Annett Kaufmann gilt als große deutsche Tischtennis-Hoffnung. Wir haben mit ihr über Vergleiche mit Timo Boll, den Hype um ihre Person, fehlendes Sponsoren-Interesse und ihre Ziele gesprochen.

Ein Interview

Annett Kaufmann erlebte bei den Olympischen Spielen von Paris das erste Mal eine richtig große Bühne und spielte sich dabei prompt in die Herzen der deutschen Tischtennis-Fans. Und obwohl Kaufmann gerade erst 18 Jahre alt ist, ließen die Vergleich mit Deutschlands bekanntestem Tischtennisspieler nicht lange auf sich warten.

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Annett Kaufmann, sind Sie die neue Timo Boll? Nervt die Frage inzwischen?

Annett Kaufmann: Eigentlich nicht. Ich würde eher sagen, die Frage ist nicht zutreffend oder überstürzt. Timo hat eine unglaublich lange und erfolgreiche Karriere hingelegt, und solche Vergleiche nach ein paar guten Ergebnissen oder Turnieren sind für mich schlicht zu voreilig. Natürlich freue ich mich über meine Erfolge, die ich durch harte Arbeit erreicht habe, aber ich bin Annett Kaufmann und nicht Timo Boll. Vergleiche bringen in meinen Augen nicht viel. Ich mache meinen Weg in meinem eigenen Tempo. Wenn ich am Ende meiner Karriere sagen kann, dass ich ähnliche oder vielleicht sogar bessere Erfolge erreicht habe, könnte man über solche Vergleiche sprechen.

Über die Gesprächspartnerin:

  • Annett Kaufmann gilt als großes Tischtennis-Talent. Sie wurde 2024 als erste Europäerin U19-Weltmeisterin. Bei Olympia stieß sie mit der deutschen Mannschaft bis ins Halbfinale vor, am Ende stand Platz vier. Dabei verlor Kaufmann nur ein einziges Spiel.

Steigt der Druck durch solche Vergleiche?

Jeder hat seine Meinung und seine Erwartungen, aber die haben mit mir als Person nichts zu tun. Für mich zählen die Menschen in meinem direkten Umfeld – meine Familie, mein Team. Nur deren Meinungen sind mir wichtig. Ich gehe meinen Weg und lasse mich nicht von solchen Aussagen beeinflusse, und für mich steigt dann auch der Druck nicht.

Sie sind erst 18 Jahre alt, hören diese Vergleiche oder den Begriff Wunderkind, die Aufmerksamkeit ist gewachsen. Wie gehen Sie generell mit dem Hype um?

Am einfachsten: Ich reagiere nicht darauf. Ich verstehe, dass Menschen solche Begriffe wie 'Wunderkind' nutzen oder Vergleiche ziehen, aber sie bringen mir als Person nichts. Ob der Hype da ist oder nicht, ändert nichts an meinen Ambitionen. Ich arbeite weiter, konzentriere mich auf das Training und lasse die Ergebnisse für sich sprechen. Jetzt ist die Aufmerksamkeit vielleicht positiv, aber sie kann auch schnell ins Negative umschlagen. Der Hype kommt und geht – ich bleibe auf meinem Weg.

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Kaum Anfragen nach Olympia

Hat sich denn bei Ihnen durch die Aufmerksamkeit und das Interesse mit den Olympischen Spielen und dem historischen WM-Titel etwas verändert?

Was Sponsoring betrifft, ist weniger passiert, als viele vielleicht erwarten würden. Nach Olympia hatte ich kaum Anfragen. Eine oder zwei – das kann man an einer Hand abzählen. Im Gegensatz dazu hat die mediale Aufmerksamkeit aber stark zugenommen. Ich hatte unglaublich viele Anfragen für TV-Auftritte, Interviews, Podcasts oder Jubiläumsfeiern. Es war so viel, dass ich den Überblick verloren habe. Und das hat sich nach der WM sogar noch verstärkt. Erst jetzt wird es langsam weniger.

