Nach rund 30 Jahren im Filmgeschäft wechselt Moritz Bleibtreu für sein Regiedebüt "Cortex" erstmals auch hinter die Kamera. Ein Gespräch darüber, warum Bleibtreu sich selbst als Fehlbesetzung in seinem eigenen Film sieht und warum er als "Hofnarr" Politik und Kino nicht miteinander vermischen möchte.
Herr
Moritz Bleibtreu: (lacht) Es gab sicherlich Momente, da war das sehr anstrengend. Wobei die Anstrengung gar nicht mal der Belastung geschuldet war. Vielmehr habe ich zum ersten Mal als Regisseur und Produzent die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, Filme zu produzieren. Zum Beispiel durch praktische Sachen, die einem das Leben schwer machen. Wie die Drehgenehmigung, die wir in Berlin verloren haben. Aber was die kreative Belastung anging, hatte ich das große Glück, dass ich einfach so geile Leute dabei gehabt habe, dass das irgendwie ging. Also ich bin nicht an einen Punkt gekommen, wo ich gedacht habe: "Boah, jetzt geht es nicht mehr weiter."
Die Rolle des Hagen, den Sie in "Cortex" spielen, war aber ursprünglich für jemand anderen gedacht. Wie kam es, dass Sie eingesprungen sind?
Ne, eingesprungen bin ich nicht. Ich habe nur niemanden gefunden. Ich habe damals den Fehler begangen, das Buch zu schreiben, ohne wirklich einen Schauspieler für die Rolle im Kopf zu haben. Ich hatte nur so eine vage Vorstellung, wie derjenige sein muss. Innerhalb des Casting-Prozesses habe ich dann gemerkt, dass ich niemanden finde, von dem ich voll und ganz sage: Das ist er. Derweil ging immer mehr Zeit verloren, der Drehbeginn rückte näher und näher. Da wurde mir dann klar, dass ich mich jetzt entscheiden muss.
Und wie kam es, dass Sie sich für sich selbst entschieden haben?
Das ist eigentlich meinem Partner Emek (Kavukcuoglu, Produzent von "Cortex", Anm.d.Red.) zu verdanken. Der hat irgendwann gesagt: "Ey Moritz, jetzt nerv mich nicht, bitte spiel das jetzt. Sonst können wir den Film nicht drehen." (lacht) Außerdem war er noch sehr günstig, dieser Moritz Bleibtreu, und er hatte Zeit. Da hat ihn der Regisseur eben genommen – zähneknirschend. (lacht) Und der Bleibtreu hat das auch ganz okay gemacht. Aber es hätte sicherlich eine bessere Besetzung gegeben.
Weil die Rolle, im Gegensatz zu den meisten anderen Ihrer Filme, eher ein zurückgenommener Charakter ist?
Ja. Die Figur, die ich verkörpere, ist sehr reserviert und introvertiert. Deswegen wollte ich die Rolle ja eigentlich auch nicht spielen. (lacht) Ich war mir als Schauspieler zu vital für den Part. Ich hätte jemanden dafür gewollt, der subtiler ist und nicht so einen starken Auftritt hat.
Der deutsche Film besteht in der Wahrnehmung vieler inzwischen lediglich aus seichten Komödien und depressiven Sozialdramen. Genrefilme wie Cortex finden zwischen diesen zwei Extremen nur selten statt. Wie schwer war es für Sie, den Film in die Realität umzusetzen?
Das war nicht einfach. Aber wenn man so einen starken Partner am Tisch hat wie Warner, dann geht das. Gleichzeitig muss man auch dazu sagen, dass wir Cortex für unter vier Millionen Euro gemacht haben. Die Produktionskosten waren, glaube ich, auch der hauptsächliche Grund, dass wir den Film überhaupt umsetzen konnten. Denn jeder, der sich ein bisschen damit auskennt, weiß: Um so einen Film für solch eine Summe zu produzieren, da muss man einiges richtig machen. Wenn man Filme ins Kino bringen will, die vielleicht ein bisschen komplexer sind, dann wird man sich in Zukunft damit abfinden müssen, für sie kein Geld mehr ausgeben zu können.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee für den Film gekommen?
Das kann ich so gar nicht sagen. Ich hatte jetzt keine wirkliche Initialzündung dafür. Irgendwann wuchs die Idee in mir: 'Wie wär es, wenn man einen Body-Switch-Film machen würde, der nicht lustig, sondern dramatisch ist?' Daraus ist dann die Geschichte mit den Träumen entstanden, die diesen Körpertausch hervorrufen.
Sie sind schon seit ihrer Kindheit im Filmgeschäft aktiv. Warum wollten Sie genau jetzt hinter die Kamera wechseln?
Natürlich ist das ein Prozess gewesen. Ich hab schon immer mit dem Gedanken gespielt, irgendwann selbst Regie zu führen. Wenn man so viele Filme gemacht hat wie ich, ist das wahrscheinlich auf eine gewisse Art natürlich. Als Schauspieler ist man ja immer in der Situation, das umsetzen zu müssen, was andere sich ausgedacht haben. Da ist der Reiz groß, herausfinden zu wollen, was dabei rauskommt, wenn man sich selbst eine Geschichte ausdenkt.
Und warum haben Sie gerade Cortex als ihr Regie-Debüt ausgewählt?
Das hat sich so ergeben. Ich hab immer an mehreren Sachen zeitgleich geschrieben. Da stellte sich dann natürlich die Frage, welche von meinen Geschichten mache ich zu meinem ersten Film. Und Warner Bros. hat irgendwann gesagt: Wir finden die Geschichte von Cortex ganz gut und würden das gerne mit dir realisieren. Ab da ging dann alles ganz schnell.
