Christoph Kramer spielte für namhafte Bundesliga-Vereine wie Bayer Leverkusen oder Borussia Mönchengladbach, wurde 2014 Weltmeister und arbeitet als TV-Experte. Nun hat er ein Buch geschrieben.
Im Interview erklärt Kramer, warum es ein Roman geworden ist, was er seinem 15-jährigen Ich heute raten würde und warum ihn selbst beim Schreiben der Leistungsgedanke nicht loslässt.
Herr Kramer, die wichtigste Frage zuerst: Warum haben Sie ein Buch geschrieben?
Sie sagten einmal, Sie wollten mit dem Schreiben eine beruflich schwierige Phase überwinden. Hat das funktioniert?
Ja, voll. Mit dem Schreiben gelangt man ja immer an andere Orte. Ich habe über den Sommer 2006 geschrieben und es hat mir schon gutgetan, mich in eine Zeit zu schreiben, in der ich mein Leben auch sehr mochte und die weit weg von heute ist. Das war für mich wie Meditation. Gerade in einer Phase, in der es mir damals nicht ganz so gut ging.
Warum haben Sie das Buch veröffentlicht? Schreiben als Meditation ist ja ein Prozess, der im Inneren stattfindet, für den es keine Veröffentlichung braucht.
Ich habe schon den Antrieb, mein Leben mit spannenden Projekten und Aufgaben zu füllen. Und weil ich finde, dass mir das Buch ganz gut gelungen ist, wollte ich es dann auch veröffentlichen. Gleichzeitig hat es mich gereizt, mich auf ein neues Gebiet zu begeben, das ich bisher noch nicht so gekannt habe.
Es ist total schön, dass ich gerade so viel positives Feedback von ganz vielen Leuten bekomme. Gestern hat mir ein 15-jähriges Mädchen einen handgeschriebenen Brief gegeben, in dem steht, dass sie sich durch das Buch zum ersten Mal verstanden fühlt. Wenn ich das mit meinem Buch erreiche, gibt mit das unfassbar viel. Da hatte ich wirklich ein bisschen feuchte Augen.
"Ich glaube, dass viele wirklich positiv überrascht waren."
Wenn Ihnen das Feedback so wichtig ist, haben Sie dann auch die Kritiken gelesen?
Im Fußball habe ich kaum mehr Kritiken gelesen, das habe ich quasi durchgespielt. Wenn ich mein 15. Buch schreibe, werde ich wahrscheinlich auch keine Kritiken mehr lesen. Aber beim ersten Buch habe ich alles gelesen.
So wie Sie nach einem Spiel die eigene Benotung im "Kicker" gelesen haben?
Das ist vergleichbar. Man ist natürlich gespannt, was die Presse zu deinem Buch sagt. Das ist schon etwas Cooles und Neues für mich.
Sind Sie denn zufrieden mit den Kritiken?
Auf jeden Fall. Ich kann diesen ersten Impuls auch verstehen, wenn jemand sagt: "Ein Fußballer schreibt ein Buch …" Ich glaube aber, dass viele wirklich positiv überrascht waren.
Gerade die Reaktion der Leser war überwältigend. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Nachrichten von Leuten bekommen, die mir geschrieben haben, wie gerührt sie von meinen Worten waren. Das waren bestimmt mehrere tausend Nachrichten, würde ich jetzt schätzen. Das war wirklich Wahnsinn und bedeutet mir unglaublich viel. Auch die Rezensionen in der Presse waren bis auf ein paar Ausnahmen durchweg positiv.
Die Kritiken sind das eine, aber wie zufrieden sind Sie denn selbst mit Ihrem Buch? Sagen Sie sich, ähnlich wie Sie es bei Ihren Analysen als TV-Experte machen, auch mal: "Oh, Seite 23, erster Absatz, da hätte ich besser …"?
Ja, solche Gedanken gibt es durchaus. Man hat persönlich Lieblingsstellen im Buch und andere, die man nicht so gut findet.
