Anfang des Jahres veränderte Österreich die Welt und setzte mit Conchitas Wurst beim Eurovision Song Contest ein Zeichen. Nun, kurz vor dem Jahreswechsel, legen die deutschen Nachbarn beim "Supertalent" nach und küren eine Dragqueen zum Sieger, die Conchita Wurst covert. Ist das dein Ernst, Deutschland?

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Eine echte Liebeserklärung von einem Jurymitglied - das hatte es bisher auch beim "Supertalent" noch nicht gegeben. Nachdem Dragqueen Marcel Kaupp als Frau verkleidet den Whitney-Houston-Hit "One Moment in Time" gesungen hatte, gesteht Modedesigner Guido Maria Kretschmer dem 26-jährigen Kölner mit verklärtem Blick: "Jedes Mal wenn ich Dich treffe, denke ich: Ach, der könnte mein Freund werden!" Danach kann es eigentlich nicht mehr schief gehen, und tatsächlich wird Kaupp von den Zuschauern prompt zum "Supertalent 2014" gewählt.

Ein Kölner Conchita-Wurst-Double gewinnt also den größten Talent-Wettbewerb Deutschlands. Ob das eine Leistung oder schon fast ein wenig traurig ist, könnte vermutlich nur das österreichische Original selbst beantworten. Die Conchita, die sich beim ESC gegen Schwulengegner, empörte Politiker und erzkonservative Länder durchsetzen und Toleranz so ein Gesicht geben konnte. Sicherlich sollte dies aber nicht bedeuten: "Oh, eine Frau mit Bart, die sollten wir mal gewinnen lassen. Das kommt gut an beim Publikum nach dem Grand Prix."

Ähnlich muss es Dieter Bohlen durch den Kopf gegangen sein. Anders lässt sich kaum erklären, dass er sich, nachdem Marcel Kaupp zum neuen "Supertalent" gekürt wird, schließlich nicht zu Lob, sondern Kritik hinreißen lässt. Zu Kritik, die lediglich darauf beruht, dass die Dragqueen den perfekten Conchita-Moment nicht aufrecht erhalten wollte - und sich seiner Perücke und Make-up entledigte. "Durch das Abschminken sind die Gefühle verloren gegangen", sagte der Juror und machte damit einmal mehr klar, worum es dem RTL-Format tatsächlich geht: nur bedingt ums Talent eines Künstlers.

Wie stets versteht es RTL, den Höhepunkt des monatelangen Ausleseprozesses bis tief in die Nacht hinzuziehen und auf diese Weise Werbeblock um Werbeblock dazwischen zu schieben. Erst nach Mitternacht steht der per Telefonvoting ermittelte Sieger fest. Und noch ehe der Name bekanntgegeben wird, denkt Dieter Bohlen schon an die nächste Staffel. "Habt Mut, Leute", spornt er die Zuschauer an und erinnert an den Gewinner von vor sechs Jahren: "Der Michael Hirte zum Beispiel, den kannte ja vorher kein Mensch. Jetzt hat er ein Haus, zwei Kinder, 'ne hübsche Frau. Das ist schon ganz schön." RTL wartet auf Bewerbungen. (ncs/dpa)

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