Der Job des Schiedsrichters ist herausfordernd, die Referees stehen in der Bundesliga Woche für Woche unter Druck und oft am Pranger. Die fünfteilige ARD-Doku "Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter" gewährt einen Blick hinter die Kulissen, mit seltenen und sehenswerten Einblicken. Und einer nachdrücklichen Aufarbeitung. Eine Schwäche hat sie allerdings.
Deniz Aytekin nimmt kein Blatt vor den Mund.
Als Aytekin später die Proteste von
Es sind Szenen aus dem Eröffnungsspiel der Bundesliga-Saison 2022/23 zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern, um das es in der ersten Folge der fünfteiligen Doku "Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter" unter anderem geht. Zu finden sind die kurzweiligen, rund 30 Minuten langen Episoden in der ARD-Mediathek. Im linearen Fernsehen laufen sie am 26. August ab 22 Uhr sowie am 12. September ab 23.30 Uhr.
Gespräche auf dem Platz eine große Stärke
Von diesen Szenen gibt es einige. Sie zeigen, wie die Referees auf dem Platz untereinander kommunizieren, ein Spiel verbal leiten, den Druck aus der Partie nehmen und sich Gehör verschaffen. Dabei wird es auch skurril, wenn zum Beispiel Sven Jablonski vor dem Hamburger Stadtderby zwischen dem HSV und St. Pauli (4:3) verrät, dass er vor einem Spiel immer noch zum Friseur und ins Sonnenstudio geht. Inmitten des heißen Derbys fragt er HSV-Star Sonny Kittel unvermittelt: "Warst du auch im Sonnenstudio?" Kittel muss lachen und bejaht tatsächlich.
Hier entfaltet die Doku eine enorme Stärke, indem sie seltene Einblicke gewährt, die unterhalten und auch überraschen können. Die Szenen stehen für sich, vermitteln die Hektik des Spiels, die Schnelligkeit, die Eile, mit der Referees ihre 200 Entscheidungen pro Spiel treffen müssen, den Druck, und werben so für Verständnis. Denn die Doku von Tom Häussler, der die Referees durch die vergangene Saison begleitete und die ohne Erzähler auskommt, soll nicht nur unterhalten.
Wenn man so will, dienen die Szenen zwischendurch zur Auflockerung, denn mit dem Blick hinter die Kulissen soll auch deutlich werden, wie oft die deutschen Schiedsrichter zum Abschuss freigegeben sind. Denn neben der Saisonvorbereitung, Lehrgängen oder Vorträgen geht es immer auch um die Fehler-Analyse. Um die inzwischen eingekehrte Offenheit im Umgang mit Fehlentscheidungen, dabei aber auch um die Verrohung im Umgang miteinander.
Nachdrückliche Aufarbeitung
Eindrücklich wird das anhand des Skandals um Sascha Stegemann nach dem 1:1 zwischen dem VFL Bochum und Borussia Dortmund am 28. April 2023 und dem nicht gegebenen Elfmeter nach einem Foul an Karim Adeyemi. Stegemann erzählt, wie es an der Tür klingelte. "Zwei Polizeibeamte, wir waren gerade beim Abendbrot. Die Kinder daheim. Als die Polizei bei uns im Wohnzimmer stand, war die erste Reaktion: 'Papa, nehmen die dich mit, weil du Ärger auf der Arbeit hattest?'" Worte, die nachhallen. Vor allem bei Stegemann. Er gibt zu: "Das sind die Momente, wo du Gänsehaut bekommst und dich fragst, ob es die ganze Sache wert ist." Bei seinem damaligen Video-Assistenten Robert Hartmann herrschte "Wut und Frustration, ein Stück weit auch Ohnmacht". Ihm wurde wegen eines Fotos, das ihn mit dem Schiedsrichter-Abteilungsleiter des FC Bayern zeigt, fehlende Unparteilichkeit vorgeworfen.
Deshalb spielt auch der oft gescholtene Kölner Keller (Video Assistant Center), die Heimat des Video-Assistenten, eine Hauptrolle in der Doku, die es versteht, sich dem Thema so zu nähern, dass der Zuschauer nachvollziehen kann, wie die Abläufe während eines Spiels aussehen und warum Fehler passieren können.
"Mülleimer der Nation"
Denn nicht erst die vergangene Saison mit ihren doch zahlreichen Skandalen hat gezeigt, wie problematisch und toxisch die Gemengelage im deutschen Fußball zwischen Trainern, Spielern, Vereinen, der Öffentlichkeit sowie den Schiedsrichtern immer noch ist. Auch wenn Sportler, Funktionäre und Referees immer wieder um gegenseitiges Verständnis und vor allem um Respekt bemüht sind, bleiben die Unparteiischen oft der "Mülleimer der Nation" (Aytekin). Oder ein "weichgespültes Pack" (Julian Nagelsmann).
"Aller Dreck, der rund um das Spiel passiert, landet irgendwo, und warum beim Schiedsrichter? Diese Frage muss ja mal geklärt werden. Da müssen sich die Trainer, zum Teil auch die Spieler, die Frage stellen: Warum beschäftigen sie sich nicht mit ihrem Dreck, mit dem Müll, der ihnen passiert, und versuchen, das aufzuarbeiten? Warum wird es immer wieder in den Schiedsrichter-Bereich reingeschossen?", sagte Lutz Michael Fröhlich, Schiedsrichter-Boss beim Deutschen Fußball-Bund. Ihm ist "bei dem ein oder anderen ein bisschen zu viel Gott-Gehabe drin".
Und Jochen Drees, der Leiter Video-Assistenten und Technologien, verrät, dass die Art der Kritik etwas mache mit den Menschen, die im Kölner Keller arbeiten: "Sie hinterfragen sich, haben das Gefühl, dass sie keine Fehler mehr machen dürfen. Der Druck für diejenigen, die hier agieren, ist enorm."
Stärke kollidiert mit Schwäche
Hier kollidiert ein weiterer Pluspunkt der Doku mit der Schwäche: Sie klärt aus Sicht der Schiedsrichter informativ und unaufdringlich auf, lässt aber die Gegenseite nicht zu Wort kommen, was der Auseinandersetzung noch mehr Tiefe verliehen hätte. Aber, und das ist gut: Die Selbstkritik der Schiedsrichter-Gilde wirkt nicht aufgesetzt oder bemüht, sondern lässt die für manche vielleicht überraschende Erkenntnis zu, dass Schiedsrichter eben auch nur Menschen sind. Und öfter als gedacht tatsächlich auch sehr unterhaltsam.
Verwendete Quellen:
- ardmediathek.de: Dokumentation "Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter"
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