Was ist denn Ihre Lieblingsstelle?
Ich mag die Kuss-Szene sehr gerne. Tatsächlich fällt mir die Analyse aber ein bisschen schwer, weil mir viele Menschen von ihren Lieblingspassagen im Buch geschrieben haben, in denen sie sich wiederfinden. Die waren alle sehr unterschiedlich. Jeder findet sich darin hoffentlich irgendwo wieder und es berührt ihn auf seine Art. Genau das wollte ich mit dem Buch erreichen. Dass jeder diese Leichtigkeit spürt, wieder zurück in seine Jugend kommt und denkt: "Das war echt eine schöne Zeit, damals."
Mir gibt es sehr viel, das habe ich unterschätzt, wenn mir Menschen etwas zu meinem Buch schreiben. Aber es gibt mir auch was, dass das Buch auf Platz eins in der "Spiegel"-Bestseller-Liste eingestiegen ist.
"Ich wollte diesen "Bestseller"-Sticker haben."
War das Ihr Ziel?
Ja, ich wollte diesen "Bestseller"-Sticker haben. Dass es Platz eins geworden ist, hätte ich nicht gedacht.
Und wenn das nicht passiert wäre?
Ich glaube, dann hätte es mich weniger motiviert, beim Schriftstellerdasein zu bleiben. Das ist eigentlich widersprüchlich, weil ich so viele Leute schon mit diesem Buch erreicht habe. Was mir Leute schreiben, ist wirklich herzzerreißend schön, am Tag mehrere hundert Nachrichten. Das motiviert mich, weiterzuschreiben.
Das heißt im Umkehrschluss: Wenn es die positiven Rückmeldungen nicht gegeben hätte, wären Sie mit Ihrem Buch nicht zufrieden?
In das Buch, das ich geschrieben habe, ist viel Herzblut von mir reingeflossen. Alleine deshalb bin ich schon zufrieden. Ein Buch zu schreiben, war ein Lebensziel von mir, da habe ich jetzt einen Haken dran gemacht. Trotzdem kann ich es in meinem Kopf nicht ausstellen, dass ich mich an Erfolg messen lasse. Ich habe mit vier Jahren angefangen, Fußball zu spielen, mit sechs Jahren habe ich bei Bayer Leverkusen in der Akademie gespielt und seitdem geht es nur um Leistung in meinem Leben. Mit allem Spaß, der dazu gehört, aber den Leistungsgedanken kriege ich nicht raus. Deshalb will ich bei allem, was ich mache, auch das Gefühl haben, dass ich erfolgreich bin. So bin ich sozialisiert worden, aber das ist auch nicht schlimm.
Das bedeutet aber auch, dass der Erfolg des Buches von außen definiert wird.
Als ich das Buch in den Händen hielt, hatte ich schon ein großes Glücksgefühl – auch ohne die Bestätigung von außen zu bekommen. Aber trotzdem ist es mir nicht egal, was die Leute dazu sagen.
Nachdem Sie die erwähnte Kuss-Szene geschrieben haben, hatten Sie da das Gefühl: "Die ist mir aber gut gelungen!"? Da hatte die Szene ja noch niemand von außerhalb gelesen.
Ich bin ein grundlegend positiver Mensch und als ich mir das Buch durchgelesen habe, habe ich mir schon gedacht: "Das ist mir gut gelungen."
"Es warten noch ganz viele wunderbare Dinge auf dich."
Es heißt immer, dass Lesen bildet. Würden Sie sagen, dass Schreiben auch bildet? Im Sinne einer Persönlichkeitsbildung?
Ich glaube, dass das vom eigenen Charakter abhängt. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass ich mich durch das Schreiben bilde, ich würde eher sagen, dass ich damit meditiere. Damit erleichtere ich meine Seele. Deshalb schreibe ich.
