Eine Arte-Doku versucht herauszufinden, was der "Taylor-Swift-Effekt" ist. Dafür besucht sie sogar ihre alte Kunstlehrerin - samt Fan-Schrein im Keller.

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"Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über Taylor Swift berichtet wird", heißt es ganz am Anfang der Dokumentation von Regisseur und Autor Aaron Thiesen. Das kann so stehenbleiben, in den letzten Monaten war die US-Sängerin überall. Erfolgreichste Tour aller Zeiten, mehr Streams als die Beatles, es heißt, sie könne mit ihrer Meinung den Ausgang der US-Wahl beeinflussen.

Am 10. September sprach sie sich für Kamala Harris aus, Donald Trump war nicht erfreut. Er schrieb auf seiner eigenen Plattform Truth Social: "I hate Taylor Swift". In Großbuchstaben.

Nur, wie konnte das geschehen, dass die Meinung eines Popstars den möglichen nächsten Präsidenten der USA verärgert? Eine Antwort auf diese Frage versucht "Taylor Swift. Pop-Ikone und politische Hoffnungsträgerin" (Freitag, 1. November, 21:45 Uhr auf Arte und in der Mediathek) zu finden.

Zunächst zeichnet Aaron Thiesen die Karriere von Taylor Swift nach. Das macht der Regisseur und Autor liebevoll: Wir sitzen im Keller mit Swifts ehemaliger Kunstlehrerin, die dort so etwas wie einen Schrein für ihre einstige Schülerin aufgebaut hat. Sie zeigt ein Video von Swift auf einem Röhrenfernseher, den sie nur aus diesem Grund aufbewahrt hat. Taylor Swift steht da, mit Gitarre auf der Bühne, die Gesten sind zu erkennen, das Lächeln, aber alles wirkt zurückhaltender. Klar, es ist eine Schulaula und nicht der Madison Square Garden.

Taylor Swift: Mit Social Media zum Star

Schon in der zweiten Klasse verkündet Taylor Swift, sie wolle Sängerin werden. Als sie 14 Jahre alt ist, ziehen ihre Eltern mit ihr nach Nashville, dem Zentrum der Country-Musik in den Vereinigten Staaten. Swift wird entdeckt, bekommt einen Plattenvertrag, die Experten im Film sagen das, was sie im Nachhinein immer sagen: "Sie hatte Talent."

Was folgt, ist wichtiger: Die Sängerin war schon früh aktiv auf Social Media, zunächst bei MySpace und YouTube. Sie antwortet Fans selbst, sie lädt sie zu Treffen ein. Der nahbare Star, der genauso ist wie die vornehmlich jungen Frauen, die ihre Musik hören, der in ihren Songs ihre Gefühlswelt nachzeichnet. Die Formel, die bis heute Swifts Erfolg begründet.

Es folgen Menschen vor Konzerthallen, ohne die eine Doku über die Sängerin mittlerweile nicht mehr auskommt. All die Liebe, die Freundlichkeit, das Armbänder tauschen, bis die Arme aussehen wie einst bei Wolle Petry. Für den gaben die Fans aber nicht hunderte Dollar aus, Tickets, Reise, Hotel und Merchandise, quer durch Europa, Taylor-Swift-Fan, ein Vollzeit-Job. Der Film lässt das unkommentiert so stehen, wie eigentlich jeder Bericht über die Sängerin. Zu überwältigend positiv ist das allgemeine Bild von Swift und ihren Fans in der Öffentlichkeit.

Der Streit mit Kanye West macht sie berühmt - sagt zumindest er

Brüche bekommt das Image nur einmal. Der Film zeigt den Auslöser: 2009 stürmt Kanye West die Bühne der MTV Awards, Taylor Swift hat gerade den Preis für das beste Video einer weiblichen Künstlerin gewonnen. Er schnappt sich das Mikrofon und fordert, dass die Trophäe an Beyoncé gehen müsse. Zum besseren Verständnis: Kanye West ist damals noch nicht der Spinner, zu dem er sich später in der Öffentlichkeit entwickelte, er ist der größte Popstar der USA, an seiner Seite Kim Kardashian, sie sind das Power Couple, größer als Taylor Swift. Die steht nur da und ist überfordert.

