Stuttgart (dpa) - Die Klarinette von Jazz-Legende Benny Goodman erklingt aus einer kleinen weißen Stereoanlage, der Parkettboden knarzt: Etwa 20 Frauen und Männer üben jeden Mittwoch in einem Stuttgarter Kulturzentrum Lindy-Hop.

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So heißt ein ausgelassener Tanz aus den 1920er-Jahren, für den sich immer mehr Leute begeistern. In Stuttgart bietet der Verein Swingkultur seit mehr als zehn Jahren Kurse an, die derzeit so voll sind wie noch nie. Am Wochenende lädt Swingkultur zu einem Festival ein und erwartet bis zu 400 Besucher, die auf Zeitreise in die 20er-Jahre gehen wollen - aber warum?

Der Vorsitzende des Vereins Swingkultur, Rene Holldorf, trägt hochsitzende weite Stoffhosen - und das nicht nur zum Tanzabend seines Vereins an jedem Mittwoch. "Mich hat die Musik der 30er bis 50er-Jahre schon immer interessiert." Als er erfuhr, dass man dazu auch tanzen kann, war er Feuer und Flamme. Er glaubt, dass der Boom des Swingtanzens auf den permanenten Dialog der Tanzpartner - Leader und Follower - zurückzuführen ist. "Irgendwann wurde es langweilig, dass in der Disco jeder so vor sich hintippelt, viele haben Lust auf einen kommunikativeren Tanz", sagt er. Und: "Man nimmt sich bei dem Tanz nicht ernst." Fliegende Füße, Hüpfer und wilde Drehungen sehen schon beim Zuschauen lustig aus.

Die Swingtanzszene wächst - egal ob in Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln oder Stuttgart. Während die Stuttgarter Swingkultur im Kulturwerk-Ost vor einigen Jahren nur zwei Kurse pro Woche voll bekommen hat, sind es heute mindestens zehn Kurse mit gut 300 Tanzschülern, wie Holldorf sagt.

Swing, Lindy-Hop, Rock’n’Roll oder Boogie - für den Sprecher des Berufsverbandes Deutscher Tanzlehrer, Rolf Mayer, sind das alles Tänze, die eine besondere Lebensfreude ausstrahlen. "Das sind Tänze, die in ihrer Zeit, in der sie entstanden, auch ein Stück weit Protest und Abgrenzung gegenüber dem Etablierten waren", sagt er. Lebensfreude und Aufmüpfigkeit - beides mache auch heute noch Spaß.

"Wenn die Musik angeht und ich Lindy-Hop tanze, habe ich sofort ein breites Lächeln im Gesicht - egal wie lange mein Arbeitstag war", sagt Marie-Louise Rinno (30). Sie hat Swingtanzen zufällig in Berlin kennengelernt und sich nach ihrem Umzug nach Stuttgart allein für einen Kurs angemeldet. Die Partner wechselt man ohnehin ständig. Nach dem ersten Termin hat man schon 20 Leute jeden Alters kennengelernt - von Mitte 20 bis Mitte 50. Ihr gefällt, dass der Tanz Improvisation zulässt. "Es gibt feste Figuren, aber trotzdem ist es Freestyle." Den Grundschritt, meint sie, könne man in einer halben Stunde lernen.

Die Tanzlehrerin an diesem Abend ist Renate Fischinger (50), Mitgründerin des Vereins Swingkultur. Während sich mancher mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn wischen muss, steckt sie die Anstrengung locker weg. "Ich bin nicht nur von dem Tanz, sondern von der Haltung angetan", sagt sie. Vor elf Jahren war sie bei einem Swingtanzfestival in Schweden, bei dem dunkelhäutige alte Tänzer von ihrem Leben erzählt haben. "In dem Tanz steckt so was Freiheitliches drin." Wenig später gründete sie mit Freundinnen den Verein.

Zum Swingtanzen gehört auch ein gewisser Kleidungsstil - schmale Silhouetten, bei den Frauen der Bleistiftrock und Wasserwellen im Haar, bei den Männern hochsitzende weite Hosen, dazu etwa Hosenträger und Schiebermütze. Sich mal wieder schick zu machen, stilvoll anzuziehen, das gefalle wohl vielen, vermutet Holldorf.  © dpa

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