Malcolm X zählte zu den radikalsten Wortführern der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Vor 60 Jahren kam er bei einem Attentat ums Leben.
In der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung stellte Malcom X den militanten Gegenpart zu Martin Luther King (1929-1968) dar, der einen gewaltlosen Widerstand predigte. Während King seinen Traum von einem friedlichen Weg zu einer Nation ohne Rassendiskriminierung formulierte, betrachtete Malcolm X Gewalt als durchaus probates Mittel, um den "amerikanischen Albtraum" zu beenden und sich gegen die Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung zur Wehr zu setzen. Seine Ermordung bei einem öffentlichen Auftritt am 21. Februar 1965 in New York ist bis heute Gegenstand zahlreicher Spekulationen und Verschwörungstheorien.
Eine Kindheit im "amerikanischen Albtraum"
Dass der politische Aktivist seinerzeit zum zornigsten Mann der USA avancierte, hat viel mit den Erfahrungen zu tun, die er bereits in jungen Jahren machen musste. Malcolm X kam am 19. Mai 1925 in Omaha, Nebraska als Malcolm Little zur Welt. Sein Vater, Earl Little (1890-1931), war ein baptistischer Laienprediger, der zudem in der "Universal Negro Improvement Association and African Communities League (UNIA-ACL)" aktiv war, einer Organisation, die sich die weltweite Unterstützung von Menschen mit afrikanischer Abstammung auf die Fahnen schrieb und unter anderem eine Emigration aller Afroamerikaner nach Afrika befürwortete.
Im Jahr 1929 zog die Familie nach Lansing in der Nähe von Detroit, wo der Vater ein Haus in einer von Weißen bevorzugten Gegend kaufte. Als wenige Wochen später der Verkauf aufgrund der Hautfarbe seiner Familie wieder rückgängig gemacht werden sollte, zog er vor Gericht. Nachdem das Haus auf mysteriöse Weise in Flammen aufging, bezichtigte Earl Little Weiße der Brandstiftung - was vermutlich auch den Tatsachen entsprach. Die von Rassismus geprägte Polizei ging diesen Vorwürfen jedoch nicht nach, sondern bevorzugte es, den verzweifelten Vater erst einmal zu verhaften und zu schikanieren.
1931 wurde Earl Little von einer Straßenbahn überfahren und kam dabei ums Leben. Für seine hinterbliebene Familie stand jedoch fest, dass es sich dabei nicht um einen Unfall handelte. Wesentlich naheliegender erschien, dass der als politischer Aktivist bekannte Vater von weißen Rassisten zusammengeschlagen und dann auf die Schienen gelegt wurde. Eine Versicherungsgesellschaft, bei der Earl Little eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte, stufte seinen Tod dreist als Selbstmord ein und verweigerte eine Auszahlung.
Auch in den weiteren Jahren stand Malcolm Littles Jugend unter keinem guten Stern und war geprägt von traumatischen Erfahrungen mit institutionellem Rassismus. Seine Mutter Louise geriet nach dem Tod ihres Mannes zunehmend in eine psychische Schieflage und erlitt 1938 einen totalen Nervenzusammenbruch, als eine neue Beziehung scheiterte. Nachdem sie per Gerichtsbeschluss in eine staatliche Nervenklinik eingewiesen wurde, kamen ihre insgesamt sieben Kinder zunächst in Heime und wurden später bei Pflegefamilien untergebracht.
Aus der Armut in die Kriminalität
In der Schule überzeugte Malcolm zwar durch herausragende Intelligenz und gute Noten, musste jedoch nach dem Abschluss der Highschool frustriert erkennen, dass ihm aufgrund seiner Hautfarbe ein Studium verwehrt bleiben würde. 1941 zog er zu seiner Schwester nach Boston, wo er sich zunächst mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, jedoch bald in die Kriminalität abrutschte. 1944 kam er das erste Mal vor Gericht, nachdem er einen Pelzmantel gestohlen und verkauft hatte. Nach einigen Einbrüchen wurde er 1946 verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, wovon er sechs absaß.
