Als Comedienne ist Nicole Jäger dafür bekannt, Tabus zu brechen und den Finger in die sprichwörtliche Wunde zu legen. Diesen Spagat zwischen Humor und gesellschaftlichen Themen stellt die geborene Hamburgerin in ihrem neuen Comedy-Programm "Walküre" unter Beweis.

Ein Interview

Im Interview mit unserer Redaktion spricht die erfolgreiche Komikerin und Buchautorin Nicole Jäger über ihre Aufgabe als Comedienne, die Gefahren von Bodyshaming und die Zeit, in der sie sich in einer toxischen Beziehung mit häuslicher Gewalt befunden hat.

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Frau Jäger, beschreiben Sie uns Ihr neues Comedy-Programm "Walküre" bitte mit drei Worten.

Nicole Jäger: Ich könnte es mit acht Worten beschreiben.

Sehr gerne!

Wir können nicht alle eine Disney-Prinzessin sein.

Ihr Programm bringt das Publikum nicht nur zum Lachen, sondern lässt auch mal Tränen der Rührung oder der Wiederfindung in den Themen fließen. Wie gelingt Ihnen der Spagat, dass die Menschen gleichermaßen fröhlich, aber auch nachdenklich oder sogar empowert Ihre Show verlassen?

Ich habe das Gefühl, dass es meine Aufgabe als Comedienne ist, genau diese Gefühle hervorzurufen. Comedy ist eine sehr ernste Sache. Als Künstlerin habe ich eine Bühne, ein Mikrofon und ebenso Verantwortung. Ich weiß, wie es ist, sich nicht gut oder allein zu fühlen und vom Leben einen richtig harten linken Haken verpasst zu bekommen.

Genauso weiß ich aber auch, dass man all das am besten mit Humor übersteht und dass Gefühle absolut erlaubt sind. Ich möchte, dass mein Publikum etwas fühlt und sich gut unterhalten fühlt. Außerdem möchte ich, dass die Menschen im Publikum sich gesehen und verstanden fühlen. Denn sie sind nicht allein. Charlie Chaplin hat einmal gesagt: "Das Leben ist, aus der Nähe betrachtet, eine Tragödie, aus der Ferne gesehen aber eine Komödie" – ich finde, damit hatte er recht. Die eigene Situation ist manchmal unerträglich, aber sie wird besser mit Humor. Und sie geht vorbei.

Sehen Sie sich als ein Role Model?

Es wäre wahnsinnig selbstreferenziell, wenn ich das von mir behaupten würde. Insofern würde ich es nicht von mir sagen. Aber viele andere Menschen sagen es über mich.

Weil Sie Themen Sichtbarkeit verschaffen und anderen Perspektiven gewissermaßen eine Tür öffnen?

Ich versuche, die Frau zu sein, die ich gebraucht hätte, als es mir nicht gut ging. Sowohl mein zwölfjähriges Ich, mein jugendliches Ich als auch mein erwachsenes Ich hätte jemanden gebraucht. Doch da war niemand. Deswegen möchte ich anderen Menschen Mut machen, für sich selbst einzustehen, auch wenn das nicht immer einfach ist. Würde jeder Mensch für einen anderen einstehen, wäre alles bestens geregelt.

Darüber hinaus sind Frauen häufig unterrepräsentiert, vor allem übergewichtige Frauen oder Menschen, die in gewisser Weise ein wenig kaputt sind – aber sind wir das nicht alle irgendwie? Jenen Menschen aber das Gefühl zu geben, gesehen zu werden, ist mir wichtig und ich sehe es als meine Aufgabe, mit Klischees zu brechen. Nur Sichtbarkeit schafft Normalität. Trotzdem mache ich aber keine Problembär-Comedy. Mein Programm ist überwiegend einfach witzig und für jeden Menschen zugänglich.

Jäger: "Ich bin nicht nur die Dicke, die abnehmen muss. Ich bin sehr viel mehr"

Sie haben in der Vergangenheit über 300 Kilogramm gewogen und unter ärztlicher Aufsicht stark abgenommen. Wie ist Ihr heutiges Verhältnis zu Ihrem Körper?

Anders. Und damit meine ich zum Positiven. Eine Zeitlang war mein Körper nur mein Gewicht und mein Gewicht nur etwas, das geändert werden musste. Ich bin auch heute noch eine übergewichtige Frau, die daran arbeitet, ihr Gewicht zu regulieren.

