Ein Psychokiller, der bei Mutti lebt, ein düsteres Haus und ein Kommissar kurz vor der Pension – "Borowski und das Haupt der Medusa" ist ein packender letzter Fall, der Borowskis einzigartige Ermittlungsart auf die Spitze treibt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Genau so müssen sie losgehen, die Klaus-Borowski-"Tatorte": Mit einem Psychokiller, der bei Mutti lebt. In einem Haus, um das ihn andere Psychokiller beneiden würden. Falls es den Immobilienslogan "Achtziger Jahre Gothic" nicht gibt, sollte man ihn für dieses Haus einführen: Abseits der Straße, hinter Bäumen halb verborgen, mit kleinen Giebelfenstern unterm dunklen Dach und viel Stauraum im Keller.

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Im Wohnbereich, ganz in Braun, mit Standuhr, Sitzecken und Esstisch, hängt ein Ölgemälde, beschriftet mit "Eleonore und Robert". Das sind Mutti und ihr "Bobbele". Im Obergeschoss eine Dachkammer mit Blumenrankentapete und noch mehr Braun. Von hier aus hat Mutti Bobbele per Fernsprechanlage unter Kontrolle. Eleonore Frost (Corinna Kirchhoff) spricht ohne Unterlass, lamentiert und unterbricht sich nur, um zu schimpfen: "Sag mal, hörst du mir noch zu?!"

Ja, antwortet Bobbele aus der Küche. Bobbele kocht Gulasch und kaut Fingernägel. Und während Eleonore in ihrer Dachkammer freudig für die gemeinsame Weltreise packt, packt Robert in der Küche eine Kiste für eine ganz andere Reise: eine Säge, ein Beil, Klebeband, ein paar Chemikalien. Es wird Muttis letztes Gulasch sein.

Ein würdiger Abschied für Borowski

"Borowski und das Haupt der Medusa" ist der letzte Fall für Klaus Borowski. Nach fast 22 Jahren und 44 Fällen als "Tatort"-Kommissar sei es Zeit aufzuhören, befand Darsteller Axel Milberg. Die Abschiedsgeschichte stammt natürlich von Sascha Arango. "Borongo" nennt Milberg den Drehbuchautor scherzhaft. Weil Arango zehn der prägendsten Borowski-Fälle geschrieben hat, darunter "Borowski in der Unterwelt" von 2005 – ein Krimi mit Uwe Bohm und vielen Elementen eines Psychokiller-Thrillers, aber ohne Psychokiller und die drei "Stiller Gast"-Folgen mit Lars Eidinger als Psychokiller Kai Korthals.

Auch in "Borowski und das Haupt der Medusa" wird der Mörder Arango-typisch nicht verheimlicht, sondern gleich zu Beginn präsentiert, um ihn dann interessiert durch seinen Alltag als Mörder zu begleiten. So wie ja auch Borowski nicht nur sucht er versucht zu verstehen. Das wird in diesem Fall auf die Spitze getrieben, als sich Kommissar und Killer ganz nahe kommen: Borowski dringt in Robert Frosts Privatsphäre ein, indem er sich illegal Zugang zu dem düsteren Haus verschafft. In den verlassenen Räumen schleichen beide umeinander herum, so dicht, dass es schon ziemlich absurd ist, dass Borowski nichts bemerkt. Aber man muss diesen Tanz symbolisch verstehen: Es ist die Zuspitzung der für Borowski typischen Annäherung an den Täter.

Ein Kommissar zwischen Gesetz und Gerechtigkeit

Wenn es nach Milberg gegangen wäre, der an der "Erfindung" des Kieler "Tatorts" beteiligt war, hätte sein Ermittler selbst kriminelle Elemente besessen. Ein Robin Hood, der den Guten gibt, was die Bösen ihnen genommen haben. Der für Gerechtigkeit sorgt, selbst wenn es gegen das Gesetz ist. Das ging der ARD dann wohl doch zu weit – aber geblieben ist ein lakonischer Grübler, dem die Verbrecher manchmal näher scheinen als die Normalos.

"Ich hab nur einen Freund", sagt er in "Medusa" einmal – auch da ist er vielen seiner einsamen Täter ja ähnlich. In dieser Hinsicht ist "Medusa" fast eine Hommage an Axel Milbergs Traum-Borowski. In diesen letzten Tagen vor seiner gefürchteten Pensionierung schert sich der Kommissar relativ wenig ums Gesetz.

