Da ist sie schon wieder dahingerauscht. Schneller, als Hertha BSC "Relegation" sagen kann. Die Kalenderwoche 19. Vollgepackt mit Wochenrückblick-Material, damit Ihre KW20 wenigstens mit einem brauchbaren Lesestück beginnt.
Machen wir es zur Steigerung der vermutlich ohnehin schon kaum erträglichen Spannung doch so, wie es mittlerweile inzwischen offensichtlich für jede TV-Serie auf Netflix, Apple TV & Co. Vorschrift zu sein scheint: Zur spannungsförderlichen, unkonventionellen Dramaturgie-Disruption starten wir mit dem Ende und hangeln uns dann chronologisch rückwärts die Zeitleiste entlang.
Die Woche endet nämlich mit dem etwas verwirrenden Landtagswahl-Triple. Nach dem Saarland (Erdrutsch-Sieg für die SPD) und Schleswig-Holstein (ähnliches für die CDU) trat man am Sonntag im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen an die Wahlurnen. Erdrutsche waren diesmal nicht zu verzeichnen. Auch für die journalistische Aufbereitung eher kein Glücksfall, denn plötzlich konnte jede Seite für sich einen Wahlerfolg reklamieren.
Die CDU konnte zulegen. Die SPD nicht, dafür aber behaupten, die bisherige Regierungskoalition wäre klar abgewählt worden. Und bei den Grünen, denen vor einigen Wochen bei einer Bundesregierungsbeteiligung von
Gut, alle Parteien können jubeln – das ist natürlich etwas verkürzt dargestellt. Stichwort verkürzt: FDP und AfD büßten teilweise brutal an Stimmen ein. Zusammen kommen sie auf weniger Prozent, als die Grünen allein hinzugewinnen konnten. Dennoch, auch das ist Demokratie, sind beide wohl im neuen Landtag vertreten. Haarscharf konnte AfD sogar ihrem neuen Parteitrend trotzen, in den kommenden vier Jahren aus allen Landtagen wieder rauszufliegen. In Anbetracht der intellektuellen Struktur der gesellschaftsrelevanten Beiträge ihrer Protagonisten in den letzten Monaten, wenn man so will, durchaus doch ein Wahlerfolg.
Die Intelligenzen sind verschieden
Es gab aber auch viel zu lachen in dieser Woche. Ich beispielsweise bin am Samstag nach mehr als zweieinhalb Jahren Corona-Abstinenz mal wieder ins Westfalenstadion Dortmund gereist. Michael Zorc wurde nach 44 Jahren verabschiedet. Als er 1981 als Profi bei Borussia Dortmund debütierte, war ich noch lange nicht geboren.
Er träumte beim damals eher als graue Maus geltenden BVB davon, mit dem Verein Meister zu werden, Pokalsieger oder sogar die Champions League zu gewinnen. Träume wie diese bei einem Verein, der sowohl finanziell noch sportlich damals der zweiten Liga näher war als der Belle Etage des Europäischen Fußballs, wurden verlacht. Zorc spielte in den kommenden 17 Jahren 463 Bundesligaspiele für den BVB, erzielte dabei 131 Tore und wurde, Sie werden es ahnen: Meister, Pokalsieger und holte die Champions League. Seine Träume wurden unsere Geschichte.
Für den Weg von Hamburg in die Fußballhauptstadt Deutschlands nahm ich den ICE. Die interessanteste Erkenntnis dieses Samstagvormittags in einem Fernzug der Deutschen Bahn lautete: 90 Prozent der Fahrgäste trugen Maske. Zehn Prozent verweigerten das Tragen. Ich widmete dieser Beobachtung einen Tweet. Der beschäftigte sich auch damit, dass diese zehn Prozent auch optisch nicht unbedingt den Eindruck vermittelten, man würde gerade einem Nobelpreisträger gegenüberstehen. Offensichtlich wurde dieser Tweet von den zehn Prozent maskenlos reisenden Bahnkunden nicht nur sehr schnell aufgefunden, sondern auch wissenschaftlich hochwertig kommentiert. Die mit Abstand häufigste, mehrere hundert male angeführte Kommentarlinie der selbsternannten Helden der Resistance lautete: Ich als vollkommene Idiotin solle doch endlich mal akzeptieren, dass jeder seine Maske freiwillig tragen darf oder eben auch nicht.
