- Mit der US-Basketballspielerin Brittney Griner und Eishockeytorwart Iwan Fedotow werden aktuell zwei Sportler in Russland aus politischen Gründen festgehalten.
- Gänzlich neu ist das nicht, weil Sportler auch schon in der Vergangenheit als Bauernopfer von Welt- und Regionalpolitik herhalten mussten.
- Allerdings bietet insbesondere der Fall von Basketballstar Griner besondere Brisanz.
"Ich befürchte, für immer hier bleiben zu müssen," schrieb Basketballspielerin Brittney Griner kürzlich in einem Brief an US-Präsident
Viele sehen den Prozess gegen Griner, die zu den besten Basketballspielerinnen der Welt zählt, als politisch motiviert an. Die US-Amerikanerin spielte zuvor neben ihrem WBNA-Club Phoenix Mercury außerhalb der Saison in Nordamerika auch für ein Top-Team in Jekaterinburg. Da Griner die erste Frau war, die regelmäßig Dunks zeigte, also den Ball in den Korb stopfen kann, ist die 2,06-Meter große Athletin weltweit bekannt geworden.
Ihre Verhaftung erfolgte eine Woche vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und erzeugte erwartungsgemäß weltweit Aufmerksamkeit. Aus US-Sicht ist Griner jedoch kein Einzelfall. So wurden etwa die amerikanischen Staatsbürger Paul Whelan wegen des Vorwurfs der Spionage zu einer 16-jährigen und der Ex-Diplomat Marc Fogel wegen Drogenbesitzes zu einer 14-jährigen Haftstrafe verurteilt.
Militärdienst statt NHL-Millionen
Das Besondere am Fall von Griner ist jedoch, dass ein Sportstar von einer ausländischen Macht zu einem politischen Bauernopfer gemacht wird. Das Vorgehen gegen einheimische Sportler ist derweil recht weit verbreitet. Iwan Fedotow wurde kürzlich noch als bester Torhüter der russischen Eishockeyliga KHL ausgezeichnet und wollte zur neuen Spielzeit von ZSKA Moskau zur NHL-Franchise Philadelphia Flyers wechseln.
Als dies bekannt wurde, nahmen ihn wenig später Feldjäger wegen angeblicher Wehrdienstverweigerung fest und brachten ihn auf ein Militärkommissariat. Mittlerweile soll er sich auf einem Marinestützpunkt im nordrussischen Seweromorsk in der Nähe von Murmansk aufhalten und im kommenden Jahr für den zur Militärbasis gehörenden Club Avantgarde das Tor hüten. Der Wechsel nach Nordamerika ist erst einmal vom Tisch, die Zukunft des Nationaltorwarts ungewiss.
Ungarns Torhüter als Sündenbock
Gerade autokratische Regierungen üben schon seit langem Druck auf ihre eigenen Sportler aus oder strafen diese teils willkürlich ab. Man erinnere sich an die Fußball-Weltmeisterschaft von 1954. Was für die Deutschen als "Wunder von Bern" endete, wurde für den ungarischen Torhüter Gyula Grosics der Beginn eines Albtraums.
Die Verantwortlichen in Budapest erachteten ihn als einen der Hauptschuldigen für die Niederlage gegen die BRD-Auswahl. Vier Monate nach dem Finale in Bern wurde Grosics wegen angeblicher Spionage verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Einen möglichen Wechsel ins Ausland lehnte er zuvor trotz lukrativer Angebote ab. Stattdessen versetzten ihn die Machthaber nach einem Jahr ständiger Verhöre zum Provinzclub Tatabánya.
Konflikte im Sport während des Kalten Krieges
Ein anderer prominenter Fall, in dem Fußballer zum Spielball ideologischer Machtspielchen wurden, trug sich 1959 während der Qualifikation zur ersten Europameisterschaft zu. Das spanische Team durfte damals auf Anweisung von Diktator Franco, einem ausgewiesenen Antikommunisten, nicht zum Auswärtsspiel in die Sowjetunion reisen.
Die Spieler erfuhren von der finalen Entscheidung, als sie bereits am Flughafen von Madrid standen. Der alternde Star Alfredo Di Stéfano war entsetzt. "Warum, warum, warum", soll er immer wieder gestammelt haben, als ihm bewusst wurde, dass ihm die Chance auf einen Titel mit dem Nationalteam verwehrt bleiben wird. Die Sowjetunion gewann am grünen Tisch und entschied im Sommer 1960 die erste EM-Endrunde für sich.