So wie Bobbele und Mutti bekommt auch Borowski eine großartige Eröffnungsszene, in der er im Reisebüro sitzt und versucht, Pläne zu schmieden. Und wie in dem unheimlichen Haus geschieht auch hier unfassbares, als ihm die dynamische Beraterin die trendigsten "Aktivurlaube" für "Best-Ager" mit "einem Splash Bildungsreise" an den Kopf und in Prospektform auf den Tisch knallt: Man sieht Angst in Borowski Augen. Der empathische Alles- und Alleversteher ist verunsichert. Die Pensionierung ist kein Psychopathenhirn. Das hier ist die Sorte unbekanntes Terrain, das zu erkunden er sich fürchtet.

Ein letzter Blick in den Abgrund

Anschließend geht Borowski aufs Bürgeramt, um einen Reisepass zu beantragen. Ein schüchterner Bürger, der zwei Stunden lang vergessen wird. Sein Blick fällt auf ein an die Wand gepinntes Foto. Ein altes Kieler Haus ist darauf zu sehen. Borowski erkennt es wieder: Es war ihm schon als Kind unheimlich.

Das gehöre dem Sachbearbeiter Robert Frost, sagen die Kollegen achselzuckend. Der sei einfach verschwunden. Und das bei dem Personalmangel! Erst recht nach den zwei Todesfällen neulich! Da ist der wartende Bürger plötzlich ganz wach. Und zückt den einzigen Ausweis, der ihm etwas bedeutet: "Borowski, Kriminalpolizei Kiel." Borowski kann nicht anders, er muss ins Haus dieses Mannes, der ihm dort wie ein Schatten folgen wird.

Ein Mörder, der fast zu unauffällig ist

Den Rest von "Medusa" verbringen Robert Frost und Klaus Borowski dann getrennt. Und da, nach den ersten grandiosen Szenen, beginnt der Film zu schwächeln. Nicht, weil er wirklich schwach ist, sondern weil man so gerne mehr von diesem Duo als Duo sähe. Und ein bisschen auch, weil August Diehl den Robert Frost mit einer Zurückhaltung spielt, die fast zu gut ist. Den Sachbearbeiter, der seine Morde so sorgfältig bearbeitet wie Bürgeranträge.

Ein talentierter Hacker, der sein Ersatzleben am Computerbildschirm führt. (Übrigens wurde August Diehl 1998 mit dem Hacker-Film "23 Nichts ist so wie es scheint" berühmt.) Diehl lässt Frost verschwinden, mit Hilfe einer gewöhnlichen Schirmmütze, als wäre sie ein Zauberhut, der unsichtbar macht. Ein unauffälliger Mann in unauffälliger Kleidung. Aber es ist, als würde diese Unscheinbarkeit das Groteske seiner Taten vergessen lassen: Robert Frost ist zu normal. Da bleibt kaum Raum für das Unheimliche, Bedrohliche.

Was für eine Ironie, dass der wortkarge Kontrollfreak den Namen eines amerikanischen Poeten trägt. Jener Robert Frost hat "Die unverschlossene Tür" geschrieben, ein Gedicht, das auch von Edgar Allen Poe stammen könnte: Es erzählt vom Klopfen an einem unheimlichen Haus. Von seinem verängstigten Bewohner, der fürchten muss, das Klopfen existiere nur in seinem Kopf.

Ja, "Borowski und das Haupt der Medusa" ist immer noch ein "Borongo" – eine von Regisseur Lars Kraume mit einem erstklassigen Team inszenierte, kluge, vielschichtige Geschichte. Dazu gehört natürlich auch die Titel gebende Medusa. Freud hätte seine Freude an dem, was Arango aus der griechischen Mythengestalt mit dem fürchterlichen Blick macht.

Auch Kommissar Borowski wird die Medusa für seine Ermittlungen nutzen. Auf eine Weise, die einerseits zeigt, wie gut er Frost versteht und die also typisch für ihn ist – und die anderseits humorvoll auf die gefürchtete Zeit nach der Pensionierung anspielt. Auf Rentner mit Thermoskannen auf Parkbänken. Wir werden ihn vermissen, diesen Kieler Kommissar.