Was haben Sextoys mit Olympischen Spielen und philippinischen Curlern zu tun? Tatsächlich eine Menge, denn sie boten Alan Frei die Möglichkeit, einen Olympia-Traum anzugehen. Und die "Curl Runnings" schicken sich an, ihm diesen Traum tatsächlich zu erfüllen.
Alan Frei wollte eigentlich "nur" abnehmen. Gut 30 Kilogramm sollten runter. Nein, sie mussten runter - angesichts einer Körpergröße von 1,72 m und einem Gewicht von 102 Kilogramm. Doch als ein Arzt dem 43-Jährigen dringend zu einem gesünderen Lebensstil riet, da wusste der Schweizer noch nicht, zu was das führen würde. Der Ehrgeiz des Geschäftsmannes, in seiner Heimat als Dildo-Millionär bekannt, sorgt für eine Geschichte, die kurz vor einem ungewöhnlichen Happy End esteht: Frei schickt sich an, an den Olympischen Spielen 2026 teilzunehmen. Im Curling. Für die Philippinen.
Die Frage, die sich sofort aufdrängt: Es gibt so viele ebenso normale wie erfolgsversprechende Möglichkeiten, abzunehmen und gesünder zu leben - warum musste es gleich das Ziel Olympia 2026 sein? "Ich habe nach einer Geschichte gesucht, die mich antreibt, die mich motiviert. Und dieses Olympia-Projekt ist genau das, was mir über mehrere Jahre Druck, aber auch Spaß macht", sagt Frei im Gespräch mit unserer Redaktion. Angetrieben durch ein Ziel, das völlig vermessen klingt für jemanden, der Übergewicht hat und wenig sportlich ist.
Als Geschäftsmann zunächst erfolglos
Man muss dazu wissen: Frei ist seit 25 Jahren Geschäftsmann und hat in den Anfangsjahren nahezu alles in den Sand gesetzt, was er angepackt hat. "Amorana", ein Unternehmen für Sexspielzeug, war allerdings ein Glücksgriff. Als er die Firma 2022 verkaufte, hatte er neben einer Menge Geld plötzlich auch viel Zeit. "Und dann dachte ich: 'Das wäre wirklich ein Sch…-Moment, wenn ich jetzt sterben würde'", sagt er. Und entschied sich, das Thema Gesundheit seriös und nachhaltig anzugehen.
Und wie macht das ein Millionär? Er beauftragte seinen Anwalt, alle Reglements und Möglichkeiten durchzugehen, um einen Weg zu einer Olympia-Teilnahme zu finden, ob nun bei den Sommer- oder den Winterspielen. "Und nach zwei Monaten kam er zurück mit einer teuren Rechnung und hat gesagt, dass ich keine Chance habe, für die Schweiz zu Olympia zu gehen", so Frei. Die "Hintertür", die sich öffnete, war seine Mutter, die Philippina ist. "Weshalb plötzlich eine kleine Chance bestand, für die Philippinen im Langlauf an den Start zu gehen", sagt Frei, der einen Trainer engagierte. Die bittere Erkenntnis: "Ich war talentbefreit. Ich konnte wirklich nichts."
Im Langlauf talentbefreit
Doch Frei blieb am Ball, erzählte immer wieder von seinem großen Olympia-Ziel. Und um Träume zu verwirklichen, braucht man nicht nur Motivation, Willen und Einsatz, sondern manchmal auch Glück. Und so kam es, dass Christian Haller, zweimaliger Junioren-Weltmeister im Curling, von Freis verrücktem Olympia-Anlauf hörte und er, wie auch die beiden Brüder Marc und Enrico Pfister, philippinische Wurzeln hat. Sie hatten für die Schweiz sogar schon an Weltmeisterschaften teilgenommen.
Ein Gespräch später war Frei Feuer und Flamme. "Ich habe ihnen gesagt: 'Ich habe in meinem Leben noch nie gecurlt, aber weniger Talent als im Langlauf kann ich nicht haben.' So bin ich beim Curling gelandet." Dass niemand das Quartett und dabei vor allem Frei wirklich ernst nehmen wollte, verwundert nicht. Selbst der ehemalige Schweizer Nationalspieler Marcel Kaufeler, der Frei trainieren sollte, gehörte zu den Zweiflern.
