Seit dem 19. Juni 2020 steht mit The Last of Us 2 ein heißer Kandidat für das Spiel des Jahres in den Regalen. Von der Fachpresse in höchsten Tönen gelobt, stellt sich eigentlich nur eine Frage: Welche Faszination geht von dem Spiel aus und kann es die hohen Erwartungen erfüllen? Wir haben uns vor die Playstation gesetzt.
The Last of Us 2 beginnt seine Geschichte dort, wo der erste Teil aufgehört hat. Wer das Original und das stimmungsvolle Add-On "Left Behind" noch nicht gespielt hat, sollte dies schnellstmöglich nachholen – ansonsten: Achtung, Spoiler für den ersten Teil.
Zusammengefasst: Was bisher in der Welt von The Last of Us bisher geschah
Die Welt versinkt im Jahr 2013 im Chaos. Ein parasitärer Pilz verwandelt infizierte Menschen in willenlose und aggressive Zombies. 20 Jahre nach dem Ausbruch wird Schmuggler Joel von den sich selbst als Freiheitskämpfer bezeichnenden Fireflys damit beauftragt, die damals 14-Jährige Ellie aus der Quarantänezone in Boston zu bringen. Quarantänezonen sind mit die letzten halbwegs sicheren Bastionen der Menschheit in einer sonst von Infizierten dominierten Welt. Ellie wurde von einem Infizierten gebissen und scheint gegen den Pilz immun zu sein. Die Fireflys hoffen, mithilfe von Ellies Immunität einen Impfstoff zu entwickeln. Allerdings muss Joel das Mädchen dafür durch die gesamten USA nach Salt Lake City bringen.
Während Joel und Ellie anfangs überhaupt nicht miteinander auskommen, entwickelt sich im Laufe der Reise eine tiefe Beziehung zwischen den beiden. Joel, der am Anfang des Ausbruchs seine damals ebenfalls 14-jährige Tochter durch Schüsse der Sicherheitskräfte verloren hatte, erkennt diese in Ellie immer mehr wieder. Und Ellie, als Waise aufgewachsen, findet in Joel eine Vaterfigur. Doch dieses Band zerbricht, als die beiden schließlich bei den Fireflys ankommen.
Die Operation, welche die Proben für den Impfstoff liefern soll, würde Ellie nicht überleben. Die Fireflys nehmen dieses Opfer in Kauf – Joel nicht, der Vater in ihm bricht durch. Er befreit die bereits in Narkose liegende Ellie mit Waffengewalt aus dem Krankenhaus, tötet dabei die Ärzte und viele der Fireflys und damit wahrscheinlich auch die einzige Chance auf eine Heilung der Seuche. Das Spiel endet auf dem Weg zurück zu Joels Bruder nach Jackson City mit der Lüge Joels, dass Ellie nicht die einzige Immune sei – eine Lüge, die das Mädchen dem leeren Ausdruck auf ihrem Gesicht zufolge nicht glaubt.
Es wird blutig: Last of Us ist nichts für schwache Nerven
Teil 2 setzt nun mehrere Jahre nach diesem einschneidenden Ereignis an und zeigt, welche Auswirkungen eine solche Entscheidung haben kann – für alle Beteiligten.
Es ist diese eine Szene am Anfang von The Last of Us 2, welche den Ton für das weitere Geschehen des Spiels angibt: Nach dem plötzlichen Tod eines langjährigen Bewohners von Jackson City fragt Ellie ihre Freundin Dina während einer Patrouille: "Wäre es nicht schön, so zu sterben?" "An einem Schlaganfall?", erwidert diese überrascht. "Nein, nach einem langen Leben friedlich einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen." Ab da weiß man, es wird für viele ein unerfüllter Wunsch bleiben, denn friedlich scheidet in dieser Welt kaum jemand aus dem Leben.
Mit The Last of Us 2 sind Computerspiele endgültig erwachsen geworden, nicht nur, weil sich das Spiel wegen seiner Brutalität ausschließlich an Erwachsene richtet. Denn das Spiel ist brutal. Sehr brutal sogar. Die Szenen, in welchen der Spielercharakter stirbt, sind das Material von Albträumen. Doch so bizarr es klingt: Diese Brutalität ist gewollt und muss sein – denn die Welt, in der sich die Charaktere bewegen, steckt einfach voller Gewalt.
Es ist dann auch diese Gewissheit, dass diese Gewalt in dieser ungerechten Welt, die jederzeit über den Spieler hereinbrechen kann, den Rahmen für das liefert, was The Last of Us 2 großartig macht: Die Geschichte.
Die Geschichte bearbeitet die Psyche mit dem Kantholz
The Last of Us 2 ist keine leichte Kost, keine Popcorn-Unterhaltung wie beispielsweise die Uncharted-Reihe, die ebenfalls aus dem Hause Naughty Dog stammt. Die Geschichte ist anspruchsvoller, erwachsener. Sie ist sperrig und sie lässt sich Zeit – ein mutiger Schritt in Zeiten von sozialen Medien und schnellem Konsum. Hinzu kommt: Sie eckt mit ihren Themen - (gleichgeschlechtliche) Liebe, Rache, Folter, Glaube, Moral, Verlust, Krieg, Wahnsinn, letztlich den höchsten Höhen und tiefsten Abgründen der menschlichen Psyche – an, aber sie fällt kein Urteil. Das überlässt sie dem Spieler. Denn es gibt kein definitives richtig, kein definitives falsch – kein ultimativ Böses, kein absolut Gutes. Alles ist immer eine Frage des Standpunktes, der Sichtweise. Lässt sich der Spieler darauf ein, muss er sich am Ende selbst fragen: Was hätte ich in der jeweiligen Situation getan? Das schaffen die wenigsten Medien – egal ob Filme, Bücher oder Musik.
