- Mit "Antlers" läuft derzeit ein Horrorfilm in den Kinos, der die Genre-Grenzen sprengt.
- Der größte Schrecken wird nicht von einer übernatürlichen Kreatur verbreitet, sondern von den allzu realen und schockierenden Auswüchsen einer kaputten Gesellschaft.
- Hauptdarstellerin Keri Russell und Regisseur Scott Cooper über den Film und den Horror der Realität.
Der böse weiße Mann betreibt Raubbau an der Natur, verlacht die Traditionen der indigenen Bevölkerung, ignoriert alle Warnzeichen – und wird schließlich in Erfüllung eines uralten Fluches von einem fiesen Wiedergänger heimgesucht/aufgefressen/zum Zombie gebissen. Diese Geschichte klingt wahrlich nicht neu und dürfte wohl die wenigsten Horror-Fans hinter dem Sofa hervor und in die Lichtspielhäuser locken.
Doch "Antlers", der aktuell im Kino läuft, ist weitaus mehr als nur ein Gruselfilm mit einem gefühlt 100 Mal gesehen Plot. Darauf weist nicht nur der Name des Produzenten hin: Guillermo del Toro gilt als meisterhafter Erzähler fantastischer Geschichten.
Denn der wahre Horror, der sich in einer kleinen Stadt in Oregon abspielt, hat mitnichten eine übernatürliche Quelle. Wie der Titel ("Geweih") verrät, gibt es zwar ein an einen Hirsch erinnerndes Monster, das seine Opfer sucht und zahlreich findet. Doch vor allem die Zustände in dem Ort sind erschreckend. Drogen, Vernachlässigung, Missbrauch – im Grunde eine Abbildung fast jeder aktuellen Nachrichtensendung.
In düsteren Bildern erzählt Regisseur Scott Cooper ("Crazy Heart") die Geschichte der jungen Lehrerin Julia (Keri Russell, "Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers"), die sich eines Problemschülers annimmt und den furchtbaren Hintergrund seines Verhaltens entdeckt – während ihr Bruder (Jesse Plemons) als Sheriff der Stadt eine Mordserie aufklären muss.
Im Zoom-Interview sprachen wir mit dem Regisseur und der Hauptdarstellerin über den Horror des echten Lebens und die Herausforderung der Dreharbeiten mit Kindern.
Scott Cooper: "Der Horror des echten Lebens ist viel erschreckender als jedes Monster"
"Antlers" als einen düsteren Film zu beschreiben, ist wohl eine riesige Untertreibung. Er wird als Horrorfilm angekündigt, es gibt so viele Ebenen … Als Zuschauer ist man sich nicht sicher, ob es wirklich ein Horrorfilm mit einer beklemmenden Hintergrundstory ist - oder doch eher ein Sozial-Drama mit einigen übernatürlichen Schock-Momenten.
Keri Russell: Das ist genau, was wir erreichen wollten. Es ist einfach Scott Coopers (Regisseur, Anm. der Red.) Version eines Horrorfilms. Als Regisseur liegt ihm daran, besonders die fragilen zwischenmenschlichen Geschichten darzustellen - und das wollte er auch hier. Ja, es ist ein Guillermo-Horrorfilm, aber da gibt es einfach auch diese generationenübergreifende traumatische Geschichte.
Scott Cooper: Es war mein erster Ausflug in die Welt des Übernatürlichen. Aber ich glaube, dass der Horror des echten Lebens - gerade hier in Amerika, aber auch überall auf der Welt - viel erschreckender ist als jedes Monster. Ob generationenübergreifende Traumata, Alkoholismus, die Opioid-Krise, Missbrauch, auch die Klimakrise - all diese Themen kommen im Film vor. Mein Ziel war es, den Menschen einen dunklen Spiegel vorzuhalten, der ihre Ängste zeigt. Und ich hoffe, dass der Film Leute anspricht, die nicht nur Horrorfilme mögen, sondern auch Dramen.
Der nicht-übernatürliche Teil ist über große Strecken auch wirklich schockierender. Nicht zuletzt auch die Geschichte der Lehrerin Julia und diese furchtbaren Flashbacks, die sie quälen.
Keri Russell: Als Scott (Cooper) mit mir darüber gesprochen hat, über diese Stadt, in der die Menschen ihre Arbeit verloren haben, es eine Drogen-Krise gibt – etwas, das in unserem Land gerade sehr aktuell ist –, klang es für mich tatsächlich wie eine Metapher. All die Angst, die mit der Armut und dem generationenlangen Missbrauch einhergeht. Julia möchte nur ihr Leben zurückhaben und Wunden heilen lassen, die es in ihrer Familie gibt – und dieser eine Schüler bringt all die dunklen Dinge auch aus ihrer Vergangenheit zutage.
Regisseur Scott Cooper: Aus 900 Jungen einen Darsteller gefunden
Ja, vor allem der geheimnisvolle "Problemschüler" Lucas hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Wie haben Sie den Darsteller Jeremy T. Thomas "gefunden" – und wie gestaltet sich die Arbeit mit einem Kind für diese Art von Film?
Scott Cooper: Das war natürlich eine Herausforderung auf sehr vielen Ebenen. Es war nicht mein erstes Mal, dass ich mit Kinderdarstellern gearbeitet habe. Auch in "Feinde - Hostiles", "Black Mass" und "Crazy Heart" waren sehr junge Darsteller dabei. Ich versuche immer, Kinder zu casten, die noch keine "fertigen" Schauspieler sind. Sie sollen nicht von einem Schauspiellehrer oder ihren Eltern gezeigt bekommen, wie sie etwas darstellen sollten. Ich habe etwa 900 englischsprachige Jungen von überall gesehen - und Jeremy war einfach genau, wonach ich gesucht hatte. Aber die wahre Herausforderung war für Jerry und auch Sawyer Jones, der seinen kleinen Bruder spielt, dass sie mit zwölf und sieben Jahren wirklich noch sehr jung waren. Als Vater weiß ich, wie schwer sich Kinder und düstere Dinge vereinbaren lassen. Egal, ob es auf dem dunkeln Dachboden ist oder in der Mine. Und dann gibt es ja auch noch diese Kreatur … ich musste die Jungs regelmäßig daran erinnern, dass alles nur ausgedacht ist und dass wir im Grunde in einem großen Sandkasten spielen und Spaß haben. Ich habe mir sehr große Mühe gegeben, dass sie sich so wohl wie möglich fühlten – denn wir haben einfach unter Umständen gearbeitet, die nicht nur für Sieben- oder Zwölfjährige eine Herausforderung waren, sondern auch für Keri und Jesse (Plemons, als Julias Bruder und Sheriff Paul Meadows).
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