Neue Missbrauchsvorwürfe in Tirol: Am Wochenende wurden weitere Vorfälle bekannt: Ein Heimleiter soll sich über längere Zeit an Buben vergangen haben. Das Land Tirol schaltet nun die Justiz ein.

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Der Skandal um schwere Übergriffe im Skigymnasium Stams und der ehemaligen Skihauptschule Neustift im Stubaital nimmt immer größere Formen an. Am Sonntag hatte der "Standard" berichtet, in den 1970er Jahren seien in Neustift über längere Zeit Buben missbraucht worden.

Es habe Übergriffe seitens des Heimleiters gegeben, schreibt die Zeitung. Nicht nur die Mutter eines ehemaligen Schülers, sondern auch ehemalige Mitschüler sowie eine Person aus dem damaligen Betreuerteam bestätigten die Vorfälle.

Die Mutter war aufmerksam geworden, als zwei Schulkollegen ihres Sohnes zu Hause von sexuellen Missbrauchsfällen gesprochen hatten. Sie habe ihren Sohn dann darauf angesprochen. "Er hat schließlich erzählt, dass dieser Mann jede Woche zu ihnen ins Bett kam", sagte die Frau dem "Standard".

Vergewaltiger musste nur Heimleitung abgeben

Ein ehemaliger Schüler erklärte, die ersten Jahrgänge der im Schuljahr 1969/1970 gegründeten Skihauptschule Neustift seien betroffen gewesen - und wüssten auch Bescheid.

Der Vater eines ebenfalls betroffenen Schülers habe schließlich dafür gesorgt, dass der Internatsleiter sein Amt abgeben musste, heißt es weiter in dem Bericht. Der Mann arbeitete jedoch bis 1979 weiter an der Schule.

Schon 1976 war der Fall dem Tiroler Schiverband (TSV) zu Ohren gekommen: Das belegt ein Protokoll der einer TSV-Sitzung, das dem "Standard" vorliegt. Unklar ist, warum der Mann bis 1979 an der Skihauptschule Neustift verblieb - und ob er danach andernorts weiter als Lehrer arbeitete.

Schüler hatten Angst um ihre Karriere

Warum die Schüler so lange schwiegen, erklärt die im "Standard" zitierte Mutter so: Ihr Sohn habe sie angefleht, nichts zu unternehmen. Er wollte seinen Traum von der Karriere als Skirennfahrer um keinen Preis gefährden.

Zwar habe sie schon damals mit sich gerungen, letztlich aber den Wunsch ihres Sohnes respektiert. Erst später sei ihr klar geworden, wie sehr ihn das Erlebte belastete - und ihn wohl in die Drogensucht trieb. 1981 starb er mit 21 Jahren an einer Überdosis Heroin.

Es sei eine Kombination aus Leistungsdruck und Hörigkeit gewesen, weshalb die Missbrauchsfälle nicht an die Öffentlichkeit geraten seien, schreibt die Zeitung. Der Täter sei bewusst gedeckt worden, statt ihn zur Rechenschaft zu ziehen.

Land Tirol schaltet die Justiz ein

Die zuständige Tiroler Landesrätin Beate Palfrader will die bekannt gewordenen Übergriffe unterdessen von der Justiz untersuchen lassen. Am Montag werde sie vier Fälle an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, sagte sie der "Tiroler Tageszeitung".

Sie habe eine wenige Einvernahmen von ehemaligen Mitarbeitern, erklärte Palfrader. "Die betroffenen Opfer wollen mit ihren Fällen in diesem Umfang nicht an die Öffentlichkeit treten. Das ist zu respektieren."

Es sei schwer, Beweise zu sammeln und die Fälle zu rekonstruieren, weil sich Betroffene an unterschiedliche Stellen wendeten, sagte Palfrader. Sie will die Vorfälle lückenlos aufklären: "Jede strafrechtlich relevante Tat muss auch strafrechtlich belangt werden."

Das Bildungsministerium hatte Landesrätin Palfrader, dem Landesschulratsdirektor und dem zuständigen Landesschulinspektor am Samstag eine schriftliche Weisung zukommen lassen.

"Die begonnenen Erhebungen durch die Schulaufsicht und Juristen des Landesschulrats sind fortzusetzen", teilte eine Sprecherin von Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) der APA mit. Es brauche zudem eine engere Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz. (ank)

Opferhotlines
Betroffene können sich bei der Anlaufstelle für Opferschutz des Landes Tirol melden (Montag bis Freitag von 9:00 bis 11:30 Uhr unter der Telefonnummer 0512/508 3795).
Die Klasnic-Kommission ist montags bis freitags von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr unter der Telefonnummer 0664/9807817 erreichbar.
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