Wer war Karl Lagerfeld wirklich? Die Serie "Becoming Karl Lagerfeld" erzählt, wie der Designer zur Modelegende wurde – und zeigt den 2019 verstorbenen Chanel-Designer von einer sehr menschlichen Seite. Dass man mit Karl Lagerfeld und seinen inneren Kämpfen so mitfühlt, ist vor allem der einfühlsamen Darstellung Daniel Brühls zu verdanken.
"Es ist hässlich!", urteilt Marlene Dietrich entsetzt. Den pink-lilafarbenen Hosenanzug aus schwerer Seide, den
Ob sich die Begegnung zwischen Dietrich und Lagerfeld Anfang der 1970er-Jahre wirklich so zugetragen hat, ist nicht bekannt. In der Serie "Becoming Karl Lagerfeld" (auf Disney+) soll die Szene zeigen, dass es Zeiten gab, in denen selbst Karl Lagerfeld noch nicht die Legende war, als die er heute in Erinnerung ist. Als Lagerfeld 2019 starb, betrauerte die Modewelt ein spitzzüngiges, ideenreiches Multitalent, dem scheinbar alles gelang, was es anpackte. Über Lagerfelds mühsamen Karriereweg als Deutscher in der Pariser Modeszene sprach da niemand mehr.
Karl Lagerfelds Sehnsucht nach einem Platz in der vordersten Reihe der Pariser Modewelt
Doch genau hier setzt die Serie mit
Lagerfeld quälen Selbstzweifel, als Jacques de Bascher (Théodore Pellerin) in sein Leben tritt. Der junge Dandy flirtet mit Lagerfeld, inspiriert ihn als Muse, ihr Ringen um eine innige, aber sexuell unerfüllte Liebe steht im Zentrum der Serie. Jacques beginnt ausgerechnet eine Affäre mit Saint Laurent, was sinnbildlich auch für Lagerfelds Sehnen nach einem Platz in der vordersten Reihe der Pariser Modewelt steht – Saint Laurent scheint in diesem Moment alles zu haben und zu sein, was Lagerfeld selbst gern hätte und wäre.
Geduldig auf Chancen warten
"Ich bin es leid, dass mich niemand ernst nimmt", macht sich Lagerfeld in einer Szene Luft. Er ist der Getriebene, der nicht auf Eingebungen wartet, sondern arbeitet, arbeitet, arbeitet. Ehrgeizig, aber gehemmt. "Ein Gehirn auf zwei Beinen", nennt ihn Jacques de Bascher im Streit, einsam und unfähig, die vollständige Gefühlsbandbreite zwischenmenschlicher Beziehungen auszuleben. Nur seiner Mutter Elisabeth ist Lagerfeld nahe, von ihm als längst erwachsenen Mann noch "Mutti" genannt. Sie spricht ihrem Sohn Mut zu, kommentiert sein Hadern mit dem beruflichen Fortkommen aber auch trocken: "Vielleicht solltest du erst mal deinen eigenen Stil finden, bevor du über eine eigene Modelinie nachdenkst".
Es ist dieser hanseatische Pragmatismus, der Lagerfeld immer weitermachen lässt. "Es verging kein Tag in meinem Leben, an dem ich nicht träumte, ein großer Mann zu sein", zitiert Lagerfeld in der Serie sein Lebensmotto nach dem Schriftsteller Robert Musil. Also spinnt er unermüdlich seine Fäden in der Branche, polstert seinen Ruf als Trend-Visionär durch einen kommerziellen Hit nach dem nächsten komfortabel ab, wartet geduldig auf Chancen. Und die kommen: Die erste Serienstaffel endet mit dem Angebot, bei Chanel als Kreativdirektor einzusteigen – Anfang der 80er-Jahre eine verstaubte Marke für alte Damen.
Zwischen 70er-Jahre-Flair, opulenten Bildern und inneren Kämpfen
Was danach kam, ist vieldokumentierte Modegeschichte: Mit Chanel feierte Lagerfeld gigantische Erfolge, während er seine Personenmarke mit der berühmten, weißen Puderfrisur, der Sonnenbrille und den ironisch-bissigen Bonmots immer weiter verfeinerte. Er wurde zum Mythos, ein Name, den alle kannten – in der Couture wie in der Massenmode.
Genügend Stoff für eine Fortsetzung der historisch frei interpretierten, aber sehr schwungvollen Serie. Die ist noch ungewiss, eigentlich ist die Produktion nämlich als in sich abgeschlossene Mini-Serie konzipiert. Es wäre schade drum. "Becoming Karl Lagerfeld" gelingt, woran vergleichbare Verfilmungen von Mode-Biografien sonst häufig scheitern (zuletzt etwa die dröge Serie "New Look" über Christian Dior): Sie ist im besten Sinne massenkompatibel. Vom 70er-Jahre-Flair der Show lässt man sich gern mitreißen, schwelgt aber eben nicht nur in opulenten Bildern, sondern fühlt mit Karl Lagerfeld und seinen Kämpfen. Die sechs Folgen sind blitzschnell durchgeschaut.
Das ist vor allem Hauptdarsteller Daniel Brühl zu verdanken, der Karl Lagerfeld uneitel spielt, mit verkniffenem Mund und schneller Zunge, immer darum bemüht, die menschliche, oft auch gutmütige Seite des "Modezaren" durchblitzen zu lassen. Ihn würde man zu gern in einer zweiten Staffel beim Chanel-Neustart begleiten. In der Serie heißt es, Karl Lagerfeld habe den "Selbsterhaltungstrieb einer Motte", so schnell ist er nicht unterzukriegen. Vielleicht gilt das ja auch für sein TV-Ich.
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