Im Münchner Hasenbergl ist nicht alles schlecht. Aber im Kopf von Herrn Hackl sieht es schlimm aus. Ein "Tatort" ohne Sozialkitsch über das Leben unter erschwerten Bedingungen - und mit einem herausragenden Hauptdarsteller.
Der neue "Tatort" aus München beginnt leicht, fast heiter. Sicher, erst passiert der Unfall: Der junge Adam Moser verunglückt nachts mit seinem Motorrad. Er war fast zuhause, Moser lebte mit seiner Freundin im Hasenbergl.
Das Münchner Hochhausviertel hat keinen guten Ruf. Das haben Stadtteile nie, in denen viele Menschen mit wenig Geld auf engem Raum in kleinen Wohnungen leben. Egal, wie viele Bäume zwischen dem Beton Frischluft und Freiheit suggerieren sollen.
Joshua Kimmich im Münchner Tatort
Aber als die Kommissare
Und Adams Freundin, die im Gras neben der Unfallstelle zusammengebrochen war, wurde von einem Nachbarn und seiner Bulldogge fürsorglich nach Hause gebracht. Es ist eben nicht alles schlimm im Hasenbergl.
Regisseurin Katharina Bischof hat bereits mit dem starken Frankfurter "Tatort: Luna frisst oder stirbt" eine Abneigung gegen Sozialromantik und -klischees bewiesen. Auch "Hackl" (Drehbuch: Dagmar Gabler) erzählt vom Leben unter erschwerten Bedingungen, mit viel Verständnis und Anteilnahme, ohne den Betroffenen mit demonstrativem Barmherzigkeitspathos alle Verantwortung von den Schultern zu nehmen.
Es stellt sich heraus, dass der im Viertel beliebte Adam die Kontrolle über sein Motorrad verlor, weil ihm jemand mit einem hochpotenten Laserstift die Netzhaut verbrannt hat. Von einem der benachbarten Häuser heraus. Bayern-Profi
Hackl: Der Grantler vom Balkon
Aber im Kopf vom Hackl, da sieht es tatsächlich schlimm aus. Er ist der Grantler vom Balkon, und auf ihn konzentrieren sich Batic und Leitmayr bald. Denn Johannes Bonifaz Hackl ist ein ganz alter Bekannter der Kommissare: Als die Handys aufkamen, störte ihn die öffentliche Telefoniererei, und Hackl schlug Passanten ihre Geräte aus der Hand.
Als ihm einmal die Tauben am Münchner Marienplatz zu viel wurden, hat Hackl mit dem Luftgewehr um sich geschossen und Leitmayr bei der Festnahme in den Finger gebissen. Die Narbe trägt der Kommissar bis heute, und jetzt ist sie ihm Ansporn für eine besonders verbissene Tätersuche.
Weit kann der alte Mann nicht kommen, und mit ihm tauchen wir tiefer ein ins Hasenbergl und in Hackls Kopf. Dort hören wir auch, was niemand sonst hören kann: Den hohen Pfeifton, von dem Hackl manchmal geplagt wird und der wohl auch gutmütigere Menschen allmählich in den Wahnsinn treiben würde.
Burghart Klaußner brilliert in der schwierigen Hauptrolle des Hackl. Er spielt ihn mit einer Mischung aus jähzornigem Widerling und anarchischem bayerischen Original, komplett mit Filzhut, Lederhosen und kariertem Hemd. Er war mal Drucker, hatte eine Frau und zwei Töchter, in seiner Gartenlaube hängt noch ein Foto vom Urlaub am Balaton.
Ein von der Gesellschaft verstoßenes Monster
Nichts ist ihm geblieben, mit der Pacht für seinen Kleingarten ist er hinterher, sein Angelverein hat ihn rausgeschmissen. Welche Loyalität schuldet er schon Obrigkeiten, die ihn behandeln wie Dreck? Das Terrorisieren einer Welt, die für ihn keinen Platz mehr hat, ist die einzige Macht, die er noch hat über sie. Er wird beleidigend und handgreiflich. Er flieht verängstigt durch U-Bahn- und Kellerschächte.
Ein von der Gesellschaft verstoßenes Monster. Bei einer kurzzeitigen Festnahme will Hackl wieder beißen. Abgeführt wird er mit einer entwürdigenden kegelförmigen Halskrause, wie man sie bei Haustieren als Leckschutz verwendet. Ständig schwankt man zwischen Mitleid für einen einsamen alten Mann und Widerwillen gegen einen boshaften Bluthund.
Je länger die Geschichte voranschreitet, desto verzweifelter, dringlicher wird der Erzählton. Natürlich ist Hackl nicht der Einzige, der im Hasenbergl unter Druck steht. Er ist nur derjenige, der das Ventil geöffnet hat. Da ist noch Adams aufmüpfiger Bruder Alex (Aaron Reitberger), der auch im Fitnessstudio trainiert und immer im Schatten des älteren Musterknaben stand. Sogar die eigene Mutter (Berivan Kaya) gibt ihm das Gefühl, dass der falsche Bruder umgekommen sei.
Da ist die alleinerziehende Lehrerin Sandra (Carolin Conrad), die in der Nachbarin Ulli (Hanna Scheibe) eine lebenslustige Freundin gefunden hat, mit der man sich aus dem sozialen Brennpunkt und vom lethargischen Sohn Luis (Leonard Dick) wegkichern und schwatzen kann.
"Hackl" erzählt feinfühlig und völlig kitschfrei vom Leben an einem Rand Münchens, wo der Freistaat Bayern seinen Bewohnerinnen und Bewohnern wenig Raum zur freien Selbstentfaltung lässt. Meistens wird der Frust von Schrebergärten, Zigaretten auf dem Balkon oder schweren Gewichten im Fitnessstudio unterm Deckel gehalten. Aber manchmal ist der Druck eben zu groß.
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