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Was ja wahrscheinlich auch Vorteile hat?

Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen froh darüber, weil es echt schwierig ist, alles unter einen Hut zu bekommen. Natürlich mache ich solche Sachen gerne - durch mediale Präsenz mache ich automatisch Werbung für Frauen-Tischtennis. Aber meine Karriere steht im Fokus und hat Priorität. Es ist nicht immer alles machbar. Deshalb musste ich viele Anfragen absagen. Ich hatte vor Olympia vielleicht 10.000 Follower auf Instagram, danach waren es rund 50.000 – das war schon ein großer Sprung. Aber was Sponsoring betrifft, ist leider nicht viel passiert.

Hat Sie das enttäuscht?

Es ist einerseits schade, weil man daran merkt, dass Tischtennis nach wie vor nur als Randsportart wahrgenommen wird. Andererseits sehe ich das nicht so tragisch – das Leben geht weiter, und ich habe es auch vorher geschafft. Aber ich finde es wichtig, das klarzustellen, weil viele denken, ich hätte jetzt einen Haufen Verträge. Das ist einfach nicht der Fall.

Sie haben Ihr Abi gemacht, sind jetzt Profi. Wie gut können Sie denn von Tischtennis leben?

Fakt ist: Ohne gute Sponsoren können wir Frauen nicht wirklich vom Tischtennis leben. Ich wohne noch zu Hause, habe also keine Ausgaben für Miete, Heiz- oder Wasserkosten. Und ich habe das Glück, großartige Sponsoren wie ACE oder Spinsight oder einen Ausrüster wie Tibhar zu haben, die mir sehr helfen. Ohne diese Unterstützung hätte ich nicht die Möglichkeiten, die ich jetzt habe – dafür bin ich unglaublich dankbar.

Die Turniere müssen Sie selbst zahlen?

Ja, mit Ausnahme von EM, WM oder Olympia. Viele Turniere sind aufgrund des Rankings verpflichtend, und die meisten finden in Asien statt. Das ist nicht billig. Wenn man nicht in den Top 10 ist, ist es extrem schwer, nur vom Tischtennis zu leben. Man braucht wirklich Glück mit Sponsoren, und ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich diese Unterstützung habe.

Angebot von der Bundeswehr

Erwägen Sie, die Sportförderung durch Polizei oder Bundeswehr in Anspruch zu nehmen?

Aktuell möchte ich noch nicht zur Bundeswehr gehen. Das Angebot gibt es zwar, und ich weiß, dass viele aus der Nationalmannschaft diesen Weg gewählt haben. Aber für mich ist das momentan nichts. Vielleicht entscheide ich mich irgendwann dazu, zur Polizei zu gehen, weil ich mich für Kriminalistik interessiere und mir vorstellen könnte, Kriminalkommissarin zu werden. Das ist aber noch offen. Genauso könnte ich mir vorstellen, TV-Moderatorin zu werden oder nur durch Tischtennis meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Stand jetzt liegt mein Fokus voll auf meiner Tischtenniskarriere.

Sie lassen alles auf sich zukommen?

Ob ich das in fünf Jahren alles noch so machen möchte, kann ich nicht sagen. Vielleicht entscheide ich mich irgendwann zu studieren, vielleicht nehme ich einen anderen Weg. Alles ist offen, momentan lasse ich tatsächlich alles auf mich zukommen. Ich gehe meinen Weg, nehme die Herausforderungen an, die sich mir stellen, und schaue, wohin es mich führt. Das wird schon alles so kommen, wie es richtig ist.

Was muss sich Ihrer Meinung nach in der Sportförderung in Deutschland ändern?

Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung durch die Sporthilfe, die wirklich wertvoll ist. Aber ich denke, dass viele Randsportarten, nicht nur Tischtennis, mehr Förderung benötigen, damit sie wachsen können. Natürlich hängt das auch davon ab, wie beliebt eine Sportart ist oder wie viel Nachwuchs nachkommt. Es ist ein schwieriges Thema, aber ich würde mir wünschen, dass man auch allgemein mehr in den Sport investiert.

