Influencer trifft auf ehemalige Viva-Moderatorin, TV-Moderator auf Rapper - mit "Neo Ragazzi" versucht ZDF Neo frischen Wind in die Welt der drögen Talkshows zu bringen. Doch gerade, wenn es spannend wird, ist die erste Folge schon vorbei.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Mit Talkshows im Fernsehen ist es so eine Sache. Aus Politikern ist kaum etwas Relevantes herauszubekommen. Sie spulen ihr Parteiprogramm ab und weichen den wirklich interessanten Fragen aus, indem sie so lange über etwas anderes sprechen, bis Moderator als auch Publikum vergessen haben, worum es eigentlich ging. Die unterhaltende Variante ist nicht viel besser. Schauspieler bewerben ihren neuen Film, Autoren ihr Buch und am Ende lockert ein Comedian die dröge Werberunde mit einem Teil seines aktuellen Programms ab.

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"Neo Ragazzi" will das in zunächst acht Folgen Donnerstagabend um 22.15 Uhr auf ZDF Neo anders machen. "Der gemeinsame Spaß am Gespräch" soll im Vordergrund stehen, nicht "kalkulierte Konfrontation oder die Lösung der ganz großen Aufregerdebatten", so die Pressemitteilung zur Sendung. Alles "jenseits der üblichen Talkshowfloskeln". Sprich, ZDF Neo versucht einen der unzähligen Podcasts nach dem Schema "Zwei Menschen labern drauflos" ins Fernsehen zu übertragen. Dazu passen die beiden Moderatoren: Tommi Schmitt betreibt mit "Gemischtes Hack” seit 2017 einen der erfolgreichsten deutschen Podcasts, Autorin Sophie Passmann spricht seit diesem Jahr mit Joko Winterscheidt in "Sunset Club"

Von den Machern von "Roche und Böhmermann" und der "Caroline Kebekus Show"

Verantwortlich für "Neo Ragazzi" ist die Produktionsfirma bildundtonfabrik, der es schon einmal gelang, dem Format Talkshow eine Frischzellenkur zu verpassen. Mit "Roche und Böhmermann" zeigte das junge Unternehmen 2012/2013, dass es durchaus spannend sein kann, wenn ungewöhnliche Gäste auf Moderatoren treffen, die aus der Talkmaster-Norm ausbrechen. Nach weniger als einem Jahr zerstritten sich Roche und Böhmermann, die Sendung war Geschichte.

Jetzt also ein neuer Versuch mit "Neo Ragazzi". Von wem das Format stammt, ist nicht zu übersehen. Die bildundtonfabrik produziert auch "Die Caroline Kebekus Show" und war lange Zeit für das "Neo Magazin Royale" verantwortlich. Das ist "Neo Ragazzi" anzusehen. Flauschiger Teppich, Design-Klassiker-Stühle, ein großer Tisch samt diverser Alkoholika, das wirkt wie die hippe Variante eines Talkstudios, als Fernsehen noch wichtig war. Nur, reicht das, um aus der eigenen Zuschauer-Bubble junger bis mittelalter Joko-Klaas-Böhmermann-Zuschauer auszubrechen? Die Auswahl der Gäste lässt zumindest den Willen dazu erkennen. In Folge eins trifft Johannes B. Kerner auf Rapper Ski Aggu, Ex-Viva-Star Gülcan Kamps auf Influencerin Mrs. Bella. Vier Menschen also, die sich selbst auf Promi-Veranstaltungen kaum über den Weg laufen.

Um die zusammenzubringen, sollen "Aktionen" und "Spiele" die Runde auflockern. Was sich in der ersten Folge von "Neo Ragazzi" auf das Ziehen von genau einer Frage aus einem Kartenhaufen in der Mitte des Tisches beschränkt. Die lautet "Wer war dein erster Promi-Crush?" und dient dazu, Moderator Tommi Schmitt erröten zu lassen - es war natürlich Gülcan Kamps. Wie weit die Gäste altersmäßig auseinander sind, zeigen die restlichen Antworten. Mrs. Bella war in Aaron Carter verliebt, Ski Aggu in Jamie Lynn Spears - und Johannes B. Kerner in ABBA. Danach bleibt der Fragenstapel für den Rest der Sendung unberührt.

Kerner erklärt das Moderieren

Stattdessen lassen sich Sophie Passmann und Tommi Schmitt von Kerner das Moderieren anhand eines längeren Exkurses über seine Einmal-Show "Das große Schlüpfen" erklären. Wir lernen: Wenn es nicht läuft, krallt der Moderator seine Zehen in den Schuhen zusammen, außerdem ist er gerne allein. Nur richtig zusammenfinden will die Runde nicht. Gülcan Kamps nostalgiert über ihre Zeit beim Musiksender Viva, Mrs. Bella erklärt, wie das mit dem Influencen losging, als es den Begriff noch gar nicht gab und Ski Aggu verrät, warum er eigentlich immer eine Skibrille trägt. Die Antwort: Es war ein Witz, der hängen blieb. Im Gesicht. Nur unterscheidet das "Neo Ragazzi" in keinster Weise von anderen Talkshows. Jeder Gast erzählt ein paar Anekdoten, ins gemeinsame Gespräch kommen sie nicht.

Das gelingt erst nach etwa zwei Dritteln der Show, als die sechs Anwesenden ihre Gemeinsamkeiten entdecken: dass alles irgendwie wieder kommt und sich die Trends der Jahrzehnte wiederholen. Bestes Beispiel: Rapper und TikToker Ski Aggu mit seinem Vokuhila und den Eurodance-Klamotten, die jetzt "ironisch" cool sind. Keine bahnbrechende Erkenntnis, aber immerhin.

Unterhaltsam, aber noch Luft nach oben

Trotzdem ist die erste Folge von "Neo Ragazzi" unterhaltsam. Tommi Schmitt feuert selektiert Gags ab (die jeweils ein Teil der Gäste nicht versteht), Sophie Passmann ist unheimlich schnell und weist die Männer in der Runde in ihre Schranken, wenn die sich über Frauen und Make-up lustig machen. Das ist kurzweilig, aber eben auch sehr auf die eigene Zielgruppen-Blase beschränkt.

Am Ende sitzen Passmann und Schmitt zusammen und lassen die Sendung Revue passieren, ganz so wie es Charlotte Roche und Jan Böhmermann in ihrer Sendung taten. Es war natürlich Fernsehpremieren-typisch alles dufte. Das Interessantere findet parallel statt. Ski Aggu zündet sich eine Zigarette an, Johannes B. Kerner kippt das Weinglas von Tommi Schmitt herunter. Die vier beginnen zu reden, es wird wirklich spannend. Doch dann ist die erste Ausgabe von "Neo Ragazzi" vorbei. Sieben Folgen bleiben, um das Format Talkshow vielleicht nicht neu zu erfinden, aber zumindest ein wenig mehr Unterhaltung zu bieten. In ihren Podcasts schaffen das Passmann und Schmitt schließlich auch.

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