Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf wollten im Rahmen ihrer am Vortag hart erspielten 15 Minuten Live-Sendezeit von Experten wissen, was passieren würde, wenn es ab morgen kein vereintes Europa mehr gäbe. Zu den Horrorszenarien der Interviewten lieferte die Künstliche Intelligenz dystopische Bilder.

Eine Kritik
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Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf durften sich nach ihrem Sieg bei ihrer Show "Joko & Klaas gegen ProSieben" am Mittwochabend ihren 15-Minuten-Sendegutschein einlösen. "Wir sprechen heute über die Europäische Union", so Heufer-Umlauf zu Beginn. Diese, so Kollege Winterscheidt, werde nämlich gerade viel infrage gestellt. Der 45-Jährige weiter: "Manche wünschen sich autarke Staaten, eine eigene Währung, geschlossene Grenzen oder eine Abschottung von der globalisierten Weltwirtschaft zurück."

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Vor diesem Hintergrund stellten die beiden ProSieben-Aushängeschilder ausgewiesenen Experten die Frage, was denn eigentlich passierte, würde die EU gleichsam von heute auf morgen zerfallen. "Wir haben deren Aussagen dann genommen und sie von einer KI bebildern lassen – die hat sehr realistisch, aber teilweise auch sehr drastisch bebildert. Es könnte aber so eintreten, wenn wir uns nicht darum kümmern", mahnte Heufer-Umlauf noch.

Hauptziel des Brexits nicht erreicht

Zunächst wurde der Brexit thematisiert. Dass eines der Hauptziele des Brexits, die Migration einzugrenzen, schlichtweg nicht gelungen ist, bestätigte Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe EU/EUROPA der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: "Ganz im Gegenteil, die Flüchtlingszahlen nach Großbritannien sind massiv gestiegen, weil man eben viel schwieriger mit Frankreich und anderen EU-Staaten zusammenarbeiten kann."

Was sich bereits in der allerersten Phase nach einem Zerfall der EU abspielen würde, skizzierte danach Andrew Lee, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Karlsruhe: "Innerhalb von Minuten käme es zu einem Chaos auf den Finanzmärkten. Spekulanten würden sofort ihr Geld aus vergleichsweise instabilen Ländern wie Zypern, Griechenland und Portugal abziehen." Natürlich wären auch gleich sämtliche Grenzen dicht, was den rund 25 Millionen Menschen in Europa, die in Grenzregionen leben und im Nachbarland vielleicht ihrem Job nachgehen oder Familie haben, eine enorme Unsicherheit bescheren würde. "Dass ich als Europäerin überall in Europa ohne große bürokratische Probleme leben und arbeiten kann, würde sich massiv ändern", gab Jana Puglierin, Leiterin des European Council on Foreign Relations Berlin, einen kleinen Ausblick, während die Bilder Chaos auf Flughäfen und Flüchtlinge in Zelten zeigten.

Zurück zur D-Mark? Das wäre teuer

Auch Daniel Dettling, Politikwissenschaftler und Leiter des Instituts für Zukunftsforschung Berlin, malte alles andere als schöne Szenarien: "Mit Sicherheit wird an den Grenzen massiv aufgerüstet. Die europäische Außengrenze wird zur Binnengrenze, und jedes Land versucht, seine eigenen Grenzen zu schützen. Das ist sehr teuer und führt dazu, dass immer weniger Austausch zwischen Menschen und Waren stattfindet." Die Folge? Lieferengpässe und Lieferausfälle. Frische Lebensmittel in den Supermärkten könnten beispielsweise im Nu zur Mangelware werden.

Auch für größere Industrien wie etwa die Automobilindustrie wäre ein Zerfall der EU ein extremer Schlag. "Die Just-in-Time-Produktion – also die sehr schnelle Lieferung von Komponenten aus europäischen Nachbarländern – würde zusammenbrechen", erklärte Lee, während stillstehende und verlassen Fabriken über den Bildschirm flimmerten. Natürlich wäre auch der Euro am Ende, was bedeuten würde, dass zwanzig Staaten neue Währungen einführen müssten. Eine Wiedereinführung der D-Mark würde dem Exportland Deutschland enorme Probleme bereiten. Lee: "Wenn es zu einem Aufwertungsdruck von, sagen wir mal, 30 Euro käme, würden Exportgüter wie Autos, Maschinen, chemische oder pharmazeutische Erzeugnisse über Nacht in ausländischer Währung teurer und Absatz und Gewinne einbrechen." Notabene: Rund jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab.

