Die Netflix-Doku "Harry & Meghan" wurde bereits zum Skandal stilisiert, doch davon ist sie weit entfernt. Sie erzählt lediglich die Geschichte des Herzogs und der Herzogin von Sussex aus deren Perspektive. Dabei zeichnet sie das Bild eines verzweifelten jungen Paares, einer skrupellosen Boulevard-Presse und einer königlichen Familie, die nicht bereit ist, ihre Familienmitglieder zu beschützen. Am Donnerstag erschienen die finalen drei Folgen.

Christian Vock
Eine Kritik
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"I Wish You Could Know What It Means To Be Free (dt. ich wünschte, du würdest wissen, was es heißt, frei zu sein)" nannte Meghan, Herzogin von Sussex, in der ersten Folge der Netflix-Doku "Harry & Meghan" als ihren Lieblingssong. Das Lied von Nina Simone hätte nicht passender sein können und wahrscheinlich wurde diese Aussage deshalb auch nicht ganz zufällig für die Doku ausgewählt. Schließlich geht es in diesem Song um Freiheit und um Liebe. Und genau davon handeln auch die ersten drei Folgen von "Harry & Meghan".

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Es geht um den Wunsch nach einem Rückzug von den Fesseln royaler Verpflichtungen, vom Rassismus der britischen Gesellschaft und von der Skrupellosigkeit der Sensationsmedien zum Schutz der eigenen Familie. Die Folgen vier bis sechs, die am Donnerstag bei Netflix veröffentlicht wurden, bilden dazu nun quasi den Höhepunkt dieses Kampfes, der in der Lossagung von der königlichen Familie mündet - mit all den Vorwürfen, die diesen Weg begleiten.

Doch erst einmal scheint alles wie am Schnürchen zu laufen für Harry und Meghan, denn in Folge vier steht die Hochzeit an mit allem, was dazu gehört in diesen Kreisen: Serena Williams, die Beckhams, George Clooney und Elton John am Klavier. "Es war, als würde die Welt für einen Moment innehalten und die Liebe feiern", erzählt Vicky Tsai, eine Freundin der beiden. Und auch das Verhältnis zwischen Meghan und dem heutigen König Charles III. scheint noch intakt: "Als mein Schwiegervater war er sehr wichtig für mich", erzählt Meghan über ihre Bitte, Charles möge sie zum Altar führen.

Harry und Meghan – eine Bedrohung für den Palast?

Auch mit der inzwischen verstorbenen Queen Elizabeth II. kommt Meghan gut zurecht: "Es war wirklich toll mit ihr", berichtet Meghan über den ersten gemeinsamen Auftritt mit der Queen, als diese ihr im Auto eine Decke über die Knie legt. "Wäre die Geschichte des Königshauses ein Roman, würde man eine Figur wie Meghan einbauen wollen", erklärt James Holt, ehemaliger Pressesprecher des Palastes und heutiger Direktor der Archewell Foundation, und sagt weiter: "Sie brauchte einen Energy-Boost, eine Modernisierung, die eine neue Generation ansprechen würde."

"Es lief so gut", erzählt Meghan in der Doku über diese Zeit, doch das sollte nicht lange anhalten. "Ich verstehe nicht, was dann passierte", berichtet Abigail Spencer, Schauspielerin und Freundin von Meghan und eine weitere Freundin, Lucy Fraser, sucht eine Erklärung in einer Reise von Harry und Meghan: "Ich glaube, Australien war ein echter Wendepunkt, weil sie so beliebt waren bei der Bevölkerung. Im Palast fühlte man sich dadurch unglaublich bedroht."