Es ist der Auftakt einer jahrelangen Fehde, in der sich die beiden aus dem Weg gehen, annähern und wieder entfernen, bis West 2016 in seinem Song "Famous" diese Zeilen rappt: "For all my South Side N*** that know me best, I feel like me and Taylor might still have sex. Why? I made that bitch famous." Im Video dazu liegt eine nackte Wachsfigur von Swift neben ihm und anderen Prominenten wie Kim Kardashian, Donald Trump und Bill Cosby im Bett.

Die Zeilen sorgen für einen Skandal, West behauptet, er habe vorab das Einverständnis von Taylor Swift eingeholt, die widerspricht. Ein Video des Telefonats widerlegt sie, auch wenn West die Zeile "I made that bitch famous" unterschlägt. 2024 ist das gesamte Video geleakt worden. Darin ist zu hören, dass sie sich darauf geeinigt haben, dass er er ihr das fertige Lied schickt - was aber nie passiert ist.

Das ist der Moment, wo es in der Dokumentation "Der Taylor-Swift-Effekt" interessant wird, weil es der einzige Bruch in der perfekt konstruierten Karriere der Sängerin ist. Es folgen negative Schlagzeilen und Swift zieht sich ein Jahr zurück. Leider steigt der Film hier nicht tiefer ein, er springt zu ihrem Album "Reputation", zu Deutsch "Ruf", in dem sie die Auseinandersetzung mit West thematisiert und sich wehrt. Danach stehen Sieger und Gewinner fest: Taylor Swift wird zur Ikone, Kanye West zum Antisemiten und Trump-Anhänger.

Lange Zeit unpolitisch

Bis es in der Dokumentation endlich um Taylor Swifts politische Bedeutung geht, ist der Film fast vorbei. Das liegt vor allem daran, dass sich die Sängerin in dieser Richtung lange Zeit nicht äußerte. Als Donald Trump 2016 gegen Hillary Clinton antrat, wartete alle Welt auf Swift, die schwieg. Sie schob es auf die Countryszene, die sich meist bei politischen Kommentaren enthält, vor allem, wenn es um liberale Einstellungen geht.

Die Band Dixie Chicks kostete 2003 ein kritischer Satz gegen den damaligen Präsidenten George W. Bush die Karriere. Doch 2016 ist Taylor Swift schon längst nicht mehr in der Country-Szene verwurzelt, sie lebt in New York und ist ein globaler Popstar. Bis sie sich als Demokratin bekennt und für die LGBTQ-Bewegung eintritt, dauert es noch weitere zwei Jahre. Der Zeitgeist hat sich da längst gedreht.

So schafft es "Taylor Swift. Pop-Ikone und politische Hoffnungsträgerin" bis zum Schluss nicht, seinem Titel gerecht zu werden. Die Dokumentation ist ein interessanter Einstieg für alle, die bisher wenig über Swift wussten, die das Phänomen verstehen wollen. Die Ansätze darüber hinaus, etwa ihre frühe Social-Media-Strategie, die enormen Summen, die sie ihren Fans abverlangt und die Frage, wie viel an Taylor Swift authentisch ist und was nur Inszenierung, will die Dokumentation nicht weiter ausführen. Vielleicht, weil sie es nicht kann.

Taylor Swift ist längst in Dimensionen entschwunden, die kaum ein Popstar je erreicht hat. Da ist schwer, noch an die Frau heranzukommen, die einst in der Aula ihrer Schule sang.

"Taylor Swift. Pop-Ikone und politische Hoffnungsträgerin" läuft am Freitag, 1. November, um 21:45 Uhr auf Arte und in der Mediathek.

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