- Die neue Netflix-Dokumentation "Der Tinder-Schwindler" berichtet von Liebe, Sex, Betrug, Geld und Rache.
- Shimon Hayut alias Simon Leviev soll mit seiner Masche viele Frauen um Millionen von Dollar betrogen haben.
- Er soll ihr emotionales Grundbedürfnis nach Liebe schamlos ausgenutzt haben, weshalb die Frauen auf den Betrug reinfielen.
Es ist die Dokumentation der Stunde. Kein Wunder, denn die Geschichte der Netflix-Doku "Der Tinder-Schwindler" klingt unglaublich, vereint sie doch alles, was man so geballt sonst nur in Boulevardblättern findet: Liebe, Sex, Millionäre, Jetset-Leben, Betrug, Verbrechen, eine Fahndung über die ganze Welt und nicht zuletzt Rache.
Diese Geschichte beginnt mit der Norwegerin Cecilie Fjellhøy und der Schwedin Pernilla Sjoholm. Die Frauen kennen sich nicht, doch sollten sich ihre Schicksale auf tragische Weise kreuzen. Denn sie haben eine Gemeinsamkeit: Beide nutzen die Dating-App Tinder.
Cecilie Fjellhøy arbeitet als IT-Beraterin in London und sucht einen Partner: "Ich wünsche mir diese allumfassende Liebe", erzählt sie in der Doku. Auf Tinder gefällt ihr ein gut aussehender, offenbar reicher Mann und als er ebenfalls interessiert scheint, treffen sich die beiden. "Er hatte eine besondere Anziehungskraft, wirklich etwas Besonderes an sich", erzählt Fjellhøy über den Mann, der sich als Simon Leviev ausgibt. Dass er in Wirklichkeit Shimon Hayut heißt, weiß Fjellhøy da noch nicht.
Privatjet, Kaviar, Luxus – und eine Geschichte, die Angst macht
Kurzerhand nimmt Leviev sie im Privatjet mit auf eine Geschäftsreise – für Fjellhøy der Beginn einer Liebesgeschichte. Irgendwann fragt er sie, ob sie seine Freundin sein möchte, später sogar, ob sie zusammenziehen wollen. Leviev ist aufmerksam, sagt romantische Dinge – aber ist als angeblicher Sohn eines großen Diamantenhändlers geschäftlich viel unterwegs.
Irgendwann beginnt Leviev, eine Legende zu stricken. Er müsse vorsichtig sein, habe wegen seines Berufs in der Diamantenbranche viele Feinde. Die Situation wird scheinbar immer dramatischer, sein Bodyguard sei angegriffen worden. "Ich hatte Angst um ihn", erzählt Fjellhøy. Eines Tages kann er angeblich seine Kreditkarte nicht mehr benutzen, denn seine Feinde würden sonst seine Aufenthaltsorte nachvollziehen können – der Beginn von Fjellhøys finanziellem Ruin.
Denn Leviev beginnt, sie um Geld zu bitten. Erst soll sie ihn ihre eigene Kreditkarte nutzen lassen, dann Bargeld besorgen, später Kredite aufnehmen. Doch auf Geldnot folgt Geldnot: "Alle zwei, drei Tage fragte er nach mehr Geld", erzählt Fjellhøy. Eines Tages steht sie bei 250.000 Dollar, die sie Leviev gegeben hat. Irgendwann wird es für Fjellhøy eng, ihr sitzen die Gläubiger im Nacken. Leviev stellt ihr einen Scheck aus, doch der platzt. Als sie ihn zur Rede stellt, weist er sie kalt ab: "Da wusste ich, dass ich in der Scheiße saß."
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Simon Leviev: gleiche Geschichte, andere Frauen
Doch Fjellhøy ist nicht die einzige und damit beginnt die Geschichte von Pernilla Sjoholm. Auch sie lernt Leviev via Tinder kennen, doch anders als Fjellhøy wird aus den beiden kein Liebes-, sondern ein Freundespaar. Sie begleitet ihn bei seinen Luxusreisen, hat eine angenehme Zeit, doch irgendwann erzählt er auch ihr die Geschichte von seinen Gegnern und auch Sjoholm zahlt.
Die Journalisten, die sich später mit dem Fall beschäftigen erklären Levievs Vorgehen mit einem Schneeballsystem: "Er nutzte Cecilies Geld für Pernilla und Pernillas Geld für jemand anderen", erklärt Natalie Remøe Hansen von der norwegischen Zeitung VG, die Fjellhøy einschaltet. Durch einen Tipp des Kreditkartenunternehmens beginnt die Betrogene nämlich selbst, über "ihren" Simon zu recherchieren und will die Geschichte nun an die Öffentlichkeit bringen: "Wer sollte ihn aufhalten? Ich musste ihn aufhalten", erklärt Fjellhøy ihr Motiv.