Arbeitslosigkeit, Bauernproteste, Verarmung

Im Zuge der Rationalisierung müssten die Unternehmen natürlich auch Löhne senken und Mitarbeiter entlassen, was vermutlich innerhalb weniger Jahre zu einer Verdoppelung der Arbeitslosenquote führen würde. Auch zu zahlreichen Unternehmensschließungen käme es und gesamtgesellschaftliche Folgen wie weniger Wohlstand in der Gesellschaft sowie weniger Haushaltseinnahmen würden Deutschland sehr zu schaffen machen. Darüber hinaus würde ein Niedergang der EU es Mächten wie China und Russland leicht machen, Einfluss zu nehmen.

"Deutschland und auch alle anderen EU-Staaten sind letztlich ökonomische Zwerge, verglichen mit den USA oder China. Und es wird sehr schwer sein, Handelsbeziehungen neu auszuhandeln, die unsere Interessen widerspiegeln, weil wir einfach wirtschaftlich irrelevant sind", offenbarte Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland, der auch die nach spätestens ein bis zwei Jahren fehlenden EU-Gelder große Sorgen machen würden: "Das würde etwa bedeuten, dass die Agrarhilfen eingestellt werden, was wahrscheinlich auch massive Bauernproteste nach sich zöge."

Puglierin schlug ebenso in diese Kerbe: "Durch den Wegfall von Strukturfonds der Europäischen Union würde es gerade in strukturschwachen Gebieten zu einer Verarmung kommen. Es würde keine Infrastruktur mehr bereitstehen, und das Gefälle zwischen Stadt und Land in Bereichen viel größer werden, in denen wir heute schon Probleme haben – bei Ärzten oder Apotheken etwa."

Gesundheitssystem bräche ohne Einwanderer zusammen

Für das Gesundheitssystem, das ja bereits heute von Zuwanderung abhängig ist, wäre all dies besonders fatal. "Es wird dann keine Zuwanderung und Einwanderung mehr geben. Gerade ältere und pflegebedürftige Menschen werden nicht mehr versorgt, sprich, die Sterblichkeit wird unter ihnen zunehmen. Und das sind dann Bilder, die schwer zu ertragen sind", erklärt Dettling, während im Beitrag verzweifelte und obdachlose pflegebedürftige Menschen zu sehen waren.

Auch mit den geltenden Umweltstandards wäre es dann vorbei. Regelungen, wie etwa Giftmüll entsorgt oder mit Abwasser umgegangen werden muss, hätten die Staaten individuell zu organisieren. Umweltverschmutzung oder -schäden über Grenzen hinweg ließen sich damit kaum verhindern. Dettling: "Am meisten Sorge macht mir aber die Verunsicherung. Wenn die Menschen unsicher sind – das haben wir zu Beginn der Corona-Pandemie gesehen –, werden sie anfällig für Populismus, einfache Antworten, Nationalismus und für Misstrauen." Parteien, die einfache und schnelle Lösungen propagieren, hätten dann wieder Oberwasser. "Sie würden sehr viel mehr die Unterschiede zwischen den Ländern betonen als die Gemeinsamkeiten", so Puglierin. Auch Kriege zwischen europäischen Staaten könnte man ihr zufolge dann nicht mehr ausschließen. Wie lebenswert wäre ein solches Europa noch?

Winterscheidt: "Sollten alle zur Europawahl gehen"

"Die EU prägt so viele Dinge unseres Lebens. Nicht alles macht sie richtig, aber in vielen Dingen bringt sie eben mehr Vielfalt und Kooperation", konstatierte Nicolai von Ondarza am Ende der Experten-Interviews. Schließlich meldeten sich noch einmal die beiden Sendungsverantwortlichen zu Wort: "Wir brauchen keine Menschen, die eigentlich nur in das Europäische Parlament gewählt werden wollen, um es von innen heraus zu zerstören und unsere gemeinsame Vision kaputtzumachen", so Heufer-Umlauf. Winterscheidt fügte noch hinzu: "Das muss so nicht eintreten, und es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass es so nicht eintritt. Am 9. Juni ist Europawahl. Und wir sollten alle dahin gehen."

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