Matthias Reim ist eine lebende Legende. Am Freitag erscheint sein neues Live-Album "Die Höhepunkte der Arena-Konzerte – Live!". Wir haben mit ihm über sein Tour-Leben und die gesundheitlichen Rückschläge gesprochen.

Ein Interview

Herr Reim, der Titel Ihres neuen Live-Albums "Die Höhepunkte der Arena-Konzerte – Live!" sagt schon viel aus. Doch was verrät er nicht?

Matthias Reim: Er verrät noch nicht, warum wir dieses Live-Album gemacht haben. Uns ging es darum, die Magic meiner alten, über 30 Jahre alten Songs wiederzubeleben – und das ist uns gelungen. Das haben auch die Resonanzen bei meinen Konzerten im Frühjahr gezeigt. Ich hatte so viel Spaß, auf die Bühne zu gehen. Das alles wollte ich unbedingt auf einem Live-Album festhalten. Allerdings wäre ein Doppel-Album mit der gesamten Show zu viel gewesen, daher haben wir uns auf die Höhepunkte beschränkt.

Diese Auswahl zu treffen, ist nicht leicht, wenn man seit über drei Jahrzehnten Erfolge feiert. Auf welche Titel fiel Ihre Wahl?

Es sind die Songs drauf, die jeder von Matthias Reim erwartet: von "Ich hab' geträumt von dir" über "Du bist mein Glück" bis hin zu "Einsamer Stern". Natürlich ist "Verdammt, ich lieb' Dich" auch dabei. Das Schöne war, dass wir in der Post-Bearbeitung so gut wie nichts korrigieren mussten, weil wir so "tight" sind und so gut spielen. Und der Frontsänger, nämlich ich, trifft einfach jeden Ton (lacht). Obwohl man sich ja eigentlich nicht selbst loben soll, war ich von meiner Performance doch sehr angetan. Ich bin glücklich und stolz, dass ich mit 65 Jahren das Singen und Entertainen immer noch kann.

Spaß beiseite: Sie haben sich im höheren Alter wirklich noch einmal gesteigert?

Ja, massiv. Zum einen habe ich in den neuen Arrangements mehr Platz für meine Stimme und zum anderen kann ich die Songs durch diese Arrangements mehr fühlen. Genau das wollten wir mit dem Live-Album verbreiten. Für mich ist dieses Werk ein Meilenstein. Wir konnten so dokumentieren, was wir auf der Bühne eigentlich machen.

Ist Ihr Album auch als Plädoyer für musikalische Live-Erlebnisse zu verstehen? In den meisten Musikshows im TV ist schließlich längst nicht alles live …

Ich wollte schon zeigen, dass es live geht und dass es gut klingt. Natürlich fehlt in den TV-Shows die Zeit, um die Mikrofone und die Kompressoren einzustellen und diese in die Playbacks zu packen – von einer Live-Band, die man soundtechnisch in den Griff kriegen muss, einmal abgesehen. Das kann sich niemand leisten. Insofern darf man den Machern der Shows auch nicht böse sein, dass sie ihre Sendungen größtenteils im Vollplayback-Verfahren durchziehen.

Es hat also nichts mit den gesanglichen Qualitäten unserer Schlagerstars zu tun?

Nein. Ich weiß, dass die meisten Künstlerinnen und Künstler singen können. Andrea Berg, Roland Kaiser oder Howard Carpendale können singen und würden es live aus dem Stand hinbekommen. Ich übrigens auch. Die Auftritte in den TV-Shows sind dafür da, dass man sich dem Publikum zeigt und den Leuten einen kleinen Teaser an die Hand gibt.

"Wenn du die in die Show lassen würdest, dann würde keiner mehr die Sendung schauen wollen."

Teilen Sie die Kritik, dass immer wieder dieselben Künstler bei Florian Silbereisen, Giovanni Zarrella und Co. auftreten?

Das stimmt schon, aber: Wenn Newcomer wirklich gut sind und Bedeutung haben, dann finden sie dort auch statt. Es gibt auf der anderen Seite so viele Newcomer, bei denen es sich anders darstellt: Wenn du die in die Show lassen würdest, dann würde keiner mehr die Sendung schauen wollen. Man muss sich das erarbeiten und sich so lange – zum Beispiel über Stadtfeste – in die Herzen der Menschen singen, bis sie über einen sprechen. Ich sage das auch immer zu meinen Kindern: Es ist ein langer, steiniger Weg.

