So viel anders ist's woanders auch nicht: In der neuen ATV-Realityshow "Balkan-Hochzeiten" werden einige in Österreich lebende Paare aus Ländern wie der Türkei oder Bulgarien bei ihren Hochzeiten begleitet. Da mag es den einen oder anderen uns unbekannten Brauch geben – aber im Sinne der Völkerverständigung sieht dann doch alles recht vertraut aus.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Genzel dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Am Anfang sehen wir Torten. Es sind immense Zuckerbomben, mehrstöckige Ungetüme, eine wird mit Goldfarbe angemalt.

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"Meine größte Torte war vier Meter lang und vier Meter hoch", berichtet der Bäcker. Hoffentlich war sie auch noch entsprechend breit, sonst stand sie wohl nicht lange aufrecht.

"Balkan-Hochzeiten" nennt sich die neue ATV-Show, die von derartigen Diabetiker-Albträumen eingeleitet wird. Da trifft die gute alte RTL-"Traumhochzeit" auf eine Prise Völkerverständigung und wird mit viel Reality-Fernsehbanalität übergossen.

Zuagroaste Österreicher

Einen derben Kulturschock braucht der einheimische Zuseher bei diesen zugereisten Liebespärchen mitsamt Anhang jedenfalls nicht zu befürchten: Allzu fremd sind die gezeigten Paare nicht. Sie unterhalten sich die meiste Zeit nicht einmal in ihren Landessprachen.

"Ich liebe Österreich mehr als meine Heimat", schwärmt Dimitar, der bulgarische Schwager eines Bräutigams. "Wenn Österreich gegen Bulgarien Fußball spielt, dann bin ich für Österreich."

Eifrig öffnet er das Hemd und zeigt stolz, dass er sich den österreichischen Adler auf die Brust hat tätowieren lassen. Diesen Mann könnte sogar die FPÖ ins Herz schließen.

Nachdem also geklärt wurde, dass die Protagonisten ganz sicher keine bösen Ausländer sind, wird das Thema kultureller Brücken flugs beiseitegeschoben. Schließlich soll hier geheiratet werden, das hat mit Verständigung ja nichts zu tun.

Ein teures Vergnügen

Stattdessen also Torten. Und Kleider natürlich: Vom Sahnehäubchen wird direkt zur wallenden Brautmode geschnitten.

Der Erkenntnisgewinn bleibt noch gering, aber immerhin erfahren wir, dass manche Damen mit Fotos von Brautkleidern kommen, die auf irgendwelchen Promi-Hochzeiten getragen wurden, und dann bei einem geschätzten Preis von 30.000 bis 40.000 Euro doch wieder dankend abwinken.

Aber auch mit billigerer Brautmode wird so eine Hochzeit richtig teuer. Damit unterscheiden sich die Balkan-Hochzeiten natürlich ganz gewaltig von einer pragmatischen österreichischen Vermählung, die hauptsächlich Nerven kostet, während man beim Standesamt wartet.

Bei den Bulgaren muss dagegen die Braut erst einmal freigekauft werden. Früher konnte das noch richtig kostspielig werden und hat sicherlich dafür gesorgt, dass der eine oder andere Anwärter noch einmal in sich ging, ob die Gefühle denn wirklich so stark sind.

Heutzutage darf der Bräutigam das Sparschwein ganz lassen: Es werden nur noch symbolisch ein paar Süßigkeiten und Getränke verschenkt.

Auch bei dem türkischen Paar, das gezeigt wird, muss der Mann erstmal in die Tasche greifen. Die Braut bleibt derweil hinter verschlossener Tür und bekommt von ihrem Schwager eine rote Schleife umgebunden, die ihre Reinheit symbolisieren soll.

Dann wird die Tür langsam geöffnet – wenn sie nämlich zu schnell aufgemacht wird, hieße das, dass die Frau zu einfach hergegeben wird. Das ist auch fürs Fernsehen praktisch: Langsam füllt sich die Sendezeit einfach besser.

Wenig Reality-Klischees

Bei allem liebevollen Gespöttel: Die "Balkan-Hochzeiten" halten sich mit den üblichen Reality-Mustern angenehm zurück. Drama findet keines statt, und es wird sogar nur einmal geweint: Eine Mutter verdrückt ein paar Tränen, als sie ihre Tochter in die Ehe schickt.

So kann man die Show als sanfteste Form der Völkerverständigung ansehen. Ein paar Informationshäppchen über andere Kulturen werden in die einfachen Geschichten gestreut, aber freilich nie vertieft.

Es ist begrüßenswert, wenn auch im Reality-Fernsehen mal keine Klischees widergekäut werden, sondern stattdessen der Blick über den Tellerrand gewagt wird und auf Verständigung gesetzt wird.

Aber die wichtigste Frage bleibt offen: Wer isst jetzt die 16-Quadratmeter-Torte?

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