Doch seit März 2023 ackert Frei täglich, am Vormittag im Gym, am Nachmittag in der Halle. Dazu kommt ein intensives Videostudium. Ein Amateur, der wie ein Profi trainiert, um sich einem olympischen Niveau zu nähern - macht das Spaß? "Ehrlicherweise am Anfang überhaupt nicht", gibt er zu. Er habe oft für sich trainiert, nur mit seinem Coach, dazu in der Kälte der Halle. "Und ich habe mich ein paar Mal ernsthaft gefragt: 'Was mache ich hier eigentlich? Was tue ich in dieser Halle?‘"
Curling komplett unterschätzt
Hinzu kommt, dass Frei, wie vermutlich viele Menschen, Curling komplett unterschätzt hat. Denn das "Schach auf Eis", wie Curling auch genannt wird, ist viel schwieriger, als es auf den ersten Blick wirkt. "Mein erstes Gefühl war: Das muss ja erlernbar sein", erinnert sich Frei: "Und dann habe ich angefangen und gemerkt, wie schwierig das tatsächlich ist."
Zweifel hatte er selbst aber nie, betont er. Die Technik für die sogenannte Abgabe der Steine hat Frei mit der Zeit gelernt. Knifflig ist das Wischen, "denn das ist richtig, richtig anstrengend, denn du musst viel Druck auf den Besen bringen, damit du das Aquaplaning hinbekommst", so Frei.
Zum Curling braucht es Taktikverständnis, Geschick, Präzision, Kraft – und mentale Stärke, denn die macht auf hohem Niveau den Unterschied. Und die Realität ist: Was andere in 20, 25 Jahren stetig verfeinern und verbessern, kann Frei nicht im Crashkurs in zwei Jahren lernen. Deshalb gehörten zum Lernprozess Stürze auf dem unerbittlichen Eis. Sehr viele Stürze. Weshalb er anfangs auch einen Helm trug, um sich zu schützen.
Frei ist im Team das Problem
Er gibt daher unumwunden zu: "Ich bin in unserem Team das Problem." Weshalb er als "Lead" die Position spielt, auf der er theoretisch am wenigsten kaputt machen kann, um es mal böse auszudrücken. Er spielt die ersten Steine, und wenn es komplex wird, sind seine Teamkollegen an der Reihe. Auf die Technik und Spielweise der ersten Position hat er hin trainiert, "deshalb ist das Ganze überhaupt möglich. Sonst wäre das unmöglich".
Es brauchte ein paar Monate, bis bei ihm im Training aus Frust Lust wurde. Bis sich erste Erfolge einstellten. Das erste Turnier spielte das ungewöhnliche Quartett nach sechs Monaten in Prag, ohne Trikots, nur mit T-Shirts, dafür gegen Teams, die teilweise bei der WM an den Start gehen, wie zum Beispiel Italien. "Die haben wir geschlagen und gemerkt: 'Hey, das kann wirklich funktionieren‘", so Frei über den Moment, über den sensationellen zweiten Platz, der in gewisser Weise richtungsweisend war.
Der aber auch Anekdoten lieferte. Denn den ersten Stein, den ein philippinisches Team jemals bei einem offiziellen Turnier spielte, setzte Frei gleich mal ins Nirgendwo. Den zweiten auch. Und als er wischen musste, rutschte er prompt weg. "Ich lag da wie ein Käfer auf dem Rücken. Und die dachten alle, was das jetzt für ein Team sein soll", lacht Frei.
Aus der "Schnapsidee" wird Ernst
Doch danach wurde aus der "Schnapsidee" endgültig Ernst. Die Vier überzeugten das philippinische Olympische Komitee und den Curling-Weltverband und gründeten den philippinischen Curling-Verband. Und kurz danach wurde die Turnier-Bühne für die "Curling Pilipinas" größer. Es folgte die Curling-Pan-Kontinentalmeisterschaft, wo nach einem zweiten Platz 2023 ein Jahr später mit dem Turniersieg der Aufstieg von der B- in die A-Division gelang. Dadurch hatten sie sich einen Platz beim Pre-Olympic Qualifying Tournament 2025 erspielt.
Und als das Team in diesem Jahr bei den asiatischen Winterspielen ebenfalls sensationell triumphierte, "ist das Ganze explodiert", sagt Frei. Der Vorteil: Spätestens jetzt ist der Respekt der Gegner da. Der Nachteil: Unterschätzt werden die Philippinen nicht mehr.