Kaufmann: "Tischtennis ist definitiv beliebter geworden"

Gerade in einer kleineren Sportart wie Tischtennis sind Vorbilder wichtig, um Nachwuchs zu inspirieren. Wie sehen Sie die Entwicklung der Sportart?

Tischtennis ist definitiv beliebter geworden. Ich bekomme viele Nachrichten über Social Media, in denen Leute schreiben, dass sie durch mich oder andere Spielerinnen und Spieler zum Tischtennis gefunden haben. Einige fangen neu an, andere entdecken ihre Liebe zu der Sportart wieder. Das zeigt, dass sich etwas bewegt. Trotzdem ist Tischtennis in Deutschland nach wie vor eine Randsportart, und es ist schwierig, das allein zu ändern. Aber wenn man richtig damit umgeht und den richtigen Input in den richtigen Momenten setzt, ist es möglich, dass Tischtennis noch beliebter wird.

Wie wollen Sie die Vorbildrolle ausfüllen?

Ich bleibe einfach ich selbst. Ich bin extrovertiert, offen, rede gerne und mache mein Ding. Ich glaube, dass ich durch meine Authentizität eine gute Rolle für den Nachwuchs spielen kann – vielleicht als Vorbild – und gleichzeitig für die Medien eine geeignete Repräsentationsfigur bin. Wichtig ist für mich, mich nicht zu verstellen, egal mit wem ich spreche, weil wir im Endeffekt alle nur Menschen sind. Ich bin ich, und ich werde mich für nichts und niemanden verändern. Wer damit klarkommt, gut. Wer nicht, das ist auch okay. Aber ich glaube, dass meine Offenheit und Transparenz helfen, anderen Einblicke zu geben.

Sie sind seit letztem Jahr Profi. Was sind die größten Herausforderungen beim Übergang von den Junioren in den Profibereich?

Die größte Herausforderung ist das Spielsystem. Im Profibereich reist man an, und es ist oft direkt ein K.o.-System. Wenn man Pech mit der Auslosung hat, verliert man das erste Spiel und fliegt sofort wieder nach Hause. Bei den Junioren ist das anders: Dort hat man Gruppenspiele, man kommt in den Wettkampf rein und kann ein paar Matches spielen, bevor es richtig ernst wird. Außerdem ist das allgemeine Niveau im Profibereich deutlich höher. Auf einem bestimmten Level sind die Spielerinnen und Spieler spielerisch sehr ähnlich, und dann entscheidet oft die mentale Stärke. Man muss vom ersten Ballwechsel an da sein. Das ist eine große Umstellung, ebenso wie das höhere Pensum an Spielen und das konstant hohe Niveau, dem man standhalten muss.

Nachteile durch die Größe?

Mit 1,85 Metern sind Sie für Tischtennis sehr groß. Welche Vor- und Nachteile hat das?

Ein Nachteil ist sicherlich, dass ich einen größeren Ellenbogenbereich habe, der leicht angespielt werden kann, und dass ich mehr Zeit brauche, um mich dem Ball anzupassen. Aber insgesamt überwiegen die Vorteile. Ich kann große und weite Winkel spielen, habe eine größere Reichweite und decke viel mehr Fläche ab. Am Ende bin ich sehr froh, meine Größe für mein Spiel nutzen zu können.

Was für sportliche Ziele haben Sie sich in diesem Jahr und langfristig gesetzt?

Gesund bleiben, das Leben genießen, Spaß haben und mich als Mensch weiterentwickeln – emotional, intellektuell und sportlich. Das sind meine wichtigsten Ziele. Sportlich möchte ich mein Basislevel auf ein höheres Niveau bringen und gute Ergebnisse erzielen. Aber ich weiß, dass nicht alles in meiner Kontrolle liegt. Es geht mir darum, mich nicht zu sehr zu stressen, Energie nicht in Dinge oder Menschen zu investieren, die es nicht wert sind, und auch mal innezuhalten und das Leben zu genießen.

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