Auch Harry versucht sich in der Doku an einer Erklärung: "Das Problem ist: Wenn man einheiratet, sollte man eigentlich nur eine Nebenrolle spielen. Wenn man das Rampenlicht stiehlt oder den Job besser macht als die, die dafür geboren wurden, nervt das die Leute und verschiebt die Balance. Denn es wird dir eingeredet, dass deine Wohltätigkeitsaktivitäten nur Erfolg haben und dein Ruf nur wachsen oder sich verbessern kann, wenn du auf den Titelseiten dieser Zeitungen bist. Aber die Medien entscheiden, wer es auf die Titelseiten schafft."

Meghan: "Ich dachte, es hört auf, wenn ich nicht mehr da bin"

Die Boulevardmedien inszenieren einen Konkurrenzkampf zwischen Meghan und ihrer Schwägerin Kate - mit eindeutig verteilten Rollen, wie Autor David Olusoga erklärt: "Man konnte Artikel sehen, in denen Kate für etwas gelobt und Meghan für die gleiche Sache verurteilt wurde." Auch Harry kritisiert diesen Umgang: "So berichten sie über sie und so über sie. Wer diesen Unterschied nicht sieht und nicht versteht, warum so berichtet wird, dem kann ich auch nicht helfen", erklärt der Herzog von Sussex und sieht hinter all dem auch eine große Portion Rassismus.

Doch die Darstellungen der britischen Klatschpresse verfangen, wie Meghan bei einem öffentlichen Auftritt in Liverpool selbst erleben muss. Eine Frau habe zu ihr gesagt: "Was Sie mit Ihrem Vater machen, ist nicht richtig." "Da merkte ich zum ersten Mal: Die Leute glauben dieses Zeug wirklich", so Meghan. Doch der Tratsch der Leute ist das eine, das andere ist, was dieses Gefühl der Machtlosigkeit mit denen, die die Lügen über sich ergehen lassen müssen, macht.

"Ich dachte, es hört auf, wenn ich nicht mehr da bin", gibt Meghan in der Doku Einblick in ihre Suizid-Gedanken und sagt: "Das Erschreckende war, wie klar diese Gedanken waren." Gedanken, die ihrer Mutter Doria schwer zu schaffen machen, wie sie in der Doku erzählt: "Ich weiß noch, wie sie mir sagte, dass sie den Wunsch spürte, sich das Leben zu nehmen. Das brach mir das Herz. Ich wusste, dass es schlimm war. Aber dass diese Geier auf ihr herum hackten. Dass sie immer weiter auf ihrer Seele herum hackten, dass sie wirklich daran dachte, nicht hier sein zu wollen. Das ist für eine Mutter nicht leicht zu hören."

Harry enttäuscht von sich selbst und von seiner Familie

Ihr Mann Harry spart an dieser Stelle der Doku nicht mit Kritik an sich selbst. Er habe nicht wie ihr Ehemann auf die Situation reagiert, sondern sei in seine gelernte Rolle als Teil der Institution verfallen. "Wenn ich heute darauf zurückblicke, hasse ich mich dafür", erklärt Harry. Dass Meghan auch von seiner Familie keine Unterstützung bekommt, lässt erste Risse entstehen. "Sie wussten, wie schlimm es war", erzählt Harry.

Keine Unterstützung durch die Familie und mit einer Skandal heischenden Boulevardpresse im Nacken setzt sich laut Doku die Entfremdung vom Königshaus fort und als Meghan in einem Interview über ihre Belastung als junge Mutter spricht, erntet sie zwar die Zustimmung der Menschen, aber die Missbilligung der Royals und der Presse: "Das war ein großer Wendepunkt", so Meghan.

Ein weiterer Knackpunkt ist der Brief, den Meghan auf Wunsch des Königshauses an ihren Vater schrieb, als der zu oft mit den Boulevard-Medien spricht. Der Brief landet bei der Presse, die ihn veröffentlicht - zumindest Teile davon. "Alles, was ich zur Manipulation durch die Medien geschrieben hatte, wurde gestrichen", erklärt Meghan. Doch auch hier hilft die königliche Familie nicht, die beiden verklagen die Zeitung im Alleingang.

