Erfolg, dass es nicht auf die Zwölf geht, sondern höchstens auf die Viertelnachzehn. Musik ist eben dann am schönsten, wenn nicht nur der Musiker Spaß hat, sondern auch der Zuhörer.

Nena, Samy Deluxe und Seven verzichten gleich auf solche Mätzchen und halten ihre Cover-Songs eher in gedeckten Tönen. Hier mal ein rasselndes Schlagzeug, da mal was Elektronisches, das war's. Nur die Jungs von The BossHoss können nicht aus ihren Cowboystiefeln und entführen Louisans "Das Spiel" mit Bläsern, E-Gitarre und Blues-Harp in die texanische Wüste. Muss man nicht, aber kann man machen.

Das Spiel ist aus

"Ich weiß, was für ein harter Brocken 'Das Spiel' ist, weil ich es schon so oft live gespielt habe. Es ist total schwierig, dass ich daraus ein anderes Lied mache. Ich kann es nicht soulig machen oder als Punkversion herausschreien", erklärt Louisan unbewusst das Problem, mit dem alle Lieder am gestrigen Abend zu kämpfen haben: Louisans Einzigartigkeit.

Die Sängerin hat mit deutschem Chanson ihre Nische gefunden und der Kreis der Kollegen ist dort eher überschaubar. Wenn man dann noch die Gabe hat, eine süße Stimme mit raffinierten und klugen Texten zu Liedern zu verbinden, den Zuhörer entweder mit tiefster Melancholie zu überziehen oder ihm ein süffisantes Lächeln in die Mundwinkel zu drücken, dann ist es eben schwer, daraus etwas Eigenes zu kreieren, das trotzdem funktioniert. Richtig geklappt hat das gestern Abend dann eben selten bis gar nicht. Dementsprechend vielsagend war die Tatsache, dass Xavier Naidoo eine Blume bekam - nicht für die beste Interpretation, sondern vor allem für seine Qualitäten als Gastgeber.

Umso interessanter waren dafür die Gespräche auf dem Sofa, in denen man mehr über die adrette Sängerin erfahren konnte. Wo sie herkommt, was ihr wichtig ist oder welche Selbstzweifel sie beim Schreiben hat. Da spürte man regelrecht, wie bei einigen Zuschauern zu Hause die Schubladen aus den Gedankenregalen fielen und der eine oder andere jetzt vielleicht mal genauer hinhört, was die blonde Sängerin so zu sagen hat. Alleine dafür sollte sich der gestrige Abend gelohnt haben.



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