Es war ein Auftakt der Kontraste in der Wiener Staatsoper. "Don Carlo" überzeugte mit einem tollen Ensemble und bekam dennoch vehemente Buh-Rufe aus dem Publikum.
Das war ein Einstieg in die Saison! Verdis "Don Carlo" holte als erste Premiere der neuen Spielzeit in der Wiener Staatsoper das Publikum von den Sitzen - wenn auch mehrheitlich, um zu buhen. Kirill Serebrennikovs Auslegung des Spiels um Macht, Freiheit und verlorene Liebe brachte manchen Premierengast schon während der Aufführung dazu, die Contenance zu verlieren. Das konnten nicht mal eine herausragende Sängerriege und ein brillierender Philippe Jordan im Graben verhindern.
Hatte etwas von 50 Shades of Grey
Oper wird ja oftmals als Kostümschinken apostrophiert. Und im Falle dieses "Don Carlo" stimmt's. Der aus Russland emigrierte Serebrennikov, der zuletzt schon mit seinem "Parsifal" in der Staatsoper ambivalente Reaktionen provoziert hatte, positioniert das Geschehen nicht im Spanien des 16. Jahrhunderts, sondern einem Institut für Kostümforschung, worauf ihn ein Besuch im Kyoto Costume Institute in Japan brachte. Statt Blumenpracht in Spaniens Gärten also 50 Shades of Grey in einem aseptischen Forschungslabor.
Stumme Darsteller in rekonstruierten Kostümen
Und in diesem monochromen Intrigantenstadl möchte man nicht arbeiten - liegt hier doch die letzte Teambuildingmaßnahme ganz offensichtlich schon lange zurück, was Serebrennikov mit gewohnt guter Personenführung herausarbeitet. Der etwas überraschend konkreten Büroebene als Spielfläche der Sänger stellt Serebrennikov vier rekonstruierte Kostüme vom spanischen Hof gegenüber, in die stumme Darsteller gekleidet werden. Diese Kostümfigurinen dienen als Alter Egos der Protagonisten, bringen Farbe in die schwarz-weiße Welt.
Diese ebenso prächtigen wie mit Sicherheit nicht atmungsaktiven Gewänder des spanischen Hofzeremoniells möchte man selbst dann aber doch nicht tragen. Apropos nicht tragen - dies tut auch die Grundidee der Inszenierung nur bedingt. Es bleibt die Frage, ob die Themen der Äußerlichkeit, historischer Kostüme als Korsett, als adrette Zwangsjacke und textiles Gefängnis wirklich den Kern des "Don Carlo" darstellen. Auch die Fortschreibung bis hin zur in Videobeiträgen verdeutlichten Kritik an der heutigen Fast-Fashion samt der daraus folgenden Umweltzerstörung scheint weit abseits zu führen. Da hat sich jemand in einer Idee etwas verloren.
Vehemente Buhs und eine "weiße Fahne"
Schon während mancher Szenen wie dem Autodafé setzt es dafür vehemente Buhs, der vierte Akt kann überhaupt erst starten, als Dirigent Philippe Jordan mittels Taschentuch symbolisch die weiße Fahne zur Befriedung der sich über die Ränge hinweg anbrüllenden Unmutsbekunder schwenkt. Dies ist dabei nicht die einzige herausragende Leistung, die der Staatsopern-Musikdirektor an diesem Abend erbringt. Kraftvoll, zupackend, strahlend und doch nie überziehend führt er das Orchester durch den Abend. Auch dass man sich für die kompaktere, vieraktige Mailänder Version aus 1884 anstelle der 1867 uraufgeführten französischen Fassung entschieden hat, trägt zum guten musikalischen Eindruck bei.
Das Ensemble überzeugt
Nicht zuletzt aber ist das große Plus auf dieser Seite dem überwiegend herausragenden Ensemble zuzuschreiben - das dabei überwiegend aus Debütanten bestand. Publikumsliebling Asmik Grigorian gibt als Elisabetta ihr Rollendebüt und überzeugt mit zunehmend dunklerem Timbre. Auch Roberto Tagliavini singt erstmals den König Philipp, der mit seinem offenen, tragenden Bass einnimmt, dem nur an wenigen Stellen der letzte tiefe Ton fehlt.
Und auch der mexikanisch-amerikanische Tenor Joshua Guerrero verkörpert erstmals die Titelfigur, forciert allerdings beständig, nuanciert wenig und verliert gegen Ende hin die Kraft. Dennoch ergeben sich mit seinem Compagnon Rodrigo, den Étienne Dupuis geerdet-sämig gibt, immer wieder schöne Gleichklänge - ein Kontrast zur Polyphonie der Ablehnung am Ende des Abends. (Von Martin Fichter-Wöß - APA/bearbeitet von phs)
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