Wenn die Masken fallen
Ja, Sie lesen richtig. Es wurde schnell klar: Die Allianz der Ahnungslosen zieht ihre evidenzbasierten Superfakten über Pandemie und Corona-Maßnahmen offenbar ausschließlich aus den beiden akademisch wertvollsten Quellen unserer Zeit: Telegram und YouTube. Die Heerschaar stolzer Absolventen dieser beiden hochdekorierten und renommierten Bildungsikonen brachte es tatsächlich fertig, das Tragen von Masken als "freiwillig" zu deklarieren. Und die, die Masken tragen, als "Deppen, die auch Scheiße fressen würden, wenn die korrupte Regierung ihnen das sagt".
Zweitplatziertes Topargument war, dass dann ja im Supermarkt 80Prozent der Menschen auch dumm wären, denn würde sich das Verhältnis Maske/keine Maske umgekehrt proportional verhalten. Obwohl ich den Damen und Herren aus der Querdenker-Schwurbel-Community da nicht Unrecht tun möchte: "Umgekehrt proportional" hat von denen natürlich keiner gesagt. Das einzige Fremdwort, das in diesen Kreisen populär benutzt wird, lautet "Aerosole". Ob es immer korrekt verstanden wird, ist allerdings eine andere Frage. Jedenfalls war man sich unter den diplomierten Präventions-Genies schnell einig: Menschen wie ich hätten damals auch Hitler zugejubelt. Im faktenorientiert eher niedrigschwelligen Milieu gibt es offensichtlich unterdessen mehr selbsternannte Sophie Scholls als Bundestrainer, Gesundheitsminister und Russlandexperten zusammen.
Dass das Tragen von Masken in den Zügen der Deutschen Bahn keinesfalls freiwillig geschieht, sondern Vorschrift ist, war intellektuell an 100 Prozent der Kommentatoren vorbeigezischt. Regeln, Gesetze oder Vorschriften spielen in Kreisen, die Masken als "Staublappen" und Geimpfte als "mit Gift gespritzte" bezeichnen, anscheinend keine besonders große Rolle. Selektives Auswählen der Gesetze, an die man sich zu halten gedenkt, gepaart mit totaler Faktenignoranz. Eine wirklich bemerkenswerte Mischung.
Die Definition von Wahnsinn
Ach ja – und dann gab es natürlich auch noch den jährlichen Auflauf musikalischer Peinlichkeiten und exaltierter Paradiesvögel. Der Eurovision Song Contest. Dieses Jahr im Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. Das zeigte sich auch am Ergebnis. Nach der Jurywertung der 40 beteiligten Länder lag noch Großbritannien vorne. Dann aber schlug das Zuschauervoting zu und katapultierte die Band Kalush Orchestra aus der Ukraine auf das Siegertreppchen. Sympathie für das verbrecherisch von Wladimir Putin angegriffene Land spielte dabei eine Rolle – aber nicht nur. Der Beitrag wäre auch ohne diesen Kontext nicht chancenlos gewesen.
Ganz anders als der Deutsche. Es ist schon eine beeindruckende Serie, die der verantwortliche NDR da Jahr für Jahr bestätigt. Albert Einstein soll mal gesagt haben: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten". Getreu dieser Definition schafft der NDR es regelmäßig, Deutschlands Träume vom ESC-Triumph konkurrenzlos auf dem letzten Platz verenden zu lassen. An der Hamburger Rothenbaumchaussee ist man offensichtlich musikalisch so am Puls der Zeit wie die Wildecker Herzbuben und verfügt über ein so treffsicheres Gespür für Trends, dass man vermutlich spätestens zur ESC-Saison 2024 sogar einen eigenen MySpace-Account etabliert hat.
Schlechter jedenfalls als in den letzten ESC-Jahren hätte man auch nicht abgeschnitten, wenn man statt der mühsam ausgewählten Interpreten einfach Christoph-Maria Herbst in den Wettbewerb geschickt hätte, der als "Bernd Stromberg" den Song "Der Papa wird’s schon richten" gesungen hätte. Begleitet von Bjarne Mädel (als "Ernie Heisterkamp") auf der Blockflöte und Fat Comedy auf der Maulschelle. Bis zum nächsten ESC sind es allerdings noch zwölf Monate – bis zum nächsten Wochenrückblick nur sieben Tage. Ein Grund zum Feiern, wie ich finde. Bis nächste Woche!
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