Drohnen über den Dächern, Kameras an jeder Straßenecke und allgegenwärtiger Datenklau: Das London aus Ubisofts "Watch Dogs: Legion" ist eine Metropole der Überwachung und Unterdrückung. Die Hacker-Truppe DedSec formiert den Widerstand - und plötzlich kann jeder ein Held sein.

Eine Kritik
von Robert Bannert
Diese Kritik stellt die Sicht von Robert Bannert dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Sechs Jahre nach Veröffentlichung des ersten "Watch Dogs" verlegt Hersteller Ubisoft seine moderne Hacker-Mär von den USA nach Europa: Statt Chicago oder San Franciscos Bay Area ist diesmal London Schauplatz eines düsteren Verschwörungsthrillers, bei dem digitale Schurken und Sicherheitskonzerne die Strippen ziehen.

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Und einmal mehr offenbaren die Abenteuer der Hacker-Truppe DedSec unübersehbare Parallelen zur "Assassin's Creed"-Reihe desselben Herstellers: Wie die altertümlichen oder mittelalterlichen Meuchelmörder erforschen die Mitglieder der punkigen Nerd-Truppe einen riesigen Open-World-Schauplatz und agieren am liebsten aus dem Schatten heraus. Nur, dass sie statt versteckter Klingen zu digitalen Waffen greifen: Mithilfe von Smartphones oder anderen Hi-Tech-Gimmicks wie krabbelnden Spinnenrobotern infiltrieren sie Gebäude und Netzwerke, manipulieren die Umgebung, stehlen Daten und machen die Schwachstellen ihrer Widersacher ausfindig.

Dazu haben die Hacker auch allen Grund: Eine andere Untergrund-Gruppe namens ZeroDay hat DedSec zum Sündenbock für eine Reihe von Anschlägen gemacht, die vor einigen Jahren die britische Hauptstadt erschüttert haben. Darum befindet sich London jetzt im Würgegriff konservativer Wendehals-Politiker und totalitärer Sicherheitskonzerne, die die Bürger drangsalieren. Zeit für den Widerstand - Zeit für DedSec, eine "Legion" an Unterstützern zu rekrutieren.

Wir sind Legion

Es ist der Clou des Spiels: Fast jede Figur und jeder Auftraggeber im Spiel kann nach erfolgreichem Absolvieren seiner Mission als Verbündeter gewonnen und anschließend jederzeit gesteuert werden - vom Bauarbeiter über den Rettungssanitäter bis hin zum Spion. Oder der freundlichen Oma von nebenan, die allerdings nicht mehr sprinten oder sich in Feuergefechten bücken kann.

Auf diese Weise wird aus einer anfangs kleinen Truppe ein regelrechtes Hacker-Heer. Vorteil dieser Spielweise: Jede Menge neue Kollegen mit teils interessanten Spezialfähigkeiten. Nachteil: Anders als die anderen "Watch Dogs"-Spiele oder die Titel der artverwandten "Assassin's Creed"-Reihe muss "Legion" ohne zentrale Heldenfigur auskommen, was dem Abenteuer viel Profil und Spannung nimmt. Als Story-Kitt zwischen den verschiedenen Figuren fungiert stattdessen eine fast andauernd vor sich hin brabbelnde Künstliche Intelligenz, ohne die man jedoch aufgeschmissen wäre.

Deren bissiger Humor ist zudem manchmal das Einzige, was dem spektakulär nachgebauten, aber auch sterilen London die nötige Würze verleiht. Denn ähnlich wie seinen Vorgängern fehlt auch "Legion" ein zusammenhängender und schlüssiger Design-Unterbau, der dem Abenteuer interessante Spielmechanismen beschert oder es mit der nötigen Spannung auflädt: Meistens ist man damit beschäftigt, entweder zu Fuß oder an Bord eines (bei Bedarf selbstfahrenden) E-Mobils von einem Einsatzort zum anderen zu hecheln, um dann am Ziel all jene Hacking-Jobs zu erledigen, die den Entwickler gerade probat erscheinen. Hier mithilfe des Smartphones ein Gittertor aufdrücken, da einen Sicherungskasten lahmlegen, dort die Daten aus einem Server absaugen und somit die Brotkrumen zusammentragen, die zu den wahren Drahtziehern der Anschläge führen. Alles per Knopfdruck. Der ist in "Watch Dogs" die Allzweck-Lösung für digitale Herausforderungen jeder Art.

Munteres Helden-Wechsel in "Watch Dogs"

Zu den interessanteren Aufgaben gehört, einen knuffigen Spinnen-Roboter durch Luftschächte und Laboratorien zu navigieren oder als Bestandteil eines Knobel-Spiels virtuelle Leitungen zu verlegen.

Fliegt das aktive Mitglied der DedSec-Legion bei seiner Mission auf, sprechen Fäuste, Füße oder Waffen. Dann wechselt "Legion" zwischen Nahkampf-Mechanismen und Deckungs-Shooter hin und her. Übermäßig Laune machen die Prügeleien oder Ballereien allerdings nicht: Auch das neue "Watch Dogs" will die Spieler dazu ermutigen, ihre Missionen möglichst ohne den Einsatz unnötiger Gewalt zu beenden, obwohl DedSec häufig mehr wie eine Terror- als eine Befreiungs-Truppe agiert und moralisch ähnlich fragwürdig erscheint wie der (gesichtslose) Gegner.

Leider bietet Schleichen und Hacken keinen gelungenen Gegenpol, um das Fehlen knackiger Gefechte zu kompensieren: "Watch Dogs: Legion" wirkt einmal mehr, als wären die Designer an der Flut an integrierten Features gescheitert. Anstatt einzelne Elemente gelungen herauszuarbeiten, bietet das Spiel eine erdrückende Fülle aus verfranzten Einzel-Komponenten, die weder für sich selbst noch in Summe richtig überzeugen können. Immerhin: Wer sich einigermaßen mit der unfokussierten Alles-kann-Spielweise von "Legion" anfreunden kann, der nutzt sie für witzige Experimente, um seine Feinde perfide auszutricksen.

Ähnliche Fehler wie beim Vorgänger

Im Grunde macht "Watch Dogs: Legion" also ähnliche Fehler wie seine Vorgänger. Die wurden allerdings durch Helden und Geschichten zusammengehalten, die trotz aller Patzer zum Weiterspielen motiviert haben. Nur: Dem neuen Teil fehlen diese Elemente. Die Story versteht sich offenbar als Parabel auf Vernetzungswahnsinn und digitale Kontroll-Mechanismen, aber dabei wurde sie so krampfhaft auf allgemeine Gefälligkeit gebürstet, dass ihr am Ende fast jede Aussage abhandengekommen ist. Im Gegenzug bietet "Legion" enormen Aktionsspielraum, die freie Heldenwahl und eine virtuelle Sightseeing-Tour durch ein dystopisches, aber prächtiges London - inklusive Tower, Buckingham Palace, Big Ben und Co.

"Watch Dogs: Legion" ist ab sofort für PC, Xbox One und PS4 erhältlich, erscheint aber auch für PS5 und Xbox Series X/S.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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Teaserbild: © Ubisoft