Vor zehn Jahren gelang Liedermacher Joris mit dem Song "Herz über Kopf" der Durchbruch. Am 14. Februar erscheint sein viertes Album "zu viel retro". Wir haben mit dem 35-jährigen Singer-Songwriter gesprochen.
Joris erzählt vom Entstehungsprozess des neuen Albums und erklärt, wie er zu KI-Hilfe beim Songwriting steht.
Es wird aber auch politisch: Der Singer-Songwriter blickt mit Sorge auf die zunehmende Spaltung in Deutschland und bezieht klar Stellung gegen Rassismus und Rechtsextremismus.
Joris: In erster Linie ist mein Herz voller Dankbarkeit – dafür, dass ich seit zehn Jahren den wahrscheinlich schönsten Job der Welt machen darf.
Ihr neues Album erscheint am Valentinstag. Im Titelsong heißt es: "Zu viel Retro macht das Herz schwer." Dabei wurde das Album – ganz retro, wie früher üblich – mit Band in einem Raum aufgenommen, die Musik kommt handgemacht daher ...
Ja. Wenn ich mit der Arbeit an einem Album beginne, dann fange ich eigentlich immer erst einmal an zu schreiben. In den wenigsten Fällen denke ich mir bereits im Vorfeld das ganze Konstrukt aus. Diesmal war es so, dass wir zusammen in jenes Tonstudio gegangen sind, in dem wir als Band unser erstes Album aufgenommen haben. Wir haben uns darauf zurückbesonnen, gemeinsam handwerklich Musik zu machen. Damit meine ich, dass keine KI und auch nicht allzu viel Computer-Unterstützung im Spiel war. Jeder hat sein Instrument in die Hand genommen. Wir haben uns in diesem Raum sogar wie auf einer Live-Bühne aufgebaut und uns zusammen eingespielt. All das ist schon absolut nicht 2025. Doch wie so oft im Leben ist der Plan, den man am Anfang hat, nicht der, den man am Ende auch durchzieht.
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Was hat sich verändert?
Eigentlich versuche ich, mein Privates ja für mich zu behalten, doch in diesem Fall gehört es einfach zur Geschichte dazu. In meinem Leben sind zuletzt ein paar Dinge passiert, die nicht wie geplant gelaufen sind. Es gab eine Zeit, in der meine Freundin krank wurde und in die Klinik gehen musste. Da ich Familienvater bin, mündete das Ganze in ein wildes Jonglieren. Einerseits war ich der Chef, der so tut, als ob er seinen Zeitplan im Studio noch absolut unter Kontrolle hätte. Und andererseits war ich bemüht, unsere Jüngsten die Sorgen und Ängste, die ich um meine Partnerin hatte, nicht spüren zu lassen. Das ist mal mehr und mal weniger gut gelungen.
Bei all den großen Fragen, die ich auch als politisch engagierter Mensch nach wie vor habe, war für mich in dieser Zeit mehr denn je wichtig, das Wesentlichste um mich herum zu haben. Dazu passt auch diese Rückbesinnung auf die Band, die bereits seit zehn Jahren an meiner Seite ist. Das sind gute Freunde, die mir Sicherheit geben und auf die ich mich verlassen kann.
Wie es zu Joris' Teilnahme bei "The Masked Singer" kam
Wie passt da Ihre Teilnahme auf fremdem Terrain bei "The Masked Singer" Ende des vergangenen Jahres ins Bild?
Mehrere Jahre lang wurde ich von Matthias Opdenhövel angefragt. Leider musste ich ihm immer wieder absagen, weil ich das Gefühl hatte, dass "The Masked Singer" nichts für mich wäre. Die ständige Werbung und die Stimmenverzerrungen haben mich schon als Zuschauer immer ein bisschen abgeschreckt. Diesmal habe ich aber zugesagt, weil ich es einfach mal ausprobieren wollte. Außerdem war mein Album zu diesem Zeitpunkt weitgehend fertig. Und ich muss zugeben: Da mitzumachen hat unwahrscheinlich Bock gemacht – auch wenn es total anstrengend war, in diesem Kostüm zu stecken.