Damit bearbeitet die Geschichte die Psyche ähnlich wie die Kanthölzer und Stahlrohre, mit welchen der Spieler auf die virtuellen Gegner eindrischt. Der große Storybogen hält den Spieler durch seine zahlreichen Wendungen und Perspektivwechsel in permanenter Alarmbereitschaft auf der Sofakante. Auf jedes Hoch folgt in Last of Us 2 das noch bitterere Tief und mehr als einmal bleibt der Mund einfach nur noch fassungslos offen stehen.
Spielwelt hievt den emotionalen Impact auf eine neue Ebene
Was ebenfalls auf diese emotionale Erfahrung einzahlt, ist die Spielwelt selbst. So begegnen dem Spieler immer wieder Kleinigkeiten, welche die Welt so unglaublich realistisch und lebendig wirken lassen. Sei es die "Mitarbeiter des Monats"-Tafel, auf welcher neben den Gesichtern des Personals auch der obligatorische Bürohund verewigt ist, oder der Fantasy-Laden, in welchem noch die Landschaft für die letzte Partie Warhammer 40.000 – pardon, Space War – aufgebaut ist.
Solche Momente werden durch kleine Fundstücke am jeweiligen Setpiece noch verstärkt. Auf einmal ist das, was man sieht, nicht mehr nur pures Hintergrundrauschen, ein Durchgang, der den Spieler von Punkt A nach Punkt B führen soll, sondern der Ort erzählt plötzlich eine eigene Geschichte und entfaltet so seine volle emotionale Tragweite.
Ein Beispiel: Während man auf der Suche nach Vorräten eine alte Siedlung durchstöbert, landet man im zerstörten Eltern-Schlafzimmer der ehemaligen Bewohner. Man merkt der Umgebung an, dass die Eltern trotz des Horrors nach dem Tag der Infektion ihrem Kind ein halbwegs "normales" Leben ermöglichen wollten. In der Schublade des Nachttisches findet man den Wunschzettel des Kindes: "Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir einen Hund – so soll er aussehen (es ist eine Kinderzeichnung des Hundes zu sehen). Er soll Daddy beschützen, wenn er draußen bei den Monstern ist. Oder schenk mir eine Pistole, dann kann ich mich beschützen und Daddy muss nicht mehr weinen, wenn er alleine im Nebenzimmer ist." Das sitzt.
Technisch über jeden Zweifel erhaben …
Technisch ist Last of Us 2 über jeden Zweifel erhaben: Da ruckelt nichts, die Dialoge sind emotional eingesprochen, die Mimik der digitalen Gesichter trifft jede Nuance, die Musik steigert die jeweilige Stimmung und nimmt sich an den richtigen Stellen auch wieder zurück.
Grafisch ist das Spiel ob der eintönigen Farbpalette (es dominieren meist braun und grau) trotzdem ein Augenschmaus, da jedes Detail passt. Man riecht förmlich den Moder in den verfallenden Hochhauswänden, den Schimmel in den mit Stockflecken durchsetzten Kissen und Betten, die Muffigkeit unter der beschlagenen Gasmaske.
… doch es gibt auch störende Momente
Leider gibt es auch Details, welche die Spielerfahrung etwas trüben können. Zum einen ist da die Sony-Eigenwerbung zu nennen. Während die obligatorische PS3 in der ein oder anderen Zimmerecke im Szenenhintergrund noch nicht sonderlich auffällt, wird an einer Stelle eine Wache durch eine PS Vita abgelenkt. Im entbrennenden Kampf dudelt dann das Spiel mit blechernem Soundtrack weiter – sehr unpassend in der Situation.
Zum anderen gibt es ein paar Stellen im Spiel, die für Frustmomente sorgen: Teilweise ist es die schiere Gegnerflut, die zur unfairen Herausforderung wird, an anderer Stelle fehlt die Anleitung durch das Spiel, was vom Spieler jetzt genau verlangt wird. Nach 10-minütigem Dauersterben steigt der Frust dann deutlich und verhagelt das Erlebnis.
Fazit: Wird The Last of Us 2 den hohen Erwartungen gerecht?
Doch diese kleinen Mankos können das sehr gute Gesamtbild nach über 30 Stunden Spielzeit nicht trüben: The Last of Us 2 ist jede Minute wert, wenn man sich auf die Geschichte einlässt. Das Spiel nimmt den (erwachsenen) Spieler ernst, kaut ihm nicht alles vor, sondern überlässt ihm das Nachdenken. Doch Vorsicht: Klassische "Unterhaltung" liefert es nicht. Am Ende ist es eine Reise ins Herz der Finsternis, den eignen Abgrund, auf welcher man Ellie begleitet.
Und wie schon einst der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche sagte: "Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." Am Ende des Spiels weiß man, welche Abgründe in Ellie lauern – und vielleicht erschrickt man dann auch ein wenig vor sich selbst.
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