Malcolm Little nutzte diese Gefängniszeit intensiv dafür, sich autodidaktisch weiterzubilden. In seinen Studien beschäftigte er sich vor allem mit den Bereichen Philosophie und Geschichte, zudem schulte er in Debattiergruppen seine rhetorischen Fähigkeiten. Der Legende nach schrieb er in seiner Zelle ganze Fremdwörterlexika ab, um sein Sprachniveau zu heben. Während seiner Haft machte er zudem über Briefe seines Bruders Philbert erste Bekanntschaft mit der religiös-politischen Organisation "Nation of Islam", zu deren oberstem Wortführer er nach seiner vorzeitigen Entlassung im Jahr 1952 aufsteigen sollte.
Radikaler Wortführer der "Nation of Islam"
Die seinerzeit von dem Bürgerrechtler Elijah Muhammad (1897-1975) geführte Organisation verfolgte ein Befreiungsprogramm, dass sich grundlegend von dem Ansatz Martin Luther Kings unterschied. Statt auf eine friedliche Integration der Afroamerikaner in die weiße Mehrheitsbevölkerung anzustreben, propagierte Muhammad einen auf Rassenzugehörigkeit basierenden Seperatismus.
Zu den Forderungen der auch als "Black Muslims" bekannten Vereinigung gehörte unter anderem ein eigener Staat für die Afroamerikaner auf US-amerikanischem Territorium. Während Martin Luther King eine Abkehr von vorherrschenden Rassismen anstrebte, entwickelte die "Nation of Islam" ihrerseits unter dem Schlagwort "Black Supremacy" ("Schwarze Vorherrschaft") ein eigenes rassistisches Programm, dass die Überlegenheit der schwarzen Rasse über die weiße propagierte. Nach seiner Gefängnishaft fand Malcolm Little in dieser Organisation eine neue Heimat und in ihrem Anführer Elijah Muhammad eine Art Ersatzvater.
Umbenennung in Malcolm X
Da die "Nation of Islam" den Nachnamen eines jeden Afroamerikaners lediglich als den Namen betrachtete, der seinen Vorfahren einst von Sklavenhaltern aufgezwungen wurde, legten ihre Mitglieder diese Nachnamen demonstrativ ab und ersetzten sie durch ein schlichtes X, das für ihren eigentlichen Familiennamen stand, der ihnen in der Vergangenheit geraubt wurde. Malcolm Little tat es ihnen gleich und nannte sich fortan Malcolm X. Unter diesem neuen Namen stieg er bald in der Organisation auf und wurde zu ihrem prominentesten Wortführer.
In dieser Position stellte der wütende junge Mann keine Aussöhnung mit der weißen Mehrheitsbevölkerung in den Vordergrund, sondern vielmehr die Vergeltung für erlittenes Unrecht. Zudem beschwor er das Recht der unterdrückten Schwarzen auf Selbstverteidigung gegen die herrschende Rassendiskriminierung und schloss in seinem Freiheitskampf Gewalt als legitimes Mittel nicht aus. Seine militante Perspektive machte er zahlreichen Reden und Schriften deutlich. Darin hieß es unter anderem: "Ich halte es für ein Verbrechen, wenn jemand, der brutaler Gewalt ausgesetzt ist, sich diese Gewalt gefallen lässt, ohne irgendetwas für seine eigene Verteidigung zu tun. Und wenn die 'christliche' Lehre so auszulegen ist, wenn Gandhis Philosophie uns das lehrt, dann nenne ich diese Philosophie kriminell."