Sie schreiben in Ihrem Buch über ihr unsicheres 15-jähriges Ich. Was hätte der junge Christoph Kramer über den von heute gesagt?
"Wenn du eines von einer Million Leben lebst, dann das." Dafür bin ich sehr dankbar.
Und was würden Sie dem 15-jährigen Chris Kramer raten?
Mach dir nicht zu viele Gedanken. Es kommen andere Zeiten und es warten noch ganz viele wunderbare Dinge auf dich.
Hätten Sie das damals annehmen können?
Vermutlich eher nicht. Ich habe das gestern dem 15-jährigen Mädchen auch gesagt, dass es schwerfällt, den Rat anzunehmen, und dass ich weiß, dass sie mir das gerade wahrscheinlich nicht glaubt. Aber es wird so passieren.
Ihr Leben als Fußballer war sehr durchgetaktet, Ihnen wurde gesagt, wann Sie wo zu sein und was Sie wie zu tun haben. Beim Schreiben fällt das alles weg. Wie fühlt sich für Sie diese neue Freiheit an?
Man ist nicht mehr so fremdbestimmt, aber das habe ich nie negativ wahrgenommen. Ich habe den Fußball als Spieler so sehr geliebt, ich mochte alles daran. Deswegen war es bei mir eher umgekehrt, ich hatte Angst, was danach passiert. Diese Angst war aber unbegründet, weil ich mit dem Roman unheimlich viel zu tun habe und mir auch bewusst viele Aufgaben gesucht habe, um mich von der Zeit und Leere danach auch abzulenken.
Sie kommen aus einem Mannschaftssport, tragen aber nun die Verantwortung für das, was Sie tun, komplett alleine. Wie ist das für Sie?
Das war zu Beginn sehr ungewohnt. Was für andere Menschen total normal ist, war für mich eine neue Routine: Ich muss mein Frühstück nun selbst besorgen, ich dusche mittlerweile zu Hause und ich muss meine Sportklamotten selbst waschen.
Ich meinte eigentlich das Schreiben Ihres Buchs. Für dieses Buch stehen Sie ganz alleine ein. Früher hatten Sie noch eine Mannschaft dazu, es war also immer eine Teamarbeit.
Da habe ich bisher noch nicht direkt drüber nachgedacht. Es hat beides was. Ich mag es sowohl, selbst für mein Buch zu stehen, als auch mich in eine Mannschaft einzugliedern, dieses Wir-Gefühl zu haben. Aufeinander zu achten, an einem Strang zu ziehen, keinen fallen zu lassen – das hat mir etwas gegeben.
Noch einmal zum Inhalt des Buches. Sie beschreiben darin Ihre eigene Jugend. Warum haben Sie keinen komplett fiktiven Roman geschrieben? Waren Ihre Erinnerungen so etwas wie Stützräder beim Schreiben?
Man kann schon sagen, dass dies bei meinem Erstlingswerk eine gute Stütze war. Aktuell schreibe ich an einem komplett fiktiven Werk. Das fällt mir deutlich schwerer. Durch meine Tagebücher konnte ich meine Gefühle leichter zu Papier bringen, als wenn ich mich in jemanden hineinversetzen muss.
Worum wird es in dem Roman gehen?
Es ist wieder eine Coming-of-Age-Geschichte. Ich habe jetzt 60 Seiten und eine Story im Kopf, aber ich will nicht zu viel verraten.
Über den Gesprächspartner
- Christoph Kramer wurde 1991 in Solingen geboren. Als Fußballprofi spielte er für Bayer Leverkusen, den VfL Bochum und Borussia Mönchengladbach. Mit der deutschen Nationalmannschaft gewann er 2014 den Weltmeistertitel. Während und auch nach seiner aktiven Karriere arbeitet Kramer als TV-Experte. Vor kurzem erschien sein Debüt-Roman "Das Leben fing im Sommer an" über die Leichtigkeit des Sommers 2006, in dem der 15-jährige Chris Kramer die erste große Liebe erlebt.