Doch das ist inzwischen nicht mehr mein vordergründiges Thema. Dinge zu tun, mit denen es mir gut geht, steht deutlich vor dem Gedanken "Ich bin nur eine Zahl auf der Waage". Diese Sichtweise bedeutet für mich absolute Selbstfürsorge, steht aber genauso für meinen Selbstwert. Denn ich bin mehr wert als die Meinung eines anderen. Dieses Thema bringe ich auch auf die Bühne: Denn die Meinung eines anderen Menschen sollte niemals unseren Selbstwert bestimmen. Dieses Bewusstsein ist das, was sich für mich persönlich am meisten geändert hat: Ich bin nicht nur die Dicke, die abnehmen muss. Ich bin sehr viel mehr. Und vornehmlich bin ich vor allem ein Mensch, eine Frau und eine Künstlerin.

"Ich bin mehr wert als die Meinung eines anderen."

Nicole Jäger

Vor allem, wenn es um Körper und Äußerlichkeiten geht, fallen oft übergriffige Kommentare. Wie stehen Sie dazu?

Ich glaube, Menschen haben sich angewöhnt, sich zu wohl darin zu fühlen, andere Menschen abzuurteilen, und vergessen dabei, selbst nicht kugelsicher zu sein. Sicherlich spielt hier auch das Internetphänomen eine Rolle, dass Hater sich nicht damit konfrontieren, einen anderen Menschen zu verletzen. Man kann vollkommen anonymisiert irgendwelche Beleidigungen in die Tastatur hacken, ohne dabei der Person in die Augen zu blicken, die man gerade angeht oder bedroht. Das ist meiner Meinung nach die mit Abstand feigste Aktion. Zudem glaube ich, dass es diesen Menschen häufig selbst nicht gut geht. Ich stelle immer wieder fest, wie schnell wir in der Beurteilung anderer Menschen sind.

Inwiefern?

Der Körper eines Menschen ist das mit Abstand Privateste, Intimste und Persönlichste, was er hat. Dass andere Menschen sich anmaßen, darüber ein Urteil zu fällen, ist ein Unding. Auf welcher Grundlage tun sie das? Häufig spielt hier Halbwissen bezüglich Über-, Unter- oder Normalgewicht eine große Rolle. Dabei sind wir doch viel weiter mit unserem Wissen über Körperlichkeiten, Gesundheit oder Ernährung. Doch all das ist Menschen egal, wenn es darum geht, jemanden schlecht zu machen.

Nicole Jäger warnt vor Fatshaming

Oder Fatshaming zu betreiben …

Absolut. Fatshaming wird immer noch unter dem Deckmantel der Debatte um Gesundheit ausgeübt. Dabei sprechen wir hier von zwei unterschiedlichen Themen: Ästhetik und Gesundheit. Wenn mir jemand sagen würde, dass ich nicht seinem ästhetischen Empfinden entspreche, wäre das vollkommen in Ordnung für mich. Stattdessen wird aber gesagt, man mache sich Sorgen um meine Gesundheit. Dabei geht es hierbei nicht um Sorge, sondern um ein vorgeschobenes Argument, damit Menschen ihrer Körperphobie Ausdruck verleihen können. Doch solange man die betroffene Person, ihre Geschichte und ihren Gesundheitsstatus aber nicht kennt, darf man darüber keine Meinung haben. Ein dicker Körper ist nicht automatisch ein ungesunder Körper, ebenso wenig wie ein dünner Körper. Denn der Umkehrschluss würde lauten, dass alle normalgewichtigen Menschen gesund seien.

"Ein dicker Körper ist nicht automatisch ein ungesunder Körper, ebenso wenig wie ein dünner Körper."

Nicole Jäger

Sind Sie auch schon von Ärzten und Ärztinnen mit Fatshaming konfrontiert worden?

Klar. Inzwischen habe ich großartige Ärzte und Ärztinnen um mich herum, was sicher aber auch daran liegt, dass ich sehr offen mit dieser Problematik umgehe. Auch Ärzte sind nur Menschen und Menschen haben nun einmal Vorurteile. Es ist jedoch nicht die Aufgabe eines Arztes, mich abzuurteilen oder mir Schuld zuzuweisen. Dabei sollten wir hier nicht von Schuld, sondern von Erkrankungen sprechen. Geht ein Mensch zu einem Arzt, ist er bereits verletzt und in einer unterlegenen Situation. Als Arzt also dafür zu sorgen, dass dieser Mensch nach Hause geht und sich noch schlechter fühlt, ist meiner Meinung nach eine Form der Körperverletzung, weil auf emotionaler Ebene Schmerzen verursacht werden.