Die Journalisten der VG sind es auch, die in der Netflix-Doku die Rolle der Überparteilichkeit übernehmen. Bisher wurde die Geschichte nämlich nur aus Sicht der betrogenen Frauen erzählt, doch das geht irgendwann nicht mehr: "Das erste, was Journalisten wissen wollen ist, was für Beweise vorliegen. Ohne die kann man nichts veröffentlichen", zitiert die Doku den Investigativ-Journalisten Erlend Ofte Arntsen, der den Fall Leviev mitrecherchiert.
Leviev nutzte Grundbedürfnis des Menschen aus: den Wunsch, geliebt zu werden
Also schickt Fjellhøy ihnen Whatsapp-Verlauf, Bilder, Videos, Sprachnachrichten und Kreditkartenabrechnungen und das Journalisten-Team beginnt zu recherchieren. Leviev, so die Einschätzung der Journalisten, ging extrem professionell vor, erklärt Natalie Remøe Hansen und meint: "Er versprach ihr das Blaue vom Himmel."
Ein Schwindler und ein System, für das er seinen Schwindel offenbar optimiert hat. Das sagt die Doku zwar nicht offen, aber diese Rückschlüsse kann man ziehen, denn Leviev nutzte Tinder, weil hier zwei Dinge augenscheinlich perfekt funktionieren. Zum einen die Möglichkeit, sich in einem guten Licht darzustellen und zu blenden: "Schon beim ersten Date überzeugte er sie von seinem Wohlstand. Das war emotionaler Betrug", erklären die Journalisten.
Ein funktionierendes Blendwerk ist das eine, doch fast wichtiger ist das, was viele Menschen bei Tinder suchen: Liebe. "Jeder würde gerne einfach jemanden in einer Bar oder im Supermarkt kennenlernen. Aber heutzutage ist eine Dating-App der einfachste Weg. Auf Tinder findet man alles. Manche suchen jemanden für eine langfristige Beziehung oder zum Heiraten. Es gibt auch Leute, die einfach nur Sex wollen. Man findet Typen aus der ganzen Welt. Jede Menge Männer. Wir alle suchen doch nach einem Rohdiamanten."
Tinder-Schwindel – eine tragische Kombination
Das erklärt auch, warum Leviev sowohl bei Fjellhøy als auch bei Sjoholm Erfolg haben konnte. Denn während Sjoholm jemanden wollte, mit dem sie Spaß haben konnte, suchte Fjellhøy einen Helden: "Irgendwann kommt ein Prinz um dich zu retten." Tinder lieferte für beide etwas Unterschiedliches – und doch den gleichen Betrüger. Aber es wäre zu einfach, der Dating-App die Schuld zu geben und das macht die Doku auch nicht. Tinder selbst spielt in den knapp zwei Stunden nur eine untergeordnete Rolle.
Trotzdem lässt sich aus der Doku herauslesen, dass hier viele Faktoren zusammenkamen, damit die Masche funktioniert hat: eine Dating-Plattform, die einfach zu bedienen ist und Äußerlichkeiten fördert, ein offenbar durchtriebener und skrupelloser Betrüger, der den Wunsch nach Liebe und Gemeinsamkeit ausnutzt und sich eine ebenso plausible wie perfide Geschichte ausgedacht hat. Eine tragische Kombination. Aber wie kann man sich davor schützen?
"Natürlich googelt man ihn, bevor man jemanden trifft", erzählt Sjoholm. Doch das Mindestmaß an Vorsicht, bevor man sich mit einem unbekannten Mann trifft, hat ihr offenbar auch nicht geholfen. Die Dokumentation gibt hier auch keine Hilfestellung. Also ist man selbst gefragt, Schlüsse zu ziehen und wenn sie noch so banal sind.
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Kann man sich vor Tinder-Schwindlern schützen?
Auch wenn man die rosarote Brille aufhat – spätestens wenn jemand, den man eigentlich gar nicht kennt, schnell nach Geld fragt, sollte man skeptisch werden. Aber das ist leichter gesagt als getan und schließlich kamen Levievs gesamte Betrügereien auch erst heraus, als es zu spät war und sein Fall über die Journalisten in die Öffentlichkeit gelangte.
"Natürlich konnte er mit der Kreditkarte einer Frau Flugtickets für eine andere und ein Abendessen für eine dritte bezahlen. Auf diese Weise reiste er viel herum und blieb nie lange an einem Ort. Das machte es der örtlichen Polizei schwer. Sie musste international nach einem Mann fahnden, der in ihren Augen nur ein kleiner Betrüger war", erklärt Investigativjournalist Erlend Ofte Arntsen Hayuts Vorgehen.
Im Fall Simon Leviev alias Shimon Hayut geht es also, so zeigt es die Doku, nicht um irgendeinen Mann, der Frauen "lediglich" mit anderen Frauen betrogen hat, es geht um einen hochprofessionellen Betrüger, der seine Masche perfektioniert hat. Das macht es so extrem schwer, sich zu schützen. Aber vielleicht ist zumindest die Doku selbst hilfreich, sich darüber Gedanken zu machen, wie Tinder oder ähnliche Apps funktionieren und gerade deshalb noch ein bisschen vorsichtiger zu sein als sonst.
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