Es gibt Themen, an denen scheiden sich auf ewig die Geister. Wenn Fleischesser mit Vegetariern diskutieren und berufstätige Mütter auf Hausfrauen treffen, prallen Welten aufeinander. Wir haben die Nase voll von Pro und Kontra und versuchen einen anderen Weg.

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Liebe Gender-Gegnerin,

es gibt Menschen, die dir per se vorwerfen, politisch unkorrekt und frauenfeindlich zu sein, nur weil du keinen Wert auf die Gender-Debatte legst. Doch ich verstehe, warum dir das Binnen-I und die sprachliche Gleichstellung von Mann und Frau so sehr auf die Nerven gehen.

Ich weiß, dass es für dich selbstverständlich ist, Frauen gleichermaßen zu respektieren wie Männer. Dazu brauchst du keine Regeln für deine Sprache. Wenn du zum Beispiel in einer E-Mail als Anrede "Liebe Kollegen" schreibst, dann willst du die Frauen in der Belegschaft natürlich nicht ausschließen. Du machst dir keine Gedanken um ein "generisches Maskulinum". Du willst einfach dein gesamtes Kollegium ansprechen.

Du musst zweimal hinschauen, wenn du auf einer Visitenkarte oder einem Namensschild ein "Mag.a" oder "Dr.in" liest. Ich weiß, dass du dich fragst, ob so etwas wirklich notwendig ist, ohne dabei frauenfeindliche Gedanken zu haben. Ich weiß, dass du Frauen auch so wertschätzt, ohne dass es eine sprachliche Differenzierung braucht.

Es ist in Ordnung, wenn du Forderungen wie der nach der Abschaffung des Binnen-Is, den /-innen und (-innen) unterstützt. Ich kann gut nachvollziehen, warum es für dich eine Tortur ist, einen Text gendergerecht zu schreiben. Und dass du bei solch einem Schriftbild aus dem Lesefluss kommst, ist kein Wunder.

Auch jenseits der aktuellen "Binnen-I-Debatte" kann ich deine Ansichten nachvollziehen: Ich weiß, dass du dir bei der Diskussion um die "falsch" gesungene Bundeshymne von Andreas Gabalier gedacht hast, dass das doch alles gar nicht so schlimm ist. Es braucht dir auch nicht peinlich zu sein, dass dir im ersten Moment gar nicht aufgefallen ist, dass der "Volks Rock'n'Roller" zwar die "Söhne" in der Hymne besungen hat, nicht aber die "Töchter". Ich verstehe sehr gut, wenn du sagst, dass diese ganze Aufregung lächerlich ist. Und als Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek Andreas Gabalier eine Lektion erteilen wollte, hast du vermutlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Ich weiß, dass für dich die österreichische Bundeshymne ein Stück Kultur ist, das man nicht leichtfertig einfach ändern soll. Es ist mir klar, dass du die Leistungen der "Töchter" honorierst, auch wenn du findest, dass die Textänderung überhaupt nicht mehr zum Takt der Melodie passt und insgesamt unnötig ist.

Wenn du am Ende gar nicht mehr weißt, wie du eine Frau politisch korrekt ansprechen sollst, dann geht es dir wie vielen anderen. Manchmal geht es mir genauso. Ich will dir mit diesen Zeilen sagen, dass ich verstehe, warum dir die Gender-Debatte auf den Keks geht. Ich weiß, dass du keinen direkten Zusammenhang zwischen der Gleichstellung von Männern und Frauen und den sprachlichen Anforderungen siehst, die an dich gestellt werden.

Liebe Gender-Gegnerin, ich verstehe dich. Weil wir beide mitten in dieser Diskussion und dieser Gesellschaft stecken.

Herzliche Grüße,

eine Gender-Befürworterin

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Liebe Gender-Verfechterin,

die meisten halten dich für eine verbissene Feministin, weil du dich für das Binnen-I und Texte mit Schülern und Schülerinnen, Bürgern und Bürgerinnen, Lesern und Leserinnen stark machst. Deinetwegen stellen Nachwuchspolitiker von der "Jungen Alternative für Deutschland" Fotos auf Facebook, auf denen es heißt: "Ich bin keine Feministin, weil mein Mann mein Fels in der Brandung ist - und nicht mein Klassenfeind!" oder "Ich bin keine Feministin, weil starke Frauen sich nicht hinter ihrem Geschlecht verstecken müssen." Dabei haben sie dich einfach nicht verstanden.

Ich weiß, dass du dich nicht per se ungerecht behandelt fühlst, nur weil du eine Frau bist. Es geht dir um etwas ganz anderes: Du willst uns bewusst machen, wie sehr uns Sprache beeinflusst - und wie sehr unsere Sprache männlich dominiert ist. Selbstverständlich fühlst dich auch angesprochen, wenn nur von "Bürgern" die Rede ist.

Vor Kurzem hast du vielleicht - wie so viele und ich auch - ein Werbevideo gesehen, dass dich schlucken hat lassen. Darin werden Kinder und Erwachsene gefragt, was es ihrer Ansicht nach bedeutet, Dinge "wie ein Mädchen" zu tun: zu rennen "wie ein Mädchen", einen Ball zu werfen "wie ein Mädchen". Alle, selbst die Frauen, stellen sich darunter jemanden vor, der sich nicht anstrengt, der prinzessinnenhaft und albern daherkommt. Alle bis auf die Mädchen. Die rennen einfach, was das Zeug hält, und werfen den Ball, so weit sie können.

Ich weiß, worum es dir geht: Solang es eine Beleidigung ist, etwas "wie ein Mädchen" zu tun, sind wir noch weit weg von Gleichstellung in dieser Gesellschaft. Ich kann nachvollziehen, dass dich das wütend macht.

Manche werfen dir vor, Männer zu hassen oder wahlweise eine militante Lesbe zu sein. Einige Herren der Schöpfung glauben sogar, sie bräuchten deinetwegen dringend einen Männerbeauftragten in der Regierung, weil sie sich plötzlich unterrepräsentiert fühlen. Dabei hat dein Engagement mit Hass so viel zu tun wie eine Kaffeepause mit einem Atomangriff.

Liebe Gender-Verfechterin, ich verstehe, warum du dich missverstanden fühlst von Leuten, die nicht begreifen, was es bedeutet, nicht ernstgenommen zu werden, nur weil man eine Frau ist. Die einem vorwerfen, man sei "hart" und "taff", wenn man sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Es treibt dir Tränen in die Augen, wenn du junge Frauen hörst, die der Meinung sind, es sei kein Leben, wenn man über 30 ist und weder Mann noch Familie hat.

Ich wollte dir sagen, dass ich dich verstehe. Wir sind beide Frauen. Lass dich nicht unterkriegen

Liebe Grüße von einer Frau,

die trotzdem nicht gendert

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