Eine Datenerhebung zu sexualisierter und geschlechterspezifischer Gewalt im Sudan zeichnet ein tragisches Bild der Situation der Kinder im Land.

Triggerwarnung: Dieser Beitrag enthält Berichterstattung über sexualisierte Gewalt, Suizid und Schilderungen von Gewalt.

Zu Beginn der Woche veröffentlichte UNICEF einen erschütternden Bericht: Seit Anfang 2024 wurden 221 Fälle von sexualisierter Gewalt an Kindern im Sudan gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte jedoch deutlich höher liegen. Die UNICEF-Kommunikationsleiterin im Sudan, Eva Hinds, berichtet von der aktuellen Situation.

Seit April 2023 herrscht im Sudan Krieg. Die Wirtschaft steht am Rande des Kollaps, es herrscht eine der größten humanitären Krisen weltweit. Hilfsorganisationen wie UNICEF haben Schwierigkeiten, humanitäre Güter in die umkämpften Orte zu bringen. Hinter all dieser Not verstecken sich zudem noch zahlreiche Geschichten von Kindern, die vergewaltigt wurden oder sexualisierte Gewalt erlebt haben. "Wir haben diesen Bericht veröffentlicht, um Licht auf diese dramatische Krise zu werfen", so Eva Hinds.

Vergewaltigung als Kriegswaffe gibt es bereits seit der Antike

Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt werden seit der Antike als Waffen im Krieg eingesetzt. Die bewusste Demütigung von Frauen ist vor allem ein Ausdruck von Macht. "An vielen Orten der Welt wird sexualisierte Gewalt als Taktik genutzt, um zu demütigen, zu dominieren und Angst zu erzeugen", sagt Hinds. Vergewaltigungen sind ein perfides Mittel, um eine ganze Gesellschaft zu destabilisieren. Der Missbrauch an Kindern ist dabei besonders grausam.

Vergewaltigung im Krieg gilt seit 2008 offiziell als Kriegsverbrechen. Die strafrechtliche Verfolgung ist allerdings schwierig, beinahe unmöglich. Die britische Journalistin Christina Lamb sagte 2023 in einem Interview mit der ZEIT, wir erlebten derzeit eine "Epidemie von Kriegsvergewaltigungen". Auch im Ukraine-Krieg häuften sich Berichte über Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt durch russische Soldaten.

Was passiert mit den Überlebenden sexualisierter Gewalt?

Die Folgen von sexualisierter Gewalt sind weitreichend: Schwerwiegende psychische Traumata, erzwungene Isolation der Überlebenden und der Verlust familiärer Unterstützung durch das Stigma der Vergewaltigung sind eine Seite.

Ungewollte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Krankheiten und körperliche Verletzungen, die andere. Für Eva Hinds von UNICEF ist klar: "Diese Gewalt verletzt Kinder massiv. Und in manchen Fällen kostet sie ihnen das Leben."

Wie berichtet man über das Unaussprechliche?

Laut des Berichts, in dem auch Überlebende zu Wort kommen, sind 66 Prozent der Überlebenden Mädchen und 33 Prozent Jungen. 16 der insgesamt 221 Überlebenden sind unter fünf Jahre alt. Vier von ihnen waren zum Zeitpunkt der Tat gerade einmal ein Jahr alt.

Hinds betont, dass es bei dem Bericht vor allem um die Stimmen der Überlebenden ging: "Das waren wirklich einige der erschütterndsten Geschichten, die meine Kollegen und ich je gehört haben. Sie zeigen einen so unglaublichen Mut darin, dass sie das Erlebte mit uns teilen. Wir von UNICEF wissen, dass wir an ihrer Seite stehen müssen. Wir müssen die Kinder im Sudan vor dieser Gewalt schützen."

"Ich hoffe, dass kein Mädchen im Sudan das durchmachen muss, was ich durchgemacht habe."

Überlebende im Sudan

Berichterstattung von Überlebenden: Eine Chronik des Grauens

Für viele Überlebende ist es schwer, über das Erlebte zu sprechen. Sexualisierte Gewalt geht oft mit Stigmatisierung einher: Mädchen, die nach einer Vergewaltigung schwanger sind, stehen vor der Frage, ob sie das Kind des Täters behalten wollen. Anderen werden die Kinder ohne ihre Zustimmung weggenommen. Manche wurden von ihren Familien verstoßen und sind nun ganz allein - und noch verletzlicher. Umso bewundernswerter sind diejenigen, die es wagen, über das Grauen zu sprechen.

So zum Beispiel Mariam, eine Mutter von zwei Teenager-Töchtern, die entführt und mehrere Monate in Gefangenschaft gehalten wurden. "Ich versuchte mit aller Kraft, meine Töchter zu finden, und weinte, bis ich vor Kummer schwer krank wurde." Schließlich erfuhr sie von Nachbarn, dass ihre Töchter am Leben waren, jedoch von bewaffneten Männern festgehalten und immer wieder vergewaltigt wurden.

Ihre jüngere Tochter versuchte sich das Leben zu nehmen. Ihr Ältere wurde von den Männern verprügelt, bis sie Blut spuckte. Sie schafften es zu fliehen und leben nun mit ihrer Mutter in einer anderen Stadt. Beide Mädchen sind schwanger. "Ich hoffe, dass kein Mädchen im Sudan das durchmachen muss, was ich durchgemacht habe", sagt eine der Töchter.

Eine andere Mutter erzählt, wie ein bewaffneter Nachbar versuchte, ihre fünfjährige Tochter zu vergewaltigen. Solche Berichte zeigen, dass der Konflikt nicht nur von bewaffneten Gruppen ausgetragen wird, sondern es auch zu Gewalt in Vertriebenencamps innerhalb der Gemeinden kommt.

Welche Hilfe leistet UNICEF in dieser Situation?

"Es ist eine sehr schwierige Situation", betont Hinds. "Der Konflikt geht an vielen Orten im Sudan unvermindert weiter." Es ist daher sehr schwierig, den Überlebenden in einer so komplexen Situation die Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen. Für die Helfenden ist es fast unmöglich, dorthin zu gelangen, wo die Überlebenden sind.

UNICEF versucht im Sudan, die Risiken geschlechtsspezifischer Gewalt zu verringern, indem zum Beispiel psychosoziale Unterstützung angeboten und sichere Räume für Frauen und Mädchen geschaffen werden und Personal für den Erstkontakt mit Überlebenden ausgebildet wird. "Es gibt Angebote", sagt Hinds. "Aber sind sie ausreichend? Auf keinen Fall."

Hilfsangebote

  • Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
  • Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
  • Wenn Sie selbst von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind, wenden Sie sich bitte an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (116 016 oder online), das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" (0800/1239900 oder online), das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" (0800/225 5530), in Österreich an die Beratungsstelle für misshandelte und sexuell missbrauchte Frauen, Mädchen und Kinder (Tamar, 01/3340 437) und in der Schweiz an die Opferhilfe bei sexueller Gewalt (Lantana, 031/3131 400)
  • Wenn Sie einen Verdacht oder gar Kenntnis von sexueller Gewalt gegen Dritte haben, wenden Sie sich bitte direkt an jede Polizeidienststelle.
  • Falls Sie bei sich oder anderen pädophile Neigungen festgestellt haben, wenden Sie sich bitte an das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden".
  • Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.

Verwendete Quellen