Wir sprechen hier also von einer Situation, die viele Menschen betrifft?

Ja, in meinem Publikum sitzen immer wieder übergewichtige Menschen, die nicht zum Arzt oder Vorsorgeuntersuchungen gehen – weil sie sich aus Angst vor Fatshaming nicht trauen, sich untersuchen zu lassen. Es gibt außerdem Studien, die aufzeigen, dass bestimmte Gruppen von Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten, Gewicht oder auch Herkunft medizinisch schlechter behandelt werden. Das ist ein großes Problem, weil Fatshaming oder Rassismus somit lebensgefährlich werden können. Das ist keine Kleinigkeit.

Natürlich kann man einen übergewichtigen Menschen auf sein Übergewicht hinweisen – das weiß diese Person aber ohnehin schon. Vielmehr sollen medizinische Impulse gesetzt werden, anhand derer die Betroffenen dann etwas an ihrem Zustand ändern oder eben nicht. Doch die Menschen sollen die Arztpraxis nicht verlassen und sich schlecht und minderwertig fühlen. Denn Heilung ist keine ausschließlich körperliche Angelegenheit.

Begriff "Body Positivity" hat an Bedeutung verloren

Der Begriff "Body Positivity" hat in den vergangenen Jahren extrem an Bedeutung gewonnen …

… und verloren.

Ist dieser Verlust der Bedeutung durch die hohe Präsenz und den Druck, den eigenen Körper unbedingt lieben zu müssen, entstanden?

Ich glaube schon. Zumal ich finde, dass der Begriff "Body Positivity" vollkommen falsch verwendet wird. Der Begriff ist inzwischen so gängig, dass Menschen, die ihn brauchen, nicht mehr verwenden können. Das heißt, dass auch mir regelmäßig abgesprochen wird, den Ausdruck "Body Positivity" zu verwenden, weil der Begriff vermeintlich nur für Menschen gedacht ist, die an ihrem Körper nichts ändern können. Das stimmt nicht.

Der Ursprung von "Body Positivity" stammt aus der Fat-Acceptence-Bewegung in den USA. Und obwohl der Begriff von Übergewichtigen stammt, wird es ihnen inzwischen abgesprochen, ihn zu benutzen. Dabei ist Positivität dem eigenen Körper gegenüber sehr wichtig und durch "Body Positivity" sollte vor allem Sichtbarkeit geschaffen werden. Doch die Menschen belegen die Normalität eines Körpers mit einem Wort, das darauf hinweist, akzeptiert werden zu wollen.

Nicole Jäger erlebte psychische Gewalt

Ein weiteres Thema, dem Sie Sichtbarkeit verschaffen, ist häusliche Gewalt. Sie selbst sind Überlebende psychischer Gewalt nach einer fünfjährigen toxischen Beziehung. Erzählen Sie uns von dieser herausfordernden Zeit.

Es ist der wohl schwierigste Aspekt, zu verstehen, dass psychische Gewalt Gewalt ist. Ein Fakt, den wir gnadenlos unterschätzen. In meinem Fall ging die Gewalt so weit, dass mein Ex-Partner versucht hat, mich zu erwürgen. Im Rahmen der Recherche für mein Buch "Unkaputtbar" habe ich mit Hunderten Betroffenen gesprochen und ein Feedback erhalten, das mich gleichermaßen überrascht und schockiert hat.

Denn unisono können alle Überlebenden körperlicher, psychischer oder sexualisierter Gewalt sagen, dass die psychische Gewalt das Schlimmste war. Dabei gibt es bei Gewalt natürlich kein Ranking – doch die psychische Gewalt beginnt meist mit Liebe, Lovebombing, extremer Aufmerksamkeit und dem Gefühl, die perfekte Person gefunden zu haben. Um also zu wissen, dass man psychische Gewalt erfährt, muss man zunächst einmal wissen, dass es psychische Gewalt gibt.

"Es ist der wohl schwierigste Aspekt, zu verstehen, dass psychische Gewalt Gewalt ist. Ein Fakt, den wir gnadenlos unterschätzen."

Nicole Jäger

Wie hat sich das in Ihrem Fall gezeigt?