Verstehe ich das richtig, dass Sie noch andere Drehbücher in der Hinterhand haben und diese auch selbst als Regisseur umsetzen wollen?
Das wäre schön, ja. Wenn man mich lässt und die Leute finden: Das Kino von dem Jungen ist nicht ganz uninteressant, dann würde ich gern weiter Filme schreiben und inszenieren.
Sie haben ihren Wechsel zur Regie einmal knapp mit den Worten "Jetzt bin ich halt für den Käse echt selbst verantwortlich" umrissen. Macht Sie diese größere Verantwortung im Hinblick auf die Kritiken zu Cortex nicht nervös?
Ne, ehrlich gesagt nicht wirklich. Es ist sogar angenehm. Jetzt wissen wenigstens alle, wo sie die Eier hinschmeißen müssen. Das finde ich gut. Mir ist auch völlig klar, dass ich keinen gefälligen Film gemacht habe. Cortex arbeitet mit ungewöhnlichen Erzählstrukturen, traut sich eine gewisse Komplexität zu und führt den Zuschauer aufs Glatteis. Dass da einige Leute sagen werden, dass sie damit überhaupt nichts anfangen können, war mir von vornherein bewusst.
Außerdem ist es ein sehr visueller Film, der dem Zuschauer lieber Dinge zeigt, als irgendetwas ausufernd zu erklären.
Ja, das stimmt. Cortex ist kein dialogischer und auch sicherlich kein Schauspieler-Film. Vielmehr ist es ein "story driven piece“, wie man im Englischen sagen würde. Es geht vor allem um die Geschichte, die erzählt wird.
... die der Zuschauer oft für sich selbst interpretieren muss. Eine mutige Form der Erzählung heutzutage, oder?
Ich bin keiner, der von einem Film per se erwartet, dass er sich aus sich selbst heraus erschließt. Ich mag es, wenn ich einen Film auch mal nicht verstehe und etwas investieren muss. Warum? Weil das genau der Teil an Filmen ist, den ich spannend finde – nämlich die Fantasie. Die Fantasie eines jeden Rezipienten ist eingeladen mitzuarbeiten. Das ist eben anders als zu sagen, ich hab hier drei Akte, der erste ist lustig, der zweite etabliert dies oder das und im dritten wird es dann wieder dramatisch. Wenn man einen Film so konzipiert, versucht man eigentlich, eine bestimmte Reaktion beim Zuschauer zu antizipieren oder vorab zu planen. Ähnlich ist es, wenn man möchte, dass ein Film politisch ist. Also auf soziale Ungerechtigkeiten hinweisen oder eine Diskussion zu einem politischen Thema entfachen soll.
Politischer Subtext in einem Film ist also problematisch?
Solche Herangehensweisen sind legitim. Aber ich persönlich bin jemand, der es mag, wenn man mir diese Deutung überlässt. Wenn Filme im Auftrag der Fantasy arbeiten und nicht im Auftrag der Politik.
Sie sind auch bekennender Nichtwähler und haben dies gegenüber der SZ einst damit begründet, dass man sich bei Wahlen nur für das kleinere Übel entscheiden könne. Fließt diese Aversion für das Politische in ihre Filme ein?
Es ist gut und richtig, wenn man politisch ist. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass der Film kein Raum ist, um politische Veränderungen stattfinden zu lassen. Oft wird ja gesagt, dass jemand in meiner Position eine soziale oder politische Verantwortung hat. Das sehe ich nicht so. Ich hab eine Verantwortung gegenüber den Geschichten, die ich mache, und den Figuren, die ich spiele. Aber ich habe sicherlich keine größere soziale Verantwortung als jeder andere Mensch. Ich bin ja kein Politiker oder irgendjemand, der sich diese Dinge zur Aufgabe gemacht hat. Im Gegenteil. Ich bin der Hofnarr. Ich bin für die Fantasy da. Das mit der Politik und dem echten Leben, das sollen die anderen machen.
Die politische Dimension von Filmen spielt aber spätestens seit "MeToo“ eine immer wichtigere Rolle. Mit der kürzlich angekündigten Diversity-Regelung für den "besten Film“ rückt die Oscar-Academy die Verknüpfung von Film und sozialen Missständen sogar noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich bin bei jeder Form von Reglementierung immer erst mal vorsichtig (lacht). Auch die Entwicklung, dass viele politische Strömungen Einfluss auf das Kinogeschäft nehmen, sehe ich kritisch. Vielleicht ist der Schritt richtig und eventuell entsteht daraus was ganz Großartiges. Aber das ist sicherlich nichts, was ich einfach so hinnehme und für eine seit Jahren überfällige Idee halte. Wie bei allen anderen Veränderungen muss erst einmal bewiesen werden, dass dieser Schritt richtig ist.
Die Film-Branche ist von der Coronakrise besonders hart getroffen worden. Wie würden Sie die aktuelle Stimmung beurteilen? Hat der Erfolg von Tenet für mehr Optimismus gesorgt?
Nein, das ist ja völliger Quatsch. Wenn du einen Film wie Tenet produzierst und mit den Zahlen, die er jetzt erwirtschaftet hat, zufrieden sein solltest, dann kannst du deinen Laden morgen zusperren. Tatsache ist, dass sich eine solche Produktion wie Tenet bei der aktuellen Auslastung der Kinos niemals refinanzieren lässt. Egal wie viele Wochen der auf Platz eins ist – das ist ein Minusgeschäft hoch zehn. Rein unternehmerisch betrachtet ist das eine Katastrophe. Was wir sehen ist, dass die Leute wieder ins Kino gehen, wenn man sie lässt. Aber das wäre ja hoffentlich auch so gewesen, wenn es Corona nicht gegeben hätte.
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