Richy Müller
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Kommissar Sebastian Bootz (Felix Klare) kommt im "Tatort: Verblendung" ordentlich ins Schwitzen: Er wird in einem Kino zusammen mit den anderen Zuschauern von Rechtsterroristen als Geisel genommen. Die Täter fordern: Inhaftierte Kameraden müssen aus dem Gefängnis entlassen werden, weil sie angeblich vom Staat mit dem Tod bedroht würden. Stuttgart-Stammheim, war da nicht mal was?
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Rechtsterroristin Karin Urbanski (Anna Schimrigk) weiß, dass ein Gleichgesinnter im RAF-Gefängnis Stuttgart-Stammheim ums Leben kam - angeblich durch einen allergischen Schock. Doch sie ist überzeugt: Der Mann wurde vom Staat ermordet. Auch andere Inhaftierte sind in Lebensgefahr, glaubt ihre Gruppe. Ziel der Geiselnahme: ein Gefangenentausch.
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Karin Urbanski (Anna Schimrigk) kümmert sich um ihren Partner (Christoph Franken), der beim Kampf im Kinosaal schwer verletzt wurde. Die provokante Idee der "Tatort"-Autoren Katharina Adler und Rudi Gaul (auch Regie): Die Rechtsterroristen handeln aus (Für-)Sorge um ihre inhaftierten Kollegen - ein Handlungsmuster des linksextremen RAF-Terrors der 1970er-Jahre.
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Geiselnahmen sind kein klassisches rechtsextremes Terrormittel. Ihre Hochzeit erlebten politische Geiselnahmen in den 70er-Jahren: Da gab es zum einen den Fall Hanns Martin Schleyer, zum anderen die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" von arabischen RAF-Verbündeten (beides 1977). Ziel der RAF war es, in Haft sitzende Kampfgenossen freizupressen.
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Im "Tatort" von 2025 sollen Gefangene wie Michel Höhn (Felician Hohnloser) aus dem Stammheimer Gefängnis freigepresst werden - eben jenem Knast, in dem RAF-Terroristen wie Andreas Baader und Gudrun Ensslin 1977 Selbstmord begingen. Damals wie auch im fiktiven "Tatort" ranken sich Verschwörungstheorien um die Todesfälle.
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"Tatort"-Co-Autor und Regisseur Rudi Gaul hat einen Krimi über Verschwörungstheorien der Gegenwart gedreht, die jenen alten Mythen verblüffend ähneln, dass die RAF-Terroristen eigentlich vom Staat ermordet worden sind. Damals wie heute behaupten Verschwörungstheoretiker: Der sogenannte Staat folge seinen eigenen, geheimen Regeln der Mächtigen.
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Filmemacher Rudi Gaul (r.) sitzt hier neben Richy Müller, der als Kommissar Thorsten Lannert außerhalb des Geiselkinos den Erzählstrang um Stammheim-Gefangene erforscht. Gaul drehte einen Krimi, in dem es darum geht, den Staat zu delegitimieren und seine demokratische Verfassung infrage zu stellen.
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Ein Narrativ, das derzeit immer wieder bedient wird, lautet: Die (alten) Politiker sind Verbrecher und Drahtzieher in einem Unrechtsstaat. Polizei und andere Behörden sind ihre willfährigen Gehilfen - eine gefährliche, aber populäre Verschwörungstheorie. "Verblendung" ist ein politisch hochaktueller Krimi im Gewand eines Geiselthrillers.
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Stilistisch huldigt der "Tatort" dem Genrekino. Den Geiselnahme-Thriller gibt es seit den 70ern, in ihm dreht sich alles um den Verlauf einer Geiselnahme. Dabei bestimmen die Eskalation der Situation, Verhandlungen, psychologische Krisen von Opfern, Geiselnehmern, Polizei und Verhandlern die Dramaturgie.
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Sidney Lumets Filmklassiker "Hundstage" (1975) mit Al Pacino gilt zum Beispiel als Klassiker des Genres. Lumet erzählt fast dokumentarisch einen der berühmtesten Banküberfälle der US-Geschichte mit Geiselnahme nach: Zwei Amateurgangster führten den Coup 1972 mitten in Manhattan durch.
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Weil es im aktuellen "Tatort" die Handlung im Kino (Geiselnahme) und jene außerhalb gibt (Lannerts Ermittlungen), haben die Buddy-Kommissare Lannert und Bootz diesmal nur ganz am Anfang und am Ende eine gemeinsame Szene.
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Den Rest des Films arrangierten Regisseur Gaul und sein Kameramann Stefan Sommer (r.) im Splitscreen-Verfahren: Der Bildschirm wird geteilt, man sieht gleichzeitig Geiselnehmerin und Geiseln im Kino sowie Polizei und Verhandler außerhalb. Übrigens ein beliebtes filmisches Stilmittel der 60er und 70er.
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Gab es Geiselnahmen durch rechtsextreme Terroristen in Deutschland? Die Antwort lautet: Nicht so wie im Film, also mit dem Ziel, Geiseln freizupressen oder politische Forderungen durchzusetzen.
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Im "Tatort" vertritt eine Anwältin (Heike Hanold-Lynch) jene Häftlinge, die freigepresst werden sollen. Geiselnahmen scheiterten in der Vergangenheit fast immer. Auch deshalb, weil der Staat zeigen will, dass er nicht erpressbar ist.
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Wer spielt die Terroristin? Anna Schimrigk wurde 1992 in Berlin geboren. Mit der Rolle der Rechtsradikalen kennt sie sich aus: In einer "Soko Leipzig"-Folge von 2017 war Schimrigk eine gewaltbereite Islamgegnerin. Im gleichen Format spielte sie außerdem in der Folge "Colonia Germania" 2021 die Anführerin der Leipziger Identitären Bewegung.
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Sie spielt aber natürlich auch andere Rollen. Im "Tatort: Borowski und das Land zwischen den Meeren" verkörperte sie 2018 die Insel-Polizistin Maren Schütz, die Borowski (Axel Milberg) charmant zur Seite stand. Eine aktuelle Serie mit Anna Schimrigk ist "Die Notärztin". Darin spielt sie eine Feuerwehrfrau.
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Wie geht es nun in Stuttgart weiter? Ende 2024 abgedreht wurde der "Tatort: Ex-It". Kim Riedle (3.v.l.) und Hans Löw (r.) spielen darin ein toxisches Ehepaar, ein Ex-It-Girl und einen Influencer-Manager. Es geht um den tragischen Tod eines Kleinkindes und die mögliche Entführung des Geschwisterkindes.
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Bevor dieser Fall zu sehen sein wird, dürfte allerdings die schon länger abgedrehte Stuttgarter Folge "Tatort: Überlebe wenigstens bis morgen" ausgestrahlt werden. Es geht um eine junge Frau, die seit Wochen tot in ihrer Wohnung lag. Warum hat sie niemand vermisst?