Ist es ein Vorteil, im Fall von Marie "die Tochter von ..." und im Fall von Julian "der Sohn von ..." zu sein? Welchen Rat geben Sie Ihren Kindern?

Ich rate ihnen, dass sie einfach ihr Ding machen sollen. Die beiden gehen es ja ganz verschieden an. Julian ist der absolute Studiotüftler, ein super Songwriter und Produzent. Bei meiner Tour war er zuletzt auch als Solist und Chorsänger mit dabei. Marie kommt ab und zu ebenfalls dazu. Sie ist die Verwandlungskünstlerin, sie sieht mal so und mal so aus. Marie ist auch auf einem guten Weg, sich musikalisch zu finden. Das ist eine Entwicklung, bei der ich meinen Kindern gern beratend zur Seite stehe. Allerdings hätte auch mir mein Vater nicht erzählen können, wohin mich meine musikalische Reise führen würde.

In dem Promotext zum Album ist von der "Live-Rückkehr einer Legende" die Rede. Fühlen Sie sich als Legende?

Man hat mich zu einer gemacht, ja. Daher bin ich, ebenso wie Roland Kaiser, zu meiner eigenen Überraschung plötzlich Kult. Das kann man an dem Zustrom bei unseren Konzerten festmachen: Je älter wir werden, desto mehr Menschen wollen uns sehen. Als ich 40 war, hätte ich die Leute gebraucht – heute habe ich sie. Wenn ich auf der Straße angesprochen werde, dann spüre ich, wie viel Sympathie und Respekt mir die Menschen mittlerweile entgegenbringen. So ähnlich erging es Udo Jürgens im höheren Alter. Ich würde es so formulieren: Ich bin zu einer Art Kult-Sänger geworden, natürlich auch dank "Verdammt, ich lieb' Dich". Dieser Hit lebt einfach ewig.

Wie erklären Sie sich diese späte Wertschätzung?

Wenn es dir gelingt, dass deine Songs mit Erinnerungen verbunden werden, dann erreichst du langsam aber sicher den Status einer lebenden Legende. Ich würde mich nie zu einer Legende erklären, aber ich spüre diese Entwicklung dahin an allen Ecken und Enden – sowohl bei meinen Konzerten als auch mit Blick auf die mediale Berichterstattung.

Inwiefern hat sich die mediale Berichterstattung über Ihre Person zum Positiven gewandelt?

Nun ja, als "Verdammt, ich lieb' Dich" herauskam (im Jahr 1990; Anm. d. Red.) und 16 Wochen lang an der Spitze der Charts lag, wurde ich in der Luft zerrissen. Es ging in die Richtung "Wo kommt der Emporkömmling denn her? Das hat der gar nicht verdient!". Gerade in Deutschland muss man sich Erfolg verdienen – aus Sicht der Beobachter. Man muss die endlos steile Treppe mit spitzen Steinen gegangen sein. Am Anfang bin ich geflogen, aber dann musste auch ich diesen Weg gehen.

Sie wurden vor Ihrer "Live-Rückkehr" von gesundheitlichen Problemen zurückgeworfen, mussten Konzerte absagen. Ich sage es mit einem Ihrer Songs: "Hallo, ich möcht' gern wissen wie's dir geht ..."

Mir geht es inzwischen wieder richtig gut. Für mich als Künstler gibt es eigentlich nichts Schlimmeres, als ein Konzert abzusagen. Es gibt aber etwas, das noch schlimmer ist – nämlich, sich gesundheitlich so zu ruinieren, dass man nie wieder ein Konzert spielen kann. Wenn du Fieber hast und weiterspielst, das Fieber aber nicht weggeht, dann richtest du irgendwann deinen Körper zugrunde.

Eines Tages mündet das in eine Lungen- oder Herzmuskelentzündung. Man braucht kein Arzt zu sein, um das zu verstehen. Doch ich habe die Reißleine nicht gezogen und stattdessen trotz einer Grippe immer weitergespielt. Das war richtig blöd von mir, weil ich dadurch ausgeknockter war, als ich es hätte sein müssen. Wenn ich die Termine von vornherein verschoben hätte, wäre ich nicht so lange krank gewesen.

"Ich will gar nicht ins Fernsehen"

Haben Sie daraus gelernt?

Ja, heute würde ich die Tour unterbrechen und die Termine verschieben. Ich habe mich damit letztlich auch mental unter Druck gesetzt. Ich bin auch nur ein Mensch und kann nicht ausschließen, dass ich mal eine fette Erkältung bekomme, die mich am Singen hindert. In so einem Fall muss ich in Zukunft aber sofort die Stopptaste drücken und – so schwer es mir auch fallen mag – Konzerte verschieben oder im schlimmsten Fall sogar absagen.