Ganz grundsätzlich ereigneten sich in der Zeit des Kalten Krieges und des aufkommenden Nahostkonflikts immer wieder politisch motivierte Vorfälle, die den Sport auf die eine oder andere Weise beeinflussten. Auf der großen Bühne waren das etwa die Olympia-Boykotte der Achtzigerjahre, aber auch das schreckliche Attentat von München im Jahr 1972.
Nordkoreas Sportler müssen ins Arbeitslager
In der Neuzeit hat sich die Lage nur bedingt verändert. Insbesondere Autokratien machen Sportler immer noch zu Sündenböcken. In Nordkorea zum Beispiel werden Geheimdienstberichten zufolge erfolglose Athleten nicht selten ins Arbeitslager geschickt. Die Fußball-Nationalmannschaft, die an der WM 2010 teilnahm, musste nach drei Niederlagen in der Gruppenphase eine öffentliche Demütigung über sich ergehen lassen. Sechs Stunden lang sollen die Spieler und Trainer damals im Kulturpalast von Pjöngjang von Offiziellen mit Kritik überschüttet worden sein.
Nachdem die erste Gruppenpartie gegen Brasilien nur knapp verloren gegangen war, entschied sich die nordkoreanische Regierung dazu, das zweite Spiel gegen Portugal live im Fernsehen übertragen zu lassen. Experten schätzen, dass es sich hierbei um die erste Live-Sportübertragung in Nordkorea überhaupt handelte. Allerdings verlor die eigene Nationalmannschaft deutlich mit 0:7 – eine Schmach, die der damaligen Führung um Kim Jong-il nicht schmeckte.
Auch Russen ungerecht behandelt
Der aktuell laufende Ukraine-Krieg kreiert auch im Sport eine neue Dimension. Die im Ausland lebenden russischen Athleten sehen sich ob weitreichender Sanktionen und Teilnahmeverbote natürlich auch als Opfer der politischen Großwetterlage. Daniil Medwedew etwa, der in diesem Jahr schon die Nummer eins der Welt im Tennis war, durfte kürzlich genauso wie seine russischen und belarussischen Kollegen nicht beim prestigeträchtigen Turnier in Wimbledon antreten.
Medwedew selbst lebt seit Längerem in Monaco, spricht fließend Französisch und wird von Teilen des Publikums in Frankreich sogar als einer der ihren betrachtet. Dass er sich nicht dezidiert gegen den Angriffskrieg seines Heimatlandes äußert, sollte für jeden verständlich sein. Denn die Konsequenzen für Angehörige daheim könnten verheerend sein, wie indirekt auch der Fall von Eishockey-Torwart Iwan Fedotow zeigt, welcher beim Olympia-Turnier im Februar noch einer der gefeierten Helden war.
Griner vielleicht für Waffenhändler ausgetauscht
Die Inhaftierung und mögliche Verurteilung von Basketballstar Brittney Griner stellt jedoch eine ganz andere Dimension dar. Da Griner nicht die einzige US-Amerikanerin ist, die sich aktuell in russischer Haft für zweifelhafte Vorwürfe befindet, muss man allerdings ihren Fall eventuell ein Stück vom Sport entfernen. Ihre Prominenz jedoch lenkt eine breitere Aufmerksamkeit auf die Vorgänge als bei Marc Whelan, Marc Fogel und anderen inhaftierten US-Staatsbürgern.
Mittlerweile haben die Angehörigen von Griner und Whelan den ehemaligen UN-Botschafter Bill Richardson als Unterhändler beauftragt. Richardson erwirkte in den Neunzigerjahren in ähnlicher Rolle mit Billigung der US-Regierung die Freilassung von Geiseln aus Nordkorea, Myanmar und dem Sudan. Währenddessen laufen auf offizieller Ebene Gespräche zwischen Washington und Moskau.
Bei einem möglichen Gefangenenaustausch müsste die USA wahrscheinlich den berüchtigten Waffenhändler Wiktor But, auch als "Händler des Todes" bekannt, freilassen und an Russland übergeben. Ein hochkomplexes politisches Spiel und mittendrin eine über zwei Meter große Basketballspielerin. So etwas hat es noch nicht gegeben.
Verwendete Quellen:
- Stern.de: Das Spiel ist niemals aus (30. September 2003)
- Deutschlandfunkkultur.de: Sindelar und das Wiener Wunderteam
- The Guardian: North Korea's failed World Cup footballers undergo public mauling
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