Sie haben betont, dass Ihr Album ohne KI entstanden ist. Was spricht dagegen, Künstliche Intelligenz beim Songwriting zur Hilfe zu nehmen?
Es geht mir nicht darum, Dinge zu verteufeln. Nur meine künstlerische Herangehensweise ist eine handwerkliche. Ich habe schon immer Instrumente gespielt und liebe es, gemeinsam mit anderen Menschen Musik zu machen. Aus meiner Sicht steckt darin eine Magie und Energie, die ich woanders nicht finden kann. Ich habe aber überhaupt nichts gegen die Menschen, die mit KI arbeiten und damit bestimmt tolle Kunst erstellen. Es gibt da kein richtig und kein falsch.
"Ich habe etwas dagegen, dass sich KI-Firmen meiner Kunst bedienen, um dieses Netz zu füttern.
Ich habe nur etwas dagegen, dass sich die KI-Firmen meiner und der Kunst anderer Künstlerinnen und Künstler bedienen, um dieses Netz zu füttern. Darin sehe ich ein großes Problem. Was unsere Arbeit betrifft, sind wir diesen nicht ganz perfekten Weg bewusst gegangen. Wenn ich an mein erstes Album zurückdenke, hätte ich es niemals zugelassen, dass wir alle zum Teil so "rumpelig" spielen. In Wahrheit liegt für mich aber genau darin das Erstrebenswerte. Die Menschen fühlen, wenn etwas organisch gespielt ist.
Andererseits singen Sie in "billiger love song": "Jede Zeile, die ich schreibe, gab's schon." Wären KI-Tools wie ChatGPT aus Songwriter-Sicht da nicht ein guter Impulsgeber?
Das ist ja genau die Frage. Kann die KI denn überhaupt etwas Neues erschaffen? Sie bedient sich doch eigentlich nur irgendwelcher Dinge, die es schon gibt. Ich bewege mich hierbei aber auf dünnem Eis, weil ich wirklich kein Experte bin. Was ich damit aber sagen möchte, ist: Am Ende des Tages funktioniert unsere KI, die wir im Kopf haben, doch ähnlich. Auch ich lasse mich natürlich von anderen Bands oder Künstlern inspirieren.
Was steckt dahinter, dass sowohl der Albumtitel als auch sämtliche Songtitel kleingeschrieben sind?
Das ist eine gute Frage, die ganz einfach zu beantworten ist: Aus einem ursprünglichen "Social-Media-Post-Fehler" ist für uns ein Stilmittel geworden.
Die KI ist per se erst einmal alles andere als retro, Social Media ebenso wenig. Wie nutzen Sie soziale Netzwerke?
Die Social-Media-Komponente ist mittlerweile viel wichtiger geworden als die Musik. Das mag ich noch nicht akzeptieren.
Sätze wie diese hört man selten aus dem Mund eines Mitte 30-Jährigen.
Das mag sein. Dennoch möchte ich gar nicht so sehr als Person des öffentlichen Lebens stattfinden. Ich bin froh, wenn die Leute überhaupt noch "Herz über Kopf" kennen, obwohl der Song ja gar nicht so alt ist. Dass diesen Song ein Künstler namens Joris gesungen hat, wissen vielleicht nur noch die Hälfte der Leute, die das Lied kennen. Ich bin Musiker und kein Influencer. Dazu stehe ich auch, obwohl ich natürlich weiß, dass das gerade nicht dem Zeitgeist entspricht.
"Wir müssen sehr aufpassen, dass die gefährlichen Feuer aus der Zeit der Weimarer Republik nicht wieder entfacht werden."
Insbesondere als Künstler hat man eine Stimme, die Sie im politisch-gesellschaftlichen Kontext auch immer wieder erheben. Wie ordnen Sie den unruhigen Jahresstart, von
Zunächst einmal ist mir wichtig zu sagen, dass ich kein Politikwissenschaftler bin. Obwohl meine Freundin Politologin ist und wir regelmäßig gute Gespräche führen, würde ich mir nie anmaßen, eine fachliche Analyse abzugeben. Wenn ich mich also politisch äußere, dann mache ich das als Privatperson.
