Apnoetaucherin Jessea Lu hat Weltrekorde aufgestellt. Das Tauchen ist für sie bei allem Extremsport vor allem eine Reise zu sich und ihrer Gefühlswelt. Im Film "Seven Beats per Minute" wird deutlich, wie die 40-Jährige durch ihren Sport ihre Kindheit aufarbeitet und sich selbst heilt.

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Sie kann mehr als acht Minuten im Wasser ohne Sauerstoff auskommen: Die gebürtige Chinesin Jessea Lu, die seit langem in den USA lebt, ist eine der besten Apnoetaucherinnen der Welt. 2018 verlor sie bei einem Weltrekordversuch unter Wasser das Bewusstsein – in 93 Metern Tiefe. Aktuell hält sie einen Weltrekord und 37 nationale Rekorde.

Der Film "Seven Beats per Minute" beschreibt den Weltrekordversuch und wie sie sich mit ihrer mentalen Gesundheit und psychischer Stärke auseinandersetzt. Diese sei der wichtigste Teil für sie beim Apnoetauchen, wie sie im Interview mit unserer Redaktion verrät.

Frau Lu, der Film über ihren Weltrekordversuch heißt "Seven Beats per Minute", es geht darin viel um Ihre Erfahrungen beim Apnoetauchen. Was passiert mit dem Körper während eines Tauchgangs?

Jessea Lu: Es gibt Reflexe bei Säugetieren, die einsetzen, wenn wir unter Wasser sind. Der Herzschlag verlangsamt sich, das Blut fließt von den Extremitäten zu den lebenswichtigen Organen wie Herz, Lunge und Gehirn. Das sind die grundlegenden Veränderungen. Und dann gibt es noch die Milz, die sich zusammenzieht und dem Kreislauf mehr rote Blutkörperchen zuführt. Aber das ist nichts, was wir fühlen, wir wissen nur, dass es passiert. Wir fühlen hingegen einen Druck, als würde man vom Ozean umarmt werden.

Wie erleben Sie sich selbst, wenn Sie im Wasser sind? Wie haben sich Ihre Empfindungen verändert im Laufe der Zeit?

Als ich Apnoetauchen gelernt habe, war da ein viel größerer Nervenkitzel. Natürlich versuche ich immer, während des Tauchgangs zu entspannen, aber ich glaube, mit der Zeit wurde ich besser darin, in diesen tiefen, meditativen Zustand zu fallen. Es geht mehr und mehr darum, den Spagat zwischen Verspieltheit und Entspannung zu schaffen, um den Sauerstoffverbrauch zu minimieren, damit ich weiter tauchen und es trotzdem genießen kann.

Wie gesund ist Ihr Sport?

Alles hat seine Grenzen, oder? Das richtige Maß ist immer der Schlüssel zu Gesundheit und Erfolg. Apnoetauchen ist ein sehr gesunder Sport. Es geht viel um die körperliche Gesundheit, es ist sehr schonend und beruhigend für den Körper. Es gibt keine Verletzungen durch Stöße wie bei anderen Sportarten. Natürlich sind die Sicherheitsvorkehrungen sehr, sehr wichtig. Man muss wissen, wie man richtig taucht, und man muss Erfahrung im Sicherheitsmanagement und in der Rettung haben.

Was bedeutet Apnoetauchen für Sie?

Jessea Lu
Im Film "Seven Beats per Minute" beschreibt Jessea Lu ihre Erfahrungen im Apnoetauchen.

Für mich geht es um Selbsterkenntnis und Selbstheilung. Es geht auch darum, zu verstehen, wie meine Gedanken entstehen, wie meine Gefühle funktionieren und wie sich mein Körper verhält. Es ist wie beim Schälen einer Zwiebel: Ich verstehe immer besser, was in mir vor sich geht. Ich habe einige meiner Ängste identifiziert, von denen manche vielleicht mit einem Trauma zusammenhängen. Für mich ist Apnoetauchen nicht nur eine Sportkarriere, sondern auch eine Heilungsreise, um eine bessere Taucherin zu werden und um aus Fehlern während des Tauchgangs zu lernen. Das Freitauchen ist eine Art Schule für mich, um etwas über mich selbst zu lernen und über die Jahre hinweg zu heilen.

In dem Film geht es auch um die Nahtoderfahrung, die Sie 2018 gemacht haben. Sie erzählen, dass der Blackout, den Sie damals hatten, Ihnen geholfen hat, die eigenen Monster zu besiegen. Können Sie das näher beschreiben?

Meine Emotionen sind ein ständiges Auf und Ab. Ich beziehe das auf einige meiner Kindheitserfahrungen, die im Film erklärt werden. Das ist eine wichtige Lebensaufgabe, an der ich arbeiten muss: Ich muss mir meiner Emotionen bewusster werden, woher sie kommen, wie ich sie in einem positiven Zustand halten kann, und was ich tun muss, ist, um diese Auslöser anzusprechen. Für mich ist das fast wie eine Therapie, zu der viel Selbstbewusstsein gehört.

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Wie trainiert man seine mentale Stärke?

Manche Gedanken lassen uns selbstbewusster werden, wir fühlen uns wohler, manche Gedanken sind eher selbstsabotierend. Es geht darum, die Verbindung zwischen Geist und Körper zu verstehen und darum, sehr ehrlich zu sein. Apnoetauchen ist wie ein Spiegel. Man sieht das Ergebnis sofort. Du beginnst deinen Tauchgang, und weißt sofort: Kannst du heute die Luft anhalten? Wie tief kannst du tauchen? Wie fühlst du dich nach dem Tauchgang? Das ist sehr, sehr ehrlich gegenüber der Leistung, die dein Körper erbringen kann.

Sie geben auch selbst Unterricht. Welche anderen Voraussetzungen neben der mentalen Stärke braucht man, um gut im Apnoetauchen zu sein?

Die Hürde zum Apnoetauchen ist nicht hoch. Es ist ein sehr sanfter Sport. Jeder hat sein eigenes Tempo und sein Wohlfühlniveau im Wasser. Das Wichtigste ist eine gute Gemeinschaft: Die Gruppe sollte wissen, wie man sicher taucht und sich gegenseitig unterstützen. Wenn man mit dem Apnoetauchen anfängt, achtet man auch mehr darauf, wie viel man schläft, wie gesund man sich ernährt, ob man genug Eisen hat, ob die roten Blutkörperchen ausreichend sind. Ich habe Leute unterrichtet, die Krebs im Endstadium hatten und das Wasser lieben. Ich habe Menschen mit Behinderung unterrichtet, für die es eine andere Art ist, das Leben zu erleben. Wir sagen Anfängern immer, dass Freitauchen eher ein mentaler als ein physischer Sport ist.

Was ist noch Ihr Ziel in diesem Sport?

Ich reise im Moment sehr viel, bin eine digitale Nomadin und lerne verschiedene Kulturen kennen, probiere verschiedene Gerichte und treffe Leute. Deshalb mache ich mir im Moment nicht allzu viele Gedanken über meine Ziele im Apnoetauchen. Aber es wird immer ein Teil meines Lebens sein und ich werde es so lange praktizieren, bis ich es nicht mehr tun kann.

Der Film "Seven Beats per Minute" ist im Rahmen der International Ocean Film Tour in den kommenden Wochen in vielen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen.

Quellen: