Seit 31. August ist Roland Düringer mit seiner TV-Sendung "Gültige Stimme" aus der Sommerpause zurück. Trotz des recht undankbaren Sendeplatzes montags kurz vor Mitternacht hat die erste Staffel im Durchschnitt fast 50.000 Zuschauer erreicht. Wir haben mit dem Kabarettisten über seine Gäste, Wahlzettel, Verhörräume und ein gutes Leben gesprochen.

Ein Interview

Sie haben mit "Gültige Stimme" seit dem Frühjahr eine eigene Sendung auf Puls 4. Über die Fragen, die Sie ihren Gästen stellen, haben Sie sich bestimmt viele Gedanken gemacht. Was ist für Sie ein gutes Leben?

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Roland Düringer: (überlegt) Ich habe gerade erst eine gute Definition gehört: Ein gutes Leben ist, wenn man dafür sorgen kann, dass andere auch ein gutes Leben haben.

Und der schließen Sie sich an?

Ja. Das ist ein Aspekt eines guten Lebens. Du musst eine Vorstellung im Kopf haben, was ein gutes Leben für dich selbst ist. Dann brauchst du die Rahmenbedingungen dafür. Wenn dich etwas behindert, in dem was du bist, was du tust und was du kannst, dann kann es kein gutes Leben sein. Denn dann muss man sich verbiegen.

Was genau macht aus Ihrer Sicht eine Stimme gültig und ab wann ist sie ungültig?

Was eine ungültige Stimme ist, ist klar definiert. Das erleben wir alle paar Jahre bei einer Wahl, wo man hingeht und auf den Wahlzettel draufschreibt "Ich bin nicht einverstanden". Eine gültige Stimme ist jemand, der handelt und sich nicht alles gefallen lässt.

Es soll also im Grunde nicht nur bei der Stimme bleiben ...

... sondern man soll etwas tun, genau. Nicht bloggen, bei Facebook "Gefällt mir" drücken, Petitionen unterschreiben - das ist alles für nix. Man muss den Arsch in die Höhe kriegen und die Komfortzone verlassen, die Initiative ergreifen.

Sie haben für Ihr neues Format ein etwas ungewöhnliches Setting gewählt. Im Grunde genommen ist es ein Widerspruch: Sie führen recht familiäre Gespräche mit Ihren Gästen - aber Sie sitzen in einem Verhörraum. Woher kam die Idee?

Ich sitze in einem Studio, nicht in einem Verhörraum. Bisher haben sich alle unsere Gäste total wohlgefühlt, weil es ein stiller Raum ist und man sich auf das Gespräch konzentrieren kann. Erst wenn man von der Polizei befragt wird, macht das einen Verhörraum zum Verhörraum. Das Zimmer hat den großen Vorteil, dass du die Kameras verstecken kannst. Meine Gäste vergessen innerhalb von fünf Minuten, dass sie im Fernsehen sind. Da kommen ja keine Profis. Und so nimmt man ihnen einfach den Druck.

Sie stellen Ihren Gästen immer die gleichen vier Fragen: "Was ist ein gutes Leben? Was läuft falsch? Was braucht es? Wer ist eine gültige Stimme?" Machen sich die Menschen zu wenig Gedanken über die Themen?

Nein, das glaube ich nicht. Das sind Fragen, die sich jeder stellt. Und die sollte man sich nicht erst dann stellen, wenn das Ende naht. Wenn ich dieses gute Leben nicht leben kann, muss ich mich fragen warum. Was läuft falsch? Was muss ich ändern? Nur sudern am Stammtisch ist zu wenig.

"Gültige Stimme" ist jetzt zurück aus der Sommerpause. Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Gäste aus?

Ich hab eine lange Liste zusammengeschrieben mit Menschen, die ich kenne. Auch Freunde oder Menschen, von denen ich Bücher gelesen habe oder von denen ich Vorträge gehört habe. Es sind aber auch welche, die gerne kennenlernen würde. Außerdem bitten wir jeden Gast, er möge jemanden nennen, der in die Sendung passt. So kommen auch Leute, zu denen ich keinen Bezug habe.

Wie zufrieden waren Sie nach den ersten Gesprächen?

Sehr. Ich lerne tolle Leute kennen, und jedes Gespräch ist anders. Auch die Menschen hinter der Kamera sind voll dabei. Das ist das größte Kompliment, dass man kriegen kann: Wenn die, die dort sein müssen, sagen: "Das ist super."

Sie sind seit 2012 - wie Sie in Ihrem Blog dokumentieren - einen eher abseitigen Weg gegangen: Sie haben sich vom Handy und Auto verabschiedet, vom Radio, vom Supermarkt. Haben Sie Ihre Entscheidung je bereut?

Nein. Ich benütze die Dinge ja nach wie vor, aber halt sinnvoll. Ich fahre mit dem Auto, wenn es sein muss, wenn ich was zu transportieren habe. Mobiltelefone sind total sinnvoll, sonst könnten wir dieses Interview gar nicht führen. Manchmal kann auch eine Zeitung sinnvoll sein - selten, aber doch. Man muss nur wissen: Bin ich der, der die Dinge benützt, oder treiben mich die Dinge?

Es geht also darum, wie Sie Ressourcen einsetzen und weniger darum, bestimmte Sachen weg zu lassen?

Ja. Ich habe immer etwas ersetzt. Wenn ich das Auto weglasse, wird es durch öffentliche Verkehrsmittel ersetzt. Das Mobiltelefon wird durch das Festnetztelefon ersetzt. Bankomatkarte durch Bargeld, Supermarkt durch Lebensmittelgeschäft.

Wenn man sich mit Ihrem Blog beschäftigt, entsteht der Eindruck, Sie hätten sich Vorgaben gemacht, um zu schauen, wie man die einhalten kann. Da stellt sich ganz schnell die Frage nach den Grenzen der Machbarkeit.

Mein Selbstversuch hat so begonnen: Ich wollte mit Freunden musizieren, mit meinem Bass samt Verstärker. Tag eins, und ich brauche mein Auto! Aber so ist das Leben. So hat sich der Selbstversuch langsam verändert, Stück für Stück. Es ist ja keine Religion oder Ideologie, es ist ein Abtasten von Gewohnheiten: inwiefern die Dinge wichtig sind. Man glaubt, wenn man mit dem Auto unterwegs ist, spart man Zeit. Oder wenn man immer erreichbar ist, spart man Zeit. Das stimmt alles nicht.

Was halten Sie von Aussagen wie der von Facebook-Gründer Marc Zuckerberg, der nur Fleisch von Tieren essen will, die er selber geschossen hat?

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, weil das mache ich auch.

Sie kaufen also kein Fleisch, sondern gehen selber auf die Jagd?

Auch, ja. Ich habe Schweine, die schlachte ich und mache daraus Würste. Und ich jage. Mehr brauche ich nicht, ich esse nur einmal in der Woche Fleisch. Meine Frau isst beispielsweise gar kein Fleisch.

Was halten Sie vom aktuellen Trend, Veganer zu werden?

Wenn ich statt Fleisch Sojaprodukte konsumiere, muss ich mir im Klaren sein, dass dafür Regenwald abgeholzt wird und viele Tiere sterben müssen. Da ist es mir lieber, ein Tier stirbt, das ich lieb habe und dem es gut geht. Dann schaue ich dem, was ich tue, ins Auge. Dieses Fremdversorgt sein, dass man in den Bio-Supermarkt geht und da gibt es alles: Das ist eine Illusion, die irgendwann ein Ende haben wird.

Lieg es Ihrer Meinung nach in der Verantwortung der Konsumenten, z.B. fair produzierte Jeans zu kaufen? Oder sehen Sie die Gesetzgeber in der Pflicht?

Ich sehe keinen Gesetzgeber in irgendeiner Pflicht. Man bräuchte weniger Gesetze, und an die müssen sich alle halten. Das wäre eigentlich das Allerwichtigste.

Wenn ich Sie richtig verstehe, liegt es an jedem Einzelnen, verantwortungsvoll zu handeln?

Genau, Eigenverantwortung. Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr reguliert wird. Wenn man anderen die Entscheidung überlässt, wenn man sich an gewisse Richtlinien hält: Das ist schrecklich bequem, und wir werden alle als wohlstandsverwahrloste Schwammerl dahinvegetieren.

Jetzt hat man natürlich bei manchen Themen Schwierigkeiten, sich für das Richtige zu entscheiden...

Du kannst dich nicht für das Richtige entscheiden. Das kannst du vergessen, weil es gibt nichts "Richtiges". Es ist alles immer richtig und es ist alles immer falsch. Das ist die Erkenntnis, die ich in meinen 52 Jahren auf diesem Planeten gewonnen habe. Ich habe in einem Ö1-Bericht, in dem es um Kinderarbeit gegangen ist, gehört, wie giftig Feuerwerkskörper in der Herstellung für die Menschen sind. Und am End hieß es: "Aber bitte kaufen Sie weiterhin Feuerwerkskörper, das ist das Einzige, was wir haben, damit wir überleben."

Die Frage ist: Wofür soll man sich als Konsument entscheiden, wenn man weiß, auf der einen Seite sterben Kinder, wenn man das Zeug aber andererseits nicht kauft, sterben sie womöglich einen Hungertod, weil sie keinen Job mehr haben.

Das heißt, was tun sie? Sie sterben.

Aber wie löst man so ein Dilemma?

Das ist das Leben, dass Menschen sterben. Manche früher, manche später, es ist einfach so. Die Frage, die ich mir stellen muss: Warum bin ich so ein Idiot und schieße einen Feuerwerkskörper in die Luft? Abgesehen davon, wie und wo der produziert wurde. Wo man weiß, dass sich wahnsinnig viele Wildtiere erschrecken - vollkommen sinnlos, nur weil irgendein Idiot Silvester feiert.

Josef Zotter hat in Ihrer Sendung kurz beschrieben, dass er in seinem Unternehmen einiges gegen den Widerstand anderer durchgesetzt hat. Grade die Umstellung auf Bio-Schokolade. Tragen Sie auch dazu bei, die Welt ein Stück besser zu machen?

Nein. Die Welt ist super, wie sie ist. Ich kann vielleicht etwas beitragen, das Denken zu verändern.

Glauben Sie, dass wir manchmal zu wenig zornig sind?

Zorn ist eine Emotion. Die kann ich nicht steuern oder unterdrücken. Ich glaube aber, dass sich die Leute bei uns viel zu viel gefallen lassen. In Frankreich gibt es etwa eine ganz andere Streitkultur. Bis der Österreicher mal auf die Straße geht, muss schon sehr viel passieren.

Jeder soll also für sich selber denken und dann handeln?

Selber denken wäre wichtig. Das hat Irmgard Griess sehr gut gesagt: "Wenn ich etwas erfahre, dann muss ich mich fragen: Was bedeutet das jetzt für mich? Was für eine Meinung habe ich zu dem, was da jetzt passiert?" Die zweite Frage, die ich mir dann stellen muss - und das ist das Allerwichtigste: Woher habe ich diese Meinung? Wir laufen alle mit Meinungen zu irgendwas im Kopf herum und glauben allen Ernstes, dass das unsere eigene ist.

Wie bildet man sich seine wirklich eigene Meinung?

Ich muss sehr tief gehen und fragen: Woher kommt mein Weltbild? Es kommt teilweise vielleicht aus Büchern, durch Begegnungen, aus meinem Umfeld. Es sind ganz viele Faktoren. Das wäre so wichtig im Umgang miteinander: dass man diese depperten Weltbilder über Bord wirft. Jeder Mensch möchte in Frieden leben und glücklich sein. Und da ist es scheißegal, ob ich rechts, links, katholisch oder alt oder jung bin. Das merkt man meistens dann, wenn die Zeit abläuft. Das ist so erschütternd. Es wäre eigentlich alles so einfach. Aber wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja irgendwann, anders zu funktionieren.

Roland Düringer ist Kabarettist und Schauspieler. Seit 2012 betreibt er seinen Blog "Gültige Stimme". Die gleichnamige Sendung läuft immer montags um 23:30 Uhr auf Puls 4. Im TV sind gekürzte Folgen zu sehen, die ungeschnittenen Gespräche werden online veröffentlicht.

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