Er wollte selbst nie aufhören, neugierig auf das Leben zu sein. André Heller hat Dutzende neue Rollen in seinem Leben ausprobiert. Er wird gerne als Poet der vielen Disziplinen bezeichnet. Nun wird er 70.
Der Tod ist für ihn immer ein wichtiger Motivator gewesen. Die Erkenntnis der Endlichkeit führte den Universalkünstler André Heller zu vielen Abschieden und noch mehr Aufbrüchen. Viele Rollen hat der gebürtige Wiener für sich erfunden: Vom Chansonnier wurde er zum Aktionskünstler bis hin zum Autor. Größtes Herzensprojekt der vergangenen Jahre war die Anlage eines riesigen Gartens südlich von Marrakesch, der die Besucher wohl über die Vertreibung aus dem Paradies hinwegtrösten soll. Aus dem oftmals lauten und arroganten Bürgerschreck wurde im Lauf der Jahre ein deutlich ruhigerer Moralist. Am 22. März wird Heller 70 Jahre und feiert im kleinsten Kreis in seiner Wahlheimat Marokko.
Der Gesamtkünstler war mit seiner Arbeit und scharfen Kommentaren von der Seitenlinie stets umstritten. Die einen bewundern ihn, während ihn die anderen für einen maßlos überschätzten wie überbezahlten Selbstdarsteller halten.
Aus der Kunst selbst sei er ausgetreten, verkündete er. Künstler seien eine besonders schwierige Gruppe: "Sie wünschen sich für sich immer nur das Beste und den anderen den Untergang. Sie sind die undankbarste Gruppierung, die es überhaupt gibt."
"Hatte pompöse Misserfolge"
Er selbst wollte nie so bleiben, wie er war. "Die Welt ist zu großartig, um Spezialinteressen als gesamtes Lebensinteresse zu haben." Dabei sei nicht immer alles glatt gegangen: "Ich habe viele Erfolge gehabt, aber auch aberwitzige pompöse Misserfolge gehabt."
Besonders geprägt wurde er von einer lieblosen Kindheit, über die er bis heute oft und ausführlich spricht. Geboren wurde Franz André Heller am 22. März 1947 als Sohn einer reichen Zuckerbäckerfamilie in Wien. Von Beginn an habe er sich fremd gefühlt bei seinen Eltern. Er habe für den Tod des dominanten Vaters gebetet. "Er hat mir in unvergesslicher Weise gezeigt, wie es nicht geht."
Der Vater konvertierte selbst noch vor dem Zweiten Weltkrieg vom Judentum zum Katholizismus und machte seine ursprüngliche Religion zum Tabu. Die Nazi-Verfolgung blieb ihm trotzdem nicht erspart. Nach Ende des Krieges befahl er seinem Sohn im häufigen Opium-Rausch, Kardinal zu werden. So musste Heller, der nach dem Wunsch seines Vaters eigentlich ein Mädchen werden sollte, schon früh Messen für geladene Gäste lesen und danach Geld einsammeln. "Ich musste mich selbst noch einmal ohne Vater und Mutter in die Welt bringen", sagte er über eine Art der selbstgewählten Wiedergeburt Jahrzehnte später.
Lange war er auch Schüler in streng katholischen Internaten und hat dort eine Härte erlebt, die er zutiefst ablehnte. "Ich wollte Blumen um mich haben, schöne Bettwäsche, und nicht auf einen Gekreuzigten schauen." Mit dem Tod des Vaters in seiner Jugend endete auch die finanziell behütete Zeit Hellers.
In den 80ern veröffentlicht er ein Dutzend Platten
So begann er wenig erfolgreich an Wiener Avantgarde-Bühnen zu spielen. Danach folgte seine Zeit als Programmgestalter beim ORF-Radio. Bei dem von ihm mitgegründeten Popsender Ö3 moderierte er. Er war Co-Autor bei TV-Shows. Bis Ende der 1980er-Jahre veröffentlichte er über ein Dutzend Platten mit melancholischem Sprechgesang und zauberischen Melodien. Seine Auftritte als Chansonnier musste er beenden, als er den Drogen abschwor. Ohne Rauschmittel konnte nach eigenen Aussagen nicht auf der Bühne stehen.
Kunstprojekte zwischen Poesie und Exotik
1976 gründete er "Zirkus Roncalli" gemeinsam mit Bernhard Paul. Nach persönlichen Differenzen zog er sich noch im gleichen Jahr wieder aus dem Unternehmen zurück. Es folgten exzentrische und groß angelegte Kunstprojekte auf der ganzen Welt. Stets wurde dabei alle Sinne angesprochen, wirkten Poesie und Exotik, Varieté- und Jahrmarkt-Stimmung zusammen. Erfolgreich wurde das Zirkusereignis "Afrika! Afrika!" aufgenommen, während er mit der Pferdeshow "Magnifico" einen kommerziellen Misserfolg einstecken musste.
Kritik am heimischen Politbetrieb
Den heimischen Politbetrieb kritisierte der Autor mehrerer Bücher oftmals hart. Den Sozialdemokraten stand er lange sehr nahe. Zuletzt warb er im Präsidentschaftswahlkampf für den ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. Angebote, selbst in die Politik zu gehen, etwa als Kulturminister, lehnte Heller ab. In der Flüchtlingskrise mahnte er, das Potenzial der Migranten zu nutzen und mehr Verantwortung zu zeigen. "Es wird alles verändern. Oder wir werden verenden." Für ein respektvolleres Zusammenleben gründete er die Initiative "Act Now".
Seine Eröffnungsgala zur Fußballweltmeisterschaft 2006 im Berliner Olympiastadion wurde kurzfristig abgesagt - angeblich aus Sorge um den Rasen. 23 Millionen Euro Honorar bekam er trotzdem. Zuletzt geriet er wegen Schweizer Firmen, die seine Geschäfte abwickeln, in die Negativ-Schlagzeilen. Alles sei stets korrekt abgelaufen, erklärte Hellers Anwalt. Kein Geld sei versickert.
Der frühe Ruhm lässt ihn abheben
Der frühe Ruhm habe ihn abheben lassen, weiß der Künstler mit dem Lockenkopf. "Das hat meiner unbefriedigten Eitelkeit etwas gebracht, aber wenn ich mich in den Spiegel geschaut hab', dachte ich immer: Das ist nicht so, wie ich will." Erst die Geburt seines Sohnes, gegen die er sich lange gesträubt hatte und vor der er seine Lebensgefährtin sogar zur Abtreibung bringen wollte, habe ihm die Augen geöffnet. Er hatte Angst, so zu werden wie sein eigener Vater. Mit Ferdinand, der als DJ tätig ist, hat er heute eine innige Beziehung und bezeichnet ihn als das Großartigste in seinem Leben. © dpa
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