Perfektes #vanlife auf Instagram, tödliche Gewalt in der Realität: Netflix beleuchtet mit Hilfe vieler persönlicher Videos den Tod der Reisebloggerin Gabby Petito.
Es ist wahrscheinlich der entscheidende Moment in Gabby Petitos Leben. Am 12. August 2021 erreicht die US-Polizei ein Notruf. Ein Mann hat beobachtet, wie eine Frau in einem weißen Van geschlagen wurde. Die Polizisten stoppen daraufhin das Fahrzeug. Was dann passiert, zeigt die neue True-Crime-Doku "American Murder: Gabby Petito".
Die Beamten tragen Bodycams, nehmen das komplette Gespräch auf. Sie treffen auf die zu diesem Zeitpunkt 22-Jährige, die ganz verweint aussieht, eine Schramme am Auge hat und berichtet, dass sie unter Zwangsstörungen und Angstzuständen leidet. Sie habe ihren Job gekündigt, um Reisebloggerin zu werden und mit einem Van durch Amerika zu reisen. Ihr Freund Brian Laundrie bleibt ganz entspannt. Er erklärt, sie hätten einen Streit gehabt, Gabby habe ihn angegriffen, Kratzer am Hals bestätigen das.
Die amerikanischen Polizisten diskutieren, was sie mit den beiden machen sollen. Einer von ihnen sagt noch, dass Frauen bei häuslicher Gewalt oft dazu tendieren, zu ihrem Partner zurückzukehren und dann tot enden.
Trotzdem verhaften sie keinen der beiden, sie trennen sie, Laundrie wird zu einem Hotel gefahren, Petito bleibt allein im Van. Die Anweisung, 24 Stunden keinen Kontakt miteinander zu haben, ignorieren sie und sehen sich noch am selben Abend. Nicht einmal zwei Wochen später ist Gabby Petito tot.
Hinter der perfekten Vanlife-Fassade
Mit "American Murder: Gaby Petito" rollt Netflix den Fall noch einmal auf. Die dreiteilige Dokumentation, die sofort auf Platz eins der Streaming-Charts des Anbieters kletterte, versucht, das Geschehene akribisch nachzustellen. Das Besondere dabei ist, dass kaum Szenen mit Schauspielern verwendet werden, Petito nahm alles auf ihrem Smartphone auf.
Sie war angezogen von dem vermeintlich glamourösen #vanlife, den viele Influencer auf Instagram, Tiktok oder YouTube idealisieren. Die spektakulärsten Orte der Welt besuchen und dafür auch noch bezahlt werden, so zumindest das Klischee. Dass es hinter den perfekten Aufnahmen dieser Reisen ganz anders aussieht, zeigt die Netflix-Doku in extremer Form.
Durch das umfangreiche Videomaterial, Kurznachrichten und Briefe, die von einer KI gesprochen werden, die die Stimme der jungen Frau nachahmt, wird Petito für die Zuschauer noch einmal greifbar. Es ist fast, als habe sie selbst an diesem Dreiteiler mitgearbeitet. So entsteht das Bild einer lebenshungrigen jungen Frau, die an den falschen Mann gerät und sich trotz der Warnzeichen nicht von ihm trennen kann.
Nach dem Fund der Leiche verschwindet der Mörder
Dass etwas mit Brian Laundrie nicht stimmt, wird schnell klar. Petito meldet sich tagelang nicht auf die Anrufe ihrer Eltern, Laundrie ist ebenfalls nicht zu erreichen. Stattdessen taucht er bei seinen Eltern auf, mit dem Van, ohne seine Freundin.
Die Eltern der Vermissten informiert keiner. Die finden erst heraus, dass Gabby verschwunden ist, als die Polizei im Lauf der Suche bei Laundries Elternhaus vorbeifährt und zu ihrer Überraschung feststellt, dass Brian zurück ist und der gemeinsame Van in der Einfahrt steht. Sein Vater und seine Mutter schweigen, dokumentiert von der Bodycam der Polizisten, sie verweisen nur auf ihren Anwalt.
Der seltsame Fall ist ein gefundenes Fressen für Medien und Social Media. Eine vermisste schöne junge Influencerin, ein schweigender Freund – von überall gehen Hinweise ein, es wird spekuliert, Demonstranten campieren vor dem Haus der Laundries mit Plakaten wie “Wo ist Gabby?". Als am 19. September 2021, mehr als drei Wochen nach ihrem Verschwinden, Gabby Petitos Leiche im Grand-Teton-Nationalpark in Wyoming gefunden wird, verschwindet Brian Laundrie.
Die Suche beginnt erneut. Im Oktober 2021, nach 37 Tagen, finden seine Eltern die Leiche ihres Sohnes in einem Nationalpark in der Nähe ihres Wohnorts. Laundrie hat sich selbst erschossen und ein Geständnis hinterlassen, in dem er erklärt, Gabby habe sich bei einem Ausflug schwer verletzt und ihn darum gebeten, sie "von ihrem Leiden" zu erlösen.
Die Dokumentation kann nicht alles aufklären
Trotz neuer Erkenntnisse kann "American Murder: Gabby Petito" nicht alle Rätsel der Tat lösen. Zwar legt die Dokumentation schlüssig dar, dass Laundrie seine Freundin ermordet hat und seine Eltern, die er kurz nach dem vermuteten Datum der Tat immer wieder anrief, mutmaßlich davon wussten, aber deren Seite kommt im Dreiteiler nicht zu Wort.
Die Familie von Laundrie schweigt trotz der Gerichtsverfahren von Petitos Eltern gegen sie weiterhin, nur eine gemeinsame Freundin des toten Paares sitzt vor der Kamera, kann aber nichts zur Tat berichten. So bleibt ein großer Teil der Geschichte von Gabby Petito im Dunkeln. Aber vielleicht hilft die Netflix-Doku dabei, dass im Nachgang noch einige Dinge aufgeklärt werden können. Gabbys Eltern wäre es zu wünschen.
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