Sie haben in Ihrer Karriere viele Aufs und Abs erlebt. Hielten Sie sich für unverwundbar?

Zumindest verspürte ich bisher immer eine gewisse Angst, nicht als Mr. Unverwundbar zu gelten. Es war schon so mein Ding und auch mein Stolz zu sagen: Ich gehe nicht nach Hause. Rückblickend war es einfach ein Fehler, sich nicht einzugestehen, dass man nicht mehr kann. Ich habe gedacht, dass die Fans es mir übel nehmen würden. Ich hatte Angst, als Versager zu gelten. Aber das war ein falscher und ein krankmachender Gedanke.

Sie haben Udo Jürgens erwähnt und wissen natürlich, dass das Leben laut einem seiner großen Hits mit 66 Jahren anfängt. Im November erreichen Sie diese Altersgrenze. Warum gehören Sie nicht zu den Künstlern, die etwas an sich machen lassen, um jünger zu wirken?

Mit Ausnahme der tiefen Falte um meinen Mundwinkel, die ich mir habe aufspritzen lassen, weil sie im Bühnenlicht nicht vorteilhaft aussah, habe ich nichts machen lassen. Ich habe mir die Falten verdient und meine Frau (Christin Stark; Anm. d. Red.), die 33 Jahre jünger ist, findet mich attraktiv. Vielleicht liebt sie mich auch und sagt es deswegen (lacht). Ich schaue aber auch in die Gesichter eines Keith Richards oder eines Ozzy Osbourne. Wenn diese Legenden auf die Bühne gehen, dann möchte ich sie nicht als Botox-Fratzen sehen. Ich möchte ihr Rock 'n' Roll-Leben in ihren Gesichtern sehen – und ich möchte ihnen glauben. Das kann ich aber nicht, wenn sie glattgezogen sind wie ein Pfirsich.

Wollen Sie noch möglichst lange Live-Konzerte geben oder würde es Ihnen irgendwann auch reichen, nur den einen oder anderen TV-Auftritt zu machen?

Ich will gar nicht ins Fernsehen, darauf könnte ich am ehesten verzichten. Auf Konzerte in großen Arenen aber will und werde ich nie verzichten. Solange mein Körper mitspielt, werde ich das machen. Mit Geld hat es nichts zu tun, sondern mit Lebensfreude. Die Welle an Energie und Freude, die dir das Publikum zurückgibt, macht süchtig. Ich gebe das nicht auf – selbst dann nicht, wenn ich eines Tages wie Phil Collins mit einem Rollator auf die Bühne kommen müsste.

Sie werden dieses Jahr Ihr bereits 1500. Konzert spielen. Dennoch gehören Sie dem Vernehmen nach zu jenen Künstlern, die vor einem Auftritt ziemlich aufgeregt sind. Wann verschwindet diese Nervosität?

In dem Moment, wenn ich die Bühne betrete. Vorher befinde ich mich immer in einem Modus der Nervosität und Selbstüberwachung. Schon einen Tag vor dem Konzert beobachte ich mich, ob ich vielleicht krank werden könnte. Dass man unruhig wird, weil man unbedingt abliefern will und muss, ist Teil des Lampenfiebers. Es gibt im Leben keine Garantie dafür, dass ich auftreten kann. Und in dem Moment, wenn ich die Bühne betrete, die Arme ausbreite und die ersten Töne singe, weiß ich, dass nichts mehr passieren kann. Die Bühne ist mein Wohnzimmer – doch ich muss erst einmal dort ankommen.

Eines wird man von Ihnen live nie zu sehen bekommen: akrobatische Kunststücke, wie sie eine Helene Fischer auf der Bühne hinlegt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von ihrem schweren Bühnenunfall erfahren haben?

Sie macht ihr Ding – und das kann sie. Natürlich kann immer mal etwas schiefgehen. Ich habe die Bilder von ihrem Unfall gesehen. Es hat mir für sie sehr leid getan. Helene macht etwas, das einmalig ist in Deutschland. Ich bin kein Akrobat und kann auch nicht tanzen. So etwas sollte ich daher schön sein lassen. Ich bringe etwas anderes mit, das die Menschen fasziniert: Ich kann Geschichten erzählen. Meine Songs sind deren Songs. Darauf bin ich sehr stolz und deshalb muss ich auch nicht aufs Trapez – was im Übrigen auch ziemlich lächerlich aussehen würde.

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