Noch jede Menge Luft nach oben
Denn Freis Niveau wird immer besser, das Team hat das Maximum noch gar nicht erreicht. "Statistisch gesehen kommt ein sehr guter Curler auf 85 Prozent Trefferquote, ein Weltklasse-Curler hat 90 Prozent und die wirklichen Top-Curler 95 Prozent", erklärt Frei. Er kam bei einem Spiel schon mal auf 33 Prozent, inzwischen steht er im Schnitt bei 75 Prozent. "Damit wir es zu Olympia schaffen, muss ich aber bei 85 Prozent sein. Das wäre gut, damit ich es meinem Team möglichst einfach machen kann", weiß Frei.
Er hält es für realistisch, dass er auf diese 85 Prozent kommt. "Ich weiß, was ich trainieren muss, ich habe einen sehr klaren Plan. In meinem fortgeschrittenen Alter als Profisportler habe ich die Erfahrung, dass ich weiß, was wichtig und was nicht wichtig ist." Den Druck, dass er das Team nicht enttäuschen will, weil er das schwächste Glied ist, wandelt er in Energie und Motivation um. Um die Lücke zu den anderen, die nebenbei arbeiten gehen und ihre Freizeit für das gemeinsame Ziel opfern, zu schließen.
Dafür hat er nun ein paar Monate Zeit, die Saison ist gerade zu Ende gegangen. Das erste Turnier steigt Mitte August, im Oktober das Pre-Olympic Qualifying Tournament. Die drei besten Teams dort nehmen im Dezember am endgültigen Olympia-Qualifikationsturnier teil. Dort werden dann zwei Tickets für die Spiele in Mailand und Cortina vergeben. Zwischendurch steigt auch die jährliche Pan-Kontinentalmeisterschaft. In der A-Division geht es für die Philippinen dann um die WM-Qualifikation.
Kommt eine Doku zur Story?
Dass sich das Ganze wie die Story der "Cool Runnings" anhört, weiß auch Frei. Die Geschichte der jamaikanischen Bobmannschaft, die 1988 erstmals an Olympia teilnahm, kam 1993 in die Kinos. Der Weg der philippinischen Curler soll im Idealfall dem aktuellen Zeitgeist entsprechend als Doku erscheinen.
Frei sucht noch Medienhäuser, die sich für die Geschichte interessieren, und für den Fall der Fälle wird bereits jede Menge Content produziert. "Je mehr Erfolg wir haben, desto einfacher wird es", sagt Frei, der den Titel auch bereits im Kopf hat, denn auf den Philippinen heißt das Quartett bereits "Curl Runnings". Die Chancen auf Olympia beziffert er aktuell auf 20 Prozent. Sollte die Quali für das entscheidende Qualifikationsturnier gelingen, wären es sogar 50 Prozent. "Es wird hart, aber wir sind davon überzeugt, dass wir das schaffen können", sagt er.
Keine Fortsetzung der unglaublichen Geschichte
Was allerdings schon jetzt mehr oder weniger feststeht: Egal, ob es ein Happy End gibt oder nicht – die Geschichte der "Curl Runnings" ist bald auserzählt. "Denn nach Olympia und der WM werden wir wahrscheinlich in dieser Konstellation nicht weitermachen", verrät Frei. "Für mich ist Olympia das große Ziel, danach dann vielleicht noch die Weltmeisterschaft. Dort will ich hin. Und dann schauen wir, was danach passiert. Aber einen Plan B habe ich nie."
Plan A ist allerdings noch nicht erfüllt. 25 Kilogramm hat Frei geschafft. "Mir fehlen noch ungefähr sieben bis acht Kilogramm, bis ich laut meinem Arzt auf einem guten Niveau bin." Die wird er auch noch schaffen. Denn ihm hat der Weg zu den Spielen 2026 jetzt schon gezeigt, "dass wenn man einen Traum hat und ihn runterbricht in einen Plan, es eben nicht mehr nur ein Traum, sondern ein Ziel ist". Auch wenn es ein sehr großes ist. Denn eigentlich wollte er ja "nur" abnehmen.
Über den Gesprächspartner
- Alan Frei ist Unternehmer und angehender Olympia-Curler. Er lebt in Zürich und hat Wirtschaftswissenschaften sowie Sinologie an der Universität Zürich und in Nanjing, China, studiert. 2022 hat er seine Firma "Amorana" verkauft und arbeitet unter anderem an seinem Olympia-Traum.