Millionäre auf der Bühne ihres Lebens: Im Kieler "Tatort" um einen verschwundenen Ehemann spielen alle Theater. Nur einem Star gelingt das richtig gut.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Tobias Exner ist verschwunden. Gerade hat der jugendliche Lebemann einer hübschen Blonden noch das eheliche Schlafzimmer gezeigt, seinen Hochzeitstag vergessen und einen Bootsausflug mit seinem Kumpel geplant. Jetzt ist er weg. Seine Frau, die millionenschwere Unternehmerin Greta Exner, ruft die Polizei. Die Frage ist allerdings: Ruft Greta um Hilfe, weil ihr Mann weg ist oder weil sie seine Rückkehr fürchtet? Mit Tränen in den Augen betrachtet sie eine alte Videobotschaft, die Toby ihr zu Beginn ihrer Beziehung hinterlassen hat.

Mehr News zum "Tatort"

Auch damals scheint er eine Bootsfahrt geplant zu haben. "Ich vermisse dich jetzt schon", lächelt er in die Kamera, und versichert ihr liebevoll: "Wenn ich mal weg bin, dann komm ich wieder. Ich komm immer wieder." Aber was, wenn das inzwischen kein Liebesbeweis ist, sondern eine Drohung?

Denn es sieht ganz so aus, als ob Greta Exner ihren Mann umgebracht hat. Das jedenfalls vermuten Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) bald. Dann wäre der Toby, vor dem Greta sich fürchtet, ein Geist. Eine Manifestation ihres schlechten Gewissens. Schließlich wird dieser Kieler "Tatort" ja nicht ohne Grund "Wiedergänger" heißen. Nach dem Mythos von jemandem, der aus dem Totenreich zurückkehrt, um unter den Hinterbliebenen Unheil zu stiften.

Karin Neuhäusern stiehlt allen die Show

Vielleicht ist Toby (Pétur Óskar) aber auch aus reiner Boshaftigkeit einfach nur untergetaucht. "Wer soll den ermorden, diese Pfeife?", fragt der mit zwielichtigen Bilanzen beschäftigte Schwiegervater (Stephan Bissmeier). Vera Exner, Tobias' Schwiegermutter, konstatiert mit beißendem Sarkasmus und viel Zigarette in der Stimme: "Seit er weg ist, ist er jemand."

Denn seit Toby verschwunden ist, fallen die Aktienkurse des Familienunternehmens und schnüffelt diese Kommissarin Mila Sahin ständig bei ihr herum. Was der Millionärin ganz offensichtlich nicht passt. Vera Exner ist es gewohnt, vom einfachen Volk hofiert und nicht belästigt zu werden – eine Paraderolle für die Theaterschauspielerin Karin Neuhäuser, die in "Wiedergänger" allen die Show stiehlt.

Kommissar Borowski kümmert sich derweil um Veras Tochter. Denn das kann Klaus Borowski bekanntlich besonders gut: Einsame Frauen trösten. Und Greta Exner ist sehr einsam. Schon vor Tobias' Verschwinden. Wenn sie nicht die Firma leitet, fotografiert Greta lost places, verlassene Orte. Und genau so verloren und poetisch entschweben ihr die Sätze: "Meine Mutter ist eine Schildkröte. Sie legt ihre Eier in den Sand und verschwindet. Für immer." Borowski fragt teilnahmsvoll: "Hat sie das mit ihnen auch gemacht?"

Lesen Sie auch

Solche Dialoge sind typisch für die Drehbücher von Sascha Arango

Allerdings muss der hartnäckige Kommissar Greta bald auch wie ein Geist vorkommen, den sie nicht mehr loswird. "Sie sind gekommen, um mein Leben zu zerstören", schmollt sie. Um sich schnell zu entschuldigen: "Sie sind gekommen, weil ich Sie gerufen habe, ich weiß. Ich bin froh, dass ich Sie gerufen habe."

Solche Dialoge sind typisch für die Drehbücher von Sascha Arango, von dem unter anderem auch die berühmten "Stiller Gast"-Fälle mit Borowski stammen – da unterhielten sich nie einfach nur ein Psychopath und ein Kommissar, sondern eher zwei Aphorismen-Dichter. Allerdings war die Figur des Serienkillers Kai Korthals (Lars Eidinger) ungleich interessanter als die labile Greta Exner (Cordelia Wege).

Regisseur Andreas Kleinert inszeniert "Wiedergänger" als Charakterfilm

Als Publikum sollen wir ihre tragikomische Pein mitfühlen, wenn sie im Flattergewand barfuß durchs Wohnzimmer tanzt und ihren Haushälter/Koch/Therapeuten Witek (Greg Stosch) becirct – aber es ist schwer, diese narzisstische Tochter und ihre marode Nervensägenfamilie ernst zu nehmen.

Regisseur Andreas Kleinert inszeniert "Wiedergänger" bewusst nicht als Gespenstergeschichte, sondern als Charakterfilm. Wie in einem Theaterstück von Strindberg oder Tschechow stehen die Figuren in geschmackvoll arrangierten Räumen und deklarieren ihre existenzielle Verlorenheit mit wunden Worten.

Aber so ein minimalistischer Ansatz erfordert nicht nur eine gute Idee, wie es der Plot von "Wiedergänger" ist, sondern starke Figuren und Darsteller. Damit hapert es in diesem "Tatort", davon können auch skurrile Überhöhung und filmische Meta-Mätzchen nicht ablenken. Mit dem Wiedergängermotiv lässt sich wunderbar in den Tiefen der Seele wühlen. "Wiedergänger" aber ist viel zu affektiert, um zu verstören.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.