Wie sinnvoll ist die von Andreas Gabalier angeregte Debatte um die Bundeshymne? Martha Scholz ist Soziologin und Emanze. Die Gender-Expertin resümiert im Interview die neu aufgeflackerte Gender-Diskussion.
Frau Scholz, Sie sind Soziologin mit Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung und leiten ein Zentrum zur Förderung von Frauengesundheit in Oberösterreich. Sind Sie eine Emanze?
Martha Scholz: Ich bin eine emanzipierte Frau. Früher wurde das Wort "Emanze" negativ gewertet – heute ist es positiv konnotiert. Ich lebe in einer gleichberechtigten Beziehung und habe einen Sohn, dem ich beibringe, dass sowohl Frauen als auch Männer alles im Leben erreichen können. Dass sie gleichwertige Menschen sind, die für gleiche Arbeit gleich viel verdienen müssen. Und dass private Aufgaben nicht nur Angelegeheit der Frauen sind - Stichwort Haushalt.
Wie wichtig ist Ihnen die Debatte um die Bundeshymne?
Ich finde sie unnötig. Der Text der Bundeshymne ist Gesetz und bedarf keiner weiteren Diskussionen. Ich diskutiere ja auch das Frauenwahlrecht nicht mehr. Oder Tempo 130 auf Autobahnen. Das sind alles Dinge, die vom Gesetzgeber vorgegeben sind, da muss man nicht mehr diskutieren. Punkt.
Frauen auch in der Sprache sichtbar zu machen, finde ich sehr wichtig. Für mich ist das in meinem Sprachgebrauch selbstverständlich und automatisiert – privat wie beruflich. Ich sehe es als große Errungenschaft im Sinne der Gleichberechtigung an, dass Frauen nicht immer nur "mitgemeint" sind.
Hätte man den Diskurs glücklicher gestalten können?
Das Schließmuskel-Zitat von Maria Rauch-Kallat war sicher ein Eigentor. Es ist klar, dass die Medien im Sommerloch solche Zitate rauf und runter spielen. So etwas steigert Verkaufszahlen und bringt ZuseherInnen. Man hätte sich auf die Debatte erst gar nicht einlassen, sondern sie in der Glut ersticken sollen. So ist daraus eine richtige Hetze geworden.
Es ärgert mich, dass durch diese künstlich aufgeblasene Diskussion Emanzipation und Feminismus wieder in ein schlechtes Licht gestellt werden. Aber genau diese derzeit belächelten Verfechterinnen haben einen langen Weg hinter sich und viele Errungenschaften für uns Frauen hervorgebracht.
Laut einer Umfrage des Radiosenders Ö3 sind mehr als 90 Prozent dafür die Bundeshymne ohne die Töchter zu singen. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Es sagt aus, dass bei Umfragen von Radiosendern nur ein gewisses Publikum abstimmt. Wenn Sie die gleiche Umfrage in einem Qualitätsmedium machen, wird ein anderes Ergebnis herauskommen, als wenn Sie eine Studie bei einem Meinungsforschungsinstitut in Auftrag geben. Von Repräsentativität sind wir bei dieser erwähnten Umfrage weit entfernt.
Wie praktisch ist das Binnen-I im alltäglichen Leben?
Es unterbricht den Lesefluss, das gebe ich zu. Aber: Wenn man es regelmäßig anwendet, automatisiert es sich – dann ist es normal. Leserlicher und kürzer ist es, wenn man Begriffe ohne Geschlecht verwendet, etwa das Wort "Studierende" statt "StudentInnen". Oder eben Ausdrücke wie etwa "Führungskräfte" oder "Berühmtheiten". Kein Mensch bricht sich ein Bein, wenn er solche Ausdrücke verwendet, dafür fühlen sich aber alle Menschen angesprochen. Nur kann man das leider nicht auf alle Begriffe anwenden.
Wird sich die Sprache verändern?
Sprache unterliegt immer einer Wandlung: Im Mittelhochdeutschen etwa war das Wort "wip", also "Weib" eine neutrale Bezeichnung für das weibliche Geschlecht. Das Wort "Weib" ist heute negativ besetzt.
Sprache verändert sich – und das ist auch gut so. Noch vor 20 Jahren hat man das Wort "surfen" nur mit Wasser verbunden, heute fast ausschließlich mit dem Internet. EntscheidungsträgerInnen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sollten jedenfalls großen Wert auf eine geschlechtsneutrale Sprache legen. Wie man das im privaten Umfeld handhabt, ist allen selbst überlassen.
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