Meghan über Brief-Affäre: "Danach änderte sich alles"

Ein Krieg an zwei Fronten, wie es die Doku nahelegt. Denn zum einen erkennen Meghan und Harry, dass die betreffende Zeitung die Klage nutzt, um an noch mehr Privates zu kommen, um damit Geld zu verdienen. Zum anderen soll auch hier die Familie wieder nicht auf ihrer Seite gestanden haben, wie Harrys und Meghans Anwältin Jenny Afia erklärt: "Ich habe einige Indizien dafür gesehen, dass Harry und Meghan vom Palast Anweisungen erhielten, die nicht ihnen, sondern dem Vorteil anderer dienten."

"Danach änderte sich alles. Dieser Rechtsstreit war der Auslöser für alles, was danach folgte", erzählt Meghan und meint damit die komplette Loslösung von der königlichen Familie. Auf Vancouver Islands in Kanada entschließen sich die beiden, kürzer zu treten. Man wolle zwar noch im Namen der Queen arbeiten, aber finanziell unabhängig werden. Harry bespricht die Pläne mit seinem Vater, der ihn bittet, das schriftlich einzureichen. Harry folgt der Bitte mit dem Hinweis, sollte dies nicht möglich sein, würden sie ihre Titel niederlegen.

Als die Pläne nur fünf Tage später auf der Titelseite einer Boulevard-Zeitung landen, ist das der Anfang vom Ende von Harry und Meghan als Teil der königlichen Familie. Bei einem Krisengespräch, das ohne Meghan stattfindet, wird die Lage diskutiert: "Es war entsetzlich: Mein Bruder schrie mich an, mein Vater sagte Dinge, die nicht stimmten und meine Großmutter saß nur still da und hörte zu", erzählt Harry über das Treffen und sagt: "Das Traurigste daran war der Keil, der zwischen mich und meinen Bruder getrieben wurde."

"Harry & Meghan" - keine Skandal-Doku

Dieser Keil sollte noch tiefer stecken, als Harry erfährt, dass ohne sein Wissen in Williams und Harrys Namen eine angeblich gemeinsame Erklärung veröffentlicht wurde, in der ein Zerwürfnis zwischen den Brüdern dementiert wird. "Ich konnte es nicht fassen", erklärt Harry und sagt: "Innerhalb von vier Stunden waren sie bereit, zu lügen, um meinen Bruder zu schützen. Aber sie waren drei Jahre lang nie bereit gewesen, die Wahrheit zu sagen, um uns zu schützen." Harrys Schluss: "Es gab keine andere Option. Wir mussten da raus." Und so brechen sie die Brücken ab und lassen sich schlussendlich nach einem weiteren medialen Spießrutenlauf und einer Fehlgeburt in Santa Barbara nieder – bislang der jüngste Stand.

So weit also die Geschichte von Harry und Meghan aus deren Sicht. Nur deren Sicht, könnte man da zu Recht sagen, denn die andere Perspektive fehlt auch in den letzten drei Folgen der Doku. Ein runderes Bild bekäme man also erst, würden sich auch die anderen Mitglieder der königlichen Familie dazu äußern, doch das ist eher unwahrscheinlich. Und so ist "Harry & Meghan" eben die gewollte Sicht von Harry und Meghan. Aber ist diese Doku nun der heraufbeschworene Skandal?

Nein, ist sie nicht. Natürlich kommen manche Royals nicht gut weg, aber nicht, weil Harry und Meghan hier ein übles Nachtreten veranstalten, sondern weil sie eben die Sache aus ihrer Sicht erzählen und das ist erst einmal in Ordnung. Dass dabei das Bild der Windsors, aber vor allem der britischen Boulevard-Medien, Schaden nimmt, liegt in der Natur der Sache. Denn wäre alles reibungslos gelaufen, gäbe es ja keinen Grund für eine solche Doku.

Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
Hilfsangebote für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
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