Rückzug und politischer Neuanfang
Ein weiteres überliefertes Zitat aus den frühen 1960ern, "Wenn du nicht bereit bist, dafür zu sterben, dann streiche das Wort 'Freiheit' aus dem Vokabular", sollte Malcolm X schon bald auf dramatische Weise einholen - allerdings anders, als er sich dies vorgestellt hatte. Ende 1963 kam es zum Bruch mit dem Organisationsoberhaupt Elijah Muhammad, dem Korruption und Bereicherung vorgeworfen wurde. Weitere Konflikte ergaben sich aus Muhammads zahlreichen außerehelichen Beziehungen, die Malcolm X öffentlich thematisierte. Nachdem er die Ermordung John F. Kennedys (1917-1963) mit hämischen Worten kommentiert hatte, erhielt er zudem ein vorläufiges Redeverbot, dass ihn schließlich im März 1964 zum Ausstieg aus der "Nation of Islam" bewog.
Malcolm X beschloss, seinen Freiheitskampf fortan mit einer eigenen Organisation weiterzuführen, der er den Namen "Muslim Mosque Inc." gab und für die er eine Orientierung an orthodoxen islamische Prinzipien vorsah. Bevor er mit dieser neuen Organisation durchstartete, unternahm Malcolm X eine Pilgerfahrt nach Mekka, die einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterließ und ihn von seiner Vorstellung der "Black Supremacy" abrücken ließ. Nach einer viermonatigen Reise durch Afrika, bei der er Kontakt mit antikolonialistischen Kämpfern suchte, kehrte er in die USA zurück.
Aufgrund anonymer Morddrohungen stand Malcolm X, der sich mittlerweile in El Hajj Malik el-Shabazz umbenannt hatte, unter Polizeischutz, was allerdings nicht verhindern konnte, das Unbekannte im Februar 1965 einen Brandanschlag auf sein Haus verübten, dem er mit seiner Frau Betty Shabazz (1936-1997) und seinen sechs Töchtern nur knapp entging. In Interviews äußerte er seine Überzeugung, dass es die "Nation of Islam" auf ihn abgesehen hätte, um seinen Bruch mit ihrem Führer zu rächen. Nur eine Woche nach dem verheerenden Brandanschlag sollte diese Befürchtung traurige Realität werden.
Brutales Attentat in New York
Am 21. Februar hielt er im Audubon Ballroom in New York eine Rede, als zwei Zuhörer plötzlich einen lautstarken Streit begannen. Als sich seine Boyguards um die Störenfriede kümmerten, trat ein weiterer Mann vor die Bühne und feuerte mit einer abgesägten Schrotflinte direkt auf Malcolm X. Auch zwei weitere Attentäter feuerten auf den am Boden liegenden Bürgerrechtler, bei dem später Gerichtsmediziner insgesamt 21 Schusswunden feststellten. Die Explosion einer Rauchbombe sorgte für zusätzliches Chaos und ermöglichte zwei Attentätern die Flucht. Nur einer der Angreifer, das "Nation of Islam"-Mitglied Thomas Hagan (heute 83), konnte bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden.
Nach seiner Verhaftung gestand der damals 23-Jährige das Attentat, bezeichnete jedoch zwei weitere Männer, die von der Polizei als Komplizen ausgemacht wurden, als unschuldig. Muhammad A. Aziz und Khalil Islam, die ihre Unschuld ebenfalls vor Gericht beteuerten, wurden trotz dünner Beweislage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und kamen erst Mitte der 1980er wieder frei. Nach der Jahrtausendwende kamen jedoch neue Dokumente ans Licht, die nahelegten, dass das FBI und die New Yorker Polizei aktiv an dem Attentat beteiligt waren. Zudem erschien eine Tatbeteiligung der beiden mutmaßlichen Komplizen zunehmend unwahrscheinlich.
Im Jahr 2021 ließ die New Yorker Staatsanwaltschaft nach einer rund zweijährigen Untersuchung die Schuldsprüche gegen die beiden annullieren und räumte "schwerwiegende Justizirrtümer" ein. Im November 2022 wurde den Familien von Aziz und Islam schließlich eine Entschädigungssumme von 36 Millionen US-Dollar zugesprochen. Die genauen Umstände des Attentats bleiben bis heute im Dunkeln - und bieten weiterhin Stoff für düstere Verschwörungstheorien. (tj/spot) © spot on news
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