In Ordnung. Wie blickt die Privatperson Joris auf die aktuelle Gemengelage?
Mit Blick auf den Jahresstart fällt mir auf, dass Donald Trump den Ukraine-Krieg nicht – wie zuvor angekündigt – am ersten Tag seiner Präsidentschaft beendet hat. Leute wie er geben uns das Gefühl, als ob sie Antworten hätten. Sie haben aber keine Antworten. Auch in Deutschland findet unheimlich viel Spaltung statt. Und das scheint offensichtlich sogar Konzept zu sein, wie die jüngste Friedrich-Merz-Debatte zeigt. Dieses Asylgesetz ist kein Gesetz, es kommt nichts dabei rum – außer heiße Luft. Früher war ein Shitstorm noch etwas wirklich Schlimmes. Heute hat man den Eindruck, dass Politiker Shitstorms als taktisches Mittel mit einplanen.
Als erschreckend empfinde ich, dass eine demokratische Partei der vermeintlichen Mitte, nämlich die CDU, auf einmal bereit ist, mit den Rechtsextremen dieses Landes in Teilen zusammenzuarbeiten. Das ist eine neue Qualität. Ich habe mit meinem Pass eine gewisse Bürde und eine gewisse Pflicht. Man kann die Demokratie kritisieren. Dennoch glaube ich, dass sie die beste Staatsform ist, in der ich leben möchte. Wir müssen sehr aufpassen, dass die gefährlichen Feuer aus der Zeit der Weimarer Republik nicht wieder entfacht werden. Denn wir alle wissen, was sie anrichten können. Im Übrigen war es auch damals ein schleichender Prozess.
Politische Verantwortung: "Man kann nie genug tun!"
Wünschen Sie sich mehr Support aus der Künstler-Bubble, also von Kolleginnen und Kollegen, die sich so deutlich wie Sie gegen Rassismus und Rechtsextremismus positionieren?
Sie haben richtig erkannt, wogegen ich einstehe. Noch wichtiger ist mir aber darauf hinzuweisen, wofür ich einstehe. Nämlich dafür, dass wir unsere Demokratie schützen. Dafür, dass wir ein vielfältiges Land sind. Dafür, dass wir aufeinander achtgeben. Und dafür, dass wir einander aushalten – ob mit Blick auf verschiedene Meinungen oder verschiedene Musikrichtungen, um wieder auf mein Metier zurückzukommen. Ich wünsche mir, dass wir feststellen, wie schön es ist, Vielfalt zu haben.
Um aber Ihre Frage nach der Künstlerinnen- und Künstler-Bubble zu beantworten: Ich finde, dass diese Bubble sehr aktiv ist. Vor allem in meinem Umfeld nehme ich wahr, dass sich viele Menschen positionieren. Ich persönlich werde nach wie vor meine Stimme und meine Möglichkeiten nutzen, um für Demokratie einzustehen – und das weiterhin gerne auch auf der Bühne. Klar ist aber: Man kann nie genug tun! Leute, die wie ich in einen funktionierenden Rechtsstaat hineingeboren worden sind, müssen lernen, dass die Demokratie gepflegt werden möchte. Anders als in der Social-Media-Welt üblich, in der wir uns selbst inszenieren, können wir mit Blick auf die Gesellschaft nur zusammen funktionieren. Dafür sollten sich alle einsetzen. Ich zumindest werde es tun.
Über den Gesprächspartner
- Joris, mit vollem Namen Joris Ramon Buchholz, ist ein deutscher Popsänger und Liedermacher, dem 2015 mit seiner Debütsingle "Herz über Kopf" der Durchbruch gelang. Neben Auftritten in TV-Shows wie "Sing meinen Song – Das Tauschkonzert" oder "Joko & Klaas gegen ProSieben" nahm Joris 2024 an der elften Staffel der Musikshow "The Masked Singer" teil und belegte den zweiten Platz. Im März 2025 spielt Joris seine Tour zum Album „zu viel retro“.
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