Im Wahnsinn zuckt das Augenlid: Matthias Brandt als schizophrener Therapeut macht den letzten "Tatort" mit Janneke und Brix sehenswert.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Was ist denn mit dem "Tatort" los? Drei Folgen in der neuen Saison, und immer noch kein richtig guter Krimi dabei. Ja, auch dieser ist nicht richtig gut. Nein, auch Matthias Brandt kann ihn nicht wirklich retten. Richtig, Matthias Brandt ist eigentlich immer gut. Und ja, ohne Matthias Brandt als spießiger, schizophrener Therapeut Tristan Grünfels, der in seinem Wahnsinn zum tragischen Helden wird, wäre "Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh'n" wahrscheinlich so unerträglich wie sein Titel.

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Ein Titel, der auf "Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen" anspielt. Das ist ein Lied aus dem Musical "My Fair Lady". Darin wird es von der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle als Beweis gesungen, dass sie endlich eine dialektfreie, propere Aussprache gelernt hat. Mit dem "Tatort" hat das rein gar nichts zu tun. Dabei ist dieser "Tatort" dermaßen vollgepackt mit Anspielungen, dass ein singendes Blumenmädchen auch nicht weiter aufgefallen wäre.

Im "Tatort" spielen nur grüne Berge eine kleine Rolle, weil Tristan Grünfels (Matthias Brandt) sich gerne aus dem Chaos seines lädierten Lebens in solch idyllische Landschaften phantasiert, wie deutsche Landschaftsmaler sie sich auf ihren Leinwänden erträumten.

Eine Affäre mit dem Masseur?

Tristan Grünfels liebt Bilder der Romantik, wie er uns in einem seiner Selbstgespräche wissen lässt. Idealistische Landschaften wie Caspar David Friedrichs "Der Wanderer über dem Nebelmeer", die ihn "in eine Zeit und an einen Ort versetzen, an dem alles in Ordnung ist und das Leben wieder einen Sinn hat."

Denn in Grünfels' Leben ist nichts mehr in Ordnung. Seine geliebte Frau Rosalie (Patrycia Ziolkowska) hat vermutlich eine Affäre mit ihrem Masseur und braucht ihren Mann eigentlich nur noch, um den dauerbekifften Sohn (Nico Jungmann) aus dem Bett zu kriegen. Tochter Senta (Maja Bons) ist nicht mehr sein kleines Mädchen, sondern eine junge Frau mit einem nervtötend sympathischen Freund (Soufiane El Mesaudi). Und sein nichtsnutziger Bruder Hagen meldet sich mit Spielschulden aus Frankfurts Unterwelt.

Kunstinstallation mit Monster

Es gibt "Störungen der deutschen Seele" in dieser dysfunktionalen, wagnerianischen, aber auch sehr alltäglichen deutschen Familie, könnte man also sagen. So heißt die Kunstinstallation von Sentas Freund. Ein begehbares Kunstwerk, das mit Nebelschwaden und der Romantik in Caspar David Friedrichs Bild spielt, um aus seiner Tiefe dunkle Monster hervorzuholen – aus den Tiefen der deutschen Geschichte natürlich, aber auch aus Tristans Seele.

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Denn aus Tristans harmlosen Selbstgesprächen und gesundheitsfördernden Meditationsübungen ist inzwischen eine schizophrene Psychose geworden. So jedenfalls diagnostiziert er sich in einem seiner Zwiegespräche selbst: Matthias Brandt gewissermaßen in einer Doppelrolle, als besorgter Therapeut und als durchgeknallter Totschläger. Denn als er aus einem Haufen Sperrmüll ein romantisches Landschaftsbild rettet, begegnet ihm eine Verkehrspolizistin mit banausenhafter Ignoranz, weswegen er ihr das Bild über den Schädel schlägt.

"Tja, da hatte er also einen Menschen auf dem Gewissen", kommentiert er sich selbst, "hatte sich der Polizei nicht gestellt, seinem Bruder nicht geholfen, seine Tochter nicht beschützt, und seine Frau zeigte keinerlei Interesse an gemeinsamer Zeit. Wie sollte das alles nur enden?" Nicht gut, kann man schon mal verraten.

Im Untergang noch schnell die Welt retten

Es ist ein Vergnügen, Matthias Brandt dabei zuzusehen, wie er mit einem nachsichtigen Lächeln hier und einer zuckenden Augenbraue da den Unterschied zwischen den beiden Tristans markiert. So subtil und gleichzeitig so deutlich, dass man sich vorkommt wie die liebende Mutter von eineiigen Zwillingen, die ihre Brut problemlos auseinanderhalten kann, während alle anderen keine Ahnung haben, was da vor sich geht.

Ganz unterhaltsam ist es auch, dem Spießer Tristan Grünfels dabei zuzusehen, wie ihn jetzt, da er nichts mehr zu verlieren hat, wieder Mut und Entschlossenheit packen. Es gilt, im Untergang die Welt zu retten. Seine Familie muss wieder zusammengeführt werden. Und bei der Gelegenheit auch gleich Kommissarin Anna Janneke (Margarita Broich) und Kommissar Paul Brix (Wolfram Koch). Man kennt sich, weil Grünfels nebenher als Opferberater für die Polizei arbeitet und ausgerechnet die Familie der Polizistin beraten soll.

Ja, Janneke und Brix sind auch noch da. Wir haben die beiden nicht vergessen. Sie haben hier nur nicht viel zu tun. Dabei ist es der letzte Fall des Frankfurter Teams, das auf eigenen Wunsch aussteigt. Und "Tatort"-Ermittler dürfen bekanntlich nicht einfach in den Sonnenuntergang reiten, sie müssen so richtig dramatisch verabschiedet werden. Leider nicht mit dramatischer Ermittlungsarbeit. Janneke und Brix sind vor allem damit beschäftigt, sich liebevoll zu necken oder bedeutungsvoll in die Augen zu blicken.

Zum Abschied ein Chanson

Den Drehbuchautoren Michael Proehl und Dirk Morgenstern und dem Regisseur Till Endemann ist melancholisch zumute. Sie schicken Tristan Grünfels auf einen Kriegszug der Liebe. Als deutscher Amor im Tweedjackett zieht er aus, die Romantik in den Frankfurter Alltag zurückzuholen.

Im Wahn bekocht er Kommissar und Kommissarin für ein Date. In der Realität steigt er in die Frankfurter Unterwelt, um seinen Bruder Hagen (Andreas Schröders) zu retten. Der hat ausgerechnet bei dem Unterweltboss seine Spielschulden, den Paul Brix gerade des Mordes an einem Informanten verdächtigt. So schließt sich der Kreis, könnte man sagen, wenn es irgendeinen Kreis gäbe.

Man fühlt sich ein bisschen wie der gespaltene Grünfels, wenn man diesen "Tatort" kritisieren soll. Die eine Stimme wispert: Was für eine überfrachtete, effekthascherische, seelenlose Kunstinstallation! Die andere aber sagt: Ist doch cool, so ein "Tatort" voller Dramatik! Durchgeknallt und deutsch zugleich, mit Wahnvorstellungen und Wagner, Landschaftsmalerei und Filmzitaten.

Und der Schluss? Wird natürlich nicht verraten. Aber wenn man als Rezensentin mal kurz persönlich werden darf: Da war ich gar nicht gespalten und habe mich furchtbar aufgeregt. Fanny (Zazie de Paris) singt auf der Bühne ihrer Bar zum Abschied ein schönes Chanson. Aber das ist auch das einzig Stimmungsvolle, Stimmige an diesem dick aufgetragenen Ende eines dick aufgetragenen "Tatort".

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