Lange dominierte Usain Bolt die Sprintwettbewerbe der Männer, nach seinem Karriereende suchte die Leichtathletikwelt lange nach einem neuen Superstar. Beginnt mit dem neuen Weltmeister Noah Lyles jetzt wieder eine Phase der Dominanz?
An Selbstvertrauen fehlt es Noah Lyles aktuell sicherlich nicht. "Wenn die Leute auf das Jahr zurückblicken, werden sie sagen: Das war das Jahr, in dem Noah die 200, die 100 und die Staffel gewonnen hat", erklärte der US-Amerikaner nach seinem Sieg über 100 Meter bei der Leichtathletik-WM in Budapest: "Und sie werden sagen: Das ist der Start einer Dynastie."
Eine solche Dynastie hatte Lyles Vorgänger
Bolts Lücke konnte bislang keiner füllen
Seit Bolt im Sommer 2017 seine Karriere beendet hat, ist es keinem Sprinter mehr gelungen, der Konkurrenz über längere Zeit zu enteilen. Drei verschiedene Weltmeister folgten Bolt, doch weder der schon in Richtung Karriereende schielende Justin Gatlin, noch Christian Coleman oder Fred Kerley konnten ihre zeitweisen Erfolge langfristig untermauern und kamen auch in ihrer Bestform nicht ansatzweise an die Zeiten heran, mit denen ihr Vorgänger einst regelmäßig seinen Gegnern davongelaufen war. Auch für Marcell Jacobs, den ersten Olympiasieger nach der Ära Bolt, war bei den Weltmeisterschaften in Budapest schon im Halbfinale Schluss.
Lyles, der in Budapest seine erste Goldmedaille in einem 100-Meter-Rennen holte, will den Kampf um die Bolt-Nachfolge nun endgültig beenden, wenn man seinen Worten Glauben schenken mag. Wie Bolt möchte er bereits bei dieser WM Dreifachgold holen, also auch in der Staffel und über die 200-Meter-Distanz triumphieren. Aber hat der 25-Jährige aus dem Süden der Vereinigten Staaten auch wirklich das Zeug dazu, eine Sprint-Ära zu prägen - oder sind das nur hohle Phrasen?
Zumindest teilen sich Bolt und Lyles viele Gemeinsamkeiten. Beide haben bei ihren Rennvorbereitungen eine Vorliebe für das Extravagante und verstehen es, mit dem Publikum zu spielen. Wie der berühmte Ex-Weltmeister liebt es Lyles, mit Frisuren, Outfits oder Posen für Aufsehen zu sorgen. Und er ist sich mindestens ebenso klar darüber bewusst, dass er als Individualsportler auch über den Wettbewerb hinaus eine Marke sein muss, um in der öffentlichen Wahrnehmung zu den ganz Großen des Sports zu gehören.
Lyles vermarktet sich professionell
Den Hype, den schon Bolt in seinen besten Zeiten auszulösen vermochte, will der Amerikaner noch übertreffen und dem Sprintwettbewerb ein moderneres Gesicht geben: "Die Leichtathletik muss sich selbst besser vermarkten, die Geschichten müssen besser erzählt werden", erklärte er. Bereits jetzt läuft in den USA eine Dokumentation, die die noch gar nicht vollendete Karriere von Lyles thematisiert - auch die geplanten drei Weltmeistertitel in Budapest sollen darin bald vorkommen, wie er selbst erklärte. Der Leichtathletik-Star vermarktet sich schon zu Beginn seiner Karriere so professionell wie manche Sportteams.
Dabei scheut Lyles es nicht, über die Schattenseiten des Sports und seines Lebens im Allgemeinen zu sprechen. Geboren in Florida, wuchs er in eher ärmlichen Verhältnissen bei seiner Mutter auf. "Ich hatte die Lernstörungen ADS und Legasthenie", erzählte er über seine Kindheit, in der Highschool sei er häufig "isoliert" gewesen und habe "viel geweint". Auch später in seiner Sportkarriere hatte Lyles mit Depressionen zu kämpfen, wie er offen zugab.
Lyles tat sich über 100 Meter schwer
Was Lyles bislang hingegen noch fehlt, sind langjährige Konstanz, sowohl über die 100-, als auch über die 200-Meter-Distanz. Über 200 Meter gehört der Amerikaner bereits seit Jahren zur Weltspitze, sein erstes Ausrufezeichen setzte er bei den Weltmeisterschaften in Doha 2019, wo er seine erste Goldmedaille gewann. Auch die erste olympische Medaille, wenn auch nur in Bronze, feierte er bei den Spielen in Tokio über diese Strecke.
Über die prestigeträchtigeren 100 Meter lief Lyles, der wie auch Gina Lückenkemper unter dem Amerikaner Lance Brauman trainiert, der Konkurrenz aber lange hinterher. Die Medaille in Budapest ist die erste, die er über diese Strecke überhaupt bei einer WM oder Olympia gewonnen hat. "Das war ein langer Weg", gab Lyles zu, einer, den er nur mit Blut, Schweiß und Tränen überwunden habe. Und fügte selbstbewusst an: "Das Erschreckende ist, dass es noch so vieles gibt, dass ich auf den 100 Metern besser machen kann."
Genug Ziele gibt es für Lyles noch zu erreichen: Neben dem Gold-Dreierpack, den Bolt bei drei verschiedenen Weltmeisterschaften erringen konnte, kam Lyles auch an die Rekordzeiten des Jamaikaners über 100 Meter (9,58 Sekunden) und 200 Meter (19,19 Sekunden) bisher noch nicht heran. Und dann müsste es im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in Paris auch mindestens eine Goldmedaille geben, um den hohen Ansprüchen, die der Amerikaner selbst an sich stellt, gerecht zu werden.
Was Lyles aber nicht davon abhält, schon nach dem ersten Sieg über die 100 Meter große Töne zu spucken. "Sie haben gesagt, dass das nicht geht. Sie haben gesagt, ich bin nicht derjenige. Aber Gott sei Dank bin ich es", erklärte der frisch gekürte Weltmeister stolz. Ob er es auch bleibt, wird sich schon bald zeigen.
Verwendete Quellen:
- DPA
- SID
- Reuters: Lyles trying to fill the Bolt-hole on and off the track
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