"Was bleibt" aus Hamburg: Ein toter Migrant erschüttert brave Bürger. Was weiß Kommissar Falke über den Mann?
Neujahr ist die Zeit der Neuanfänge. Für die Mehrheit des "Tatort"-Publikums dürfte das zu Vorsätzen führen wie "mehr Sport" oder "weniger Süßes". Vielleicht sind auch ambitionierte Ziele darunter; so etwas wie "geduldiger sein", oder "gnädiger" (um mal zwei völlig unpersönliche Beispiele zu nennen).
Sich mit der eigenen Identität zu beschäftigen, sich zu fragen, wer man ist, warum (und ja, auch "wie viele") ist ein ziemlicher Luxus: Selbsterkenntnis als Freizeitbeschäftigung. Für viele Migranten aber kann es zur Schwerstarbeit werden. Sie führen ein Leben in ständiger Bewegung, oft im wörtlichen, vor allem aber psychischen Sinn.
Das viel zitierte "Wandern zwischen den Welten" kann eine bewusst gewählte, bereichernde Entscheidung sein. Manchmal aber bedeutet es, dass das Bestreben, Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen oder zu behalten, zur aufreibenden Überlebensstrategie wird. Davon erzählt "Was bleibt", dieser packende Hamburger Neujahrs-"Tatort" der kroatischstämmigen deutschen Drehbuchautorin Marija Erceg.
Alle haben Angst vor Denis
Ihr Held Denis Demorovic (Malik Blumenthal) ist so ein Getriebener, der um seine Identität kämpft. Er braucht einen neuen Pass, Geld, vor allem aber Hilfe. Der Mann ist am Ende. Von einem zum anderen hastet er, er ist wütend und verzweifelt, er weint und er droht. Dem Bautischler Oliver (
Das Ehepaar engagiert sich in einem Flüchtlingshilfeverein, bei Katharina (Leslie Malton) hat die Sisyphosarbeit zu einer Depression geführt. Alle wollen helfen, alle scheinen eine spezielle Verbindung zu Denis zu besitzen, aber alle haben auch Angst vor ihm. Nur Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) nicht.
Die Belegschaft feiert gerade Falkes 25-jähriges Dienstjubiläum in einer engen verrauchten Kneipe, Kollegin Julia Grosz (
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Der Fremde scheint Falke von früher zu kennen
"Hilfst du mir", fragt Denis, "oder willst du mich wieder sitzen lassen?" Thorsten Falke hat keine Ahnung, wer dieser Mann ist und wovon er spricht. Dabei scheint der Fremde ihn von früher zu kennen, und zwar gut. So verwirrend die Angelegenheit für den Kommissar ist, so empfindet sie auch das Publikum: Dieser "Tatort" erlaubt keine Distanznahme, das gehört zu seinen Stärken.
Während Falke noch verstört in seinem Gedächtnis kramt, wird der Mann tot aus der Elbe gezogen. Der Name, der in seinem Pass steht, ist nur eine seiner Identitäten. Eine Brandnarbe an seiner Schulter erzählt von einer anderen. Thorsten Falke und Julia Grosz suchen nach weiteren, in der Hoffnung, dass eine davon die Wahrheit enthüllt.
Eine Wahrheit, die nicht nur Dennis' Identität betrifft, sondern auch das Selbstverständnis der Menschen, die ihn kannten und entschieden, ihn zu ignorieren. Ignorieren mussten, um die eigene Identität zu schützen? Der wütende Störenfried war eine Bedrohung, aber der tote Dennis ist es noch viel mehr.
"Was bleibt" ist ein hoch emotionales Drama
Von einem gesellschaftspolitischen Beitrag zur Migrationsdebatte ist "Was bleibt" dabei weit entfernt. Regisseur Max Zähle schafft eine Atmosphäre der Unmittelbarkeit, der Unsicherheit und Verwundbarkeit, ohne Partei zu ergreifen. "Was bleibt" erzählt die Geschichte als hoch emotionales Drama über die Menschen, über ihre Gesichter, Geheimnisse, ihre Lügen und Gefühle. Selbst als man die Zusammenhänge zu ahnen beginnt, bleibt es spannend mitanzusehen, wie die Betroffenen von Schuldgefühlen geplagt werden, sich wundern, winden und leiden.
Die verregnete Melancholie, die "Was bleibt" prägt, wird verstärkt durch die Tatsache, dass es sich um den letzten Fall mit Franziska Weisz als Julia Grosz handelt. Der drohende Wegzug der Kommissarin hängt leider auch wie ein triefendes Damoklesschwert über den Ermittlungen: Ständig müssen sich der Thorsten und die Julia verstohlene, wehmütige, Tun-sie's-oder-tun-sie's-nicht-Blicke zuwerfen, bis "Was bleibt" in einer melodramatischen Pfütze landet.
So traurig ein einsamer Falke auch ist: Diese stimmige, starke Geschichte hätte es verdient, ohne die ziemlich aufgepfropft wirkende Zweithandlung erzählt zu werden, mit der Julia Grosz verabschiedet wird.
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