Die psychische Gewalt ging ganz langsam los und nahm sukzessive zu. Plötzlich wurden Dinge, die der Partner zuvor noch toll fand, kritisiert, Freunde und Familie wurden schlecht geredet und eine Isolierung begann. Plötzlich ist alles, was man sagt und tut, falsch.

Das mag für Nicht-Betroffene banal klingen, doch wenn man immer damit rechnen muss, dass der Mensch, mit dem man zusammenlebt, plötzlich an die Decke geht oder zu brüllen beginnt, wird alles bedrohlich. Eine Partnerschaft sollte aber niemals bedrohlich sein. Irgendwann ist die Gewalt so groß und das eigene Selbstwertgefühl so klein, dass man nicht mehr weiß, was richtig oder falsch ist. Dieses Phänomen der Manipulation nennt sich Gaslighting. Durch diese Täter-Opfer-Umkehr stellen sich toxische oder bösartig narzisstische Menschen immer wieder als Opfer dar.

Nicole Jäger: "Eine von drei Frauen ist von Gewalt in Beziehungen betroffen"

Dachten Sie, Sie sind allein in Ihrer Situation?

Ja, ich dachte immer, hier handelt es sich um ein seltenes Phänomen. Ich bin damit aufgewachsen, zu glauben, so etwas könne nur einem bestimmten Typ Mensch passieren. Lange habe ich an das gängige Vorurteil "Irgendetwas scheint sie in der Beziehung ja sehen zu müssen, sonst würde sie sich ja trennen" geglaubt. Zu glauben, man selbst könne sich niemals in einer solchen Situation wiederfinden, ist kritisch.

Das zeigen auch die Zahlen: Eine von drei Frauen ist von Gewalt in Beziehungen betroffen. Es ist also statistisch ausgeschlossen, kein Opfer häuslicher Gewalt zu kennen. Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und keine Privatangelegenheit. Zumal wir hier von einer Gewalt sprechen, die zu einem hohen Prozentsatz tödlich endet. Aus genau dieser Angst schaffen viele Betroffene nicht den Weg aus der Beziehung – weil sie Angst um ihr Leben haben und ihr Partner sie auch wissen lässt, dass ihre Angst berechtigt ist.

"Eine von drei Frauen ist von Gewalt in Beziehungen betroffen. Es ist also statistisch ausgeschlossen, kein Opfer häuslicher Gewalt zu kennen."

Nicole Jäger

Wie können Opfer aus einer Beziehung mit häuslicher Gewalt herauskommen?

Durch Kommunikation. Sich mitzuteilen und Mitwissende zu schaffen, ist das Einzige, was hilft. Beziehungen mit häuslicher Gewalt isolieren die Opfer, sowohl emotional als auch körperlich und gesellschaftlich. Deshalb können nur Mitwissende helfen, den Weg herauszufinden. Damit meine ich alle Menschen, die Opfern begegnen – vom Postboten über die Friseurin bis hin zu Freunden und Familienmitgliedern.

Ich weiß, dass das nicht leicht ist, weil man sich schämt, doch es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Man ist Opfer, dafür darf sich niemand schämen. Es gibt auch Foren, Telefon-Hotlines und Plattformen, die Hilfe anbieten. Ich erinnere mich daran, damals einen Artikel über narzisstische Partner gelesen zu haben. Ich habe daraufhin meine beste Freundin angerufen und gesagt: "Ich bin nicht schuld. Er ist es." Damals kam es mir vor, als sei dieser Artikel explizit über meinen Ex-Partner geschrieben worden, denn toxische Menschen handeln alle gleich.

Wenn Sie selbst von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind, wenden Sie sich bitte an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" - 116 016 oder dessen Online-Beratung, das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" - 0800/1239900 oder dessen Online-Beratung, oder an das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" 0800/225 5530 (Deutschland), die Beratungsstelle für misshandelte und sexuell missbrauchte Frauen, Mädchen und Kinder (Tamar) 01/3340 437 (Österreich) beziehungsweise die Opferhilfe bei sexueller Gewalt (Lantana) 031/3131 400 (Schweiz).

Wenn Sie einen Verdacht oder gar Kenntnis von sexueller Gewalt gegen Dritte haben, wenden Sie sich bitte direkt an jede Polizeidienststelle.

Falls Sie bei sich oder anderen pädophile Neigungen festgestellt haben, wenden Sie sich bitte an das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden".

Hilfsangebote für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.

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