Italien ist eine große Überraschung der Handball-WM, denn das Land ist keine klassische Handball-Nation. Wie ist das aktuelle sportliche Märchen möglich?
Es wirkt in Zeiten von Tiktok und Instagram fast schon altmodisch: Eine Facebook-Nachricht war es nämlich, mit der Domenico Ebner angeworben wurde. Acht Jahre ist es her, dass der Co-Trainer von Italiens Handball-Nationalmannschaft, Jürgen Prantner, in einer Zeitschrift Ebners Vorname auffiel. Er versuchte sein Glück über Social Media, schrieb den gebürtigen Freiburger an. Und tatsächlich: Der Torhüter hat eine italienische Mutter und Lust auf ein echtes Abenteuer.
Der Rest ist inzwischen ein Handball-Märchen. Denn der Keeper ist dank eines italienischen Passes nicht nur Nationalspieler geworden, sondern erlebt mit seiner Mannschaft bei der WM gerade ein sportliches Wunder.
Die Südeuropäer sind alles, nur keine klassische Handball-Nation. König Fußball steht in dem Land, das Gianluigi Buffon, Roberto Baggio, Francesco Totti oder Paolo Maldini hervorgebracht und vier WM-Titel geholt hat, natürlich über allem. Dahinter kommen Basketball, Volleyball und sogar noch Wasserball – und nicht der "Pallamano", wie Handball auf Italienisch heißt.
Eine beeindruckende Erfolgsgeschichte
Das liegt auch an den bescheidenen sportlichen Erfolgen. Es ist ja zumeist ein Teufelskreis, denn wer fördert eine Sportart, in der es keinen Erfolg gibt? Doch ohne Förderung will sich in der Regel auch kein Erfolg einstellen.
An einer WM haben die Italiener daher bislang nur einmal teilgenommen: 1997 wurde man mit nur einem Sieg 18. Bei der EM ein Jahr später war Italien als Gastgeber ebenso chancenlos, wurde Elfter unter zwölf Teilnehmern. Doch 2025 ist alles anders, 28 Jahre nach der ersten WM-Teilnahme schreibt die Nationalmannschaft eine Erfolgsgeschichte, die sogar in der Heimat für jede Menge Aufsehen sorgt. Das Gesicht des Teams ist Ebner, der aus dem Schwärmen nicht mehr herauskommt.
Ebner prägt die Mannschaft
"Man kann das nicht in Worte fassen", sagt Ebner über den sensationellen Einzug in die Hauptrunde, wo am Donnerstag im zweiten Spiel Deutschland wartet, "aber wenn man sieht, dass wir in der 'Gazzetta dello Sport', in der wir früher einen kleinen Eckbericht hatten, eine ganze Seite haben, ist das der größte Respekt, den man sich in Italien erarbeiten kann."
Bei der WM gelangen in der Vorrunde Siege gegen Tunesien (32:25) und Algerien (32:23), ehe es gegen Übermacht Dänemark eine 20:39-Abreibung setzte, laut Ebner "eine der schönsten Niederlagen, die man haben kann", weil die Italiener vom dänischen Publikum frenetisch gefeiert wurden. Die Mannschaft hakte die Pleite ab und meldete sich zum Auftakt der Hauptrunde mit einem 25:18 gegen Tschechien zurück – und hat nun in einem "Endspiel" gegen die punktgleiche DHB-Auswahl die historische Chance auf das Viertelfinale.
"Wir haben junge Spieler, wir haben alte Spieler. Wir haben dicke, dünne, kleine und große. Wenn man diese Mannschaft sieht, geht mir das Herz auf", sagt Ebner, der beim Bundesligisten SC DHfK Leipzig spielt: "Wir erleben hier mit unseren Fans so etwas wie Dolce-Vita-Feeling. Wir sind wie eine Familie, es macht einfach nur Spaß".
Ebner kämpft für italienischen Handball
Dass diese Entwicklung möglich ist, liegt auch an der Verpflichtung Ebners, denn mit ihr begann eine Art Neu-Erfindung des italienischen Handballs, für die sich "il tedesco" (der Deutsche), wie Ebner genannt wird, intensiv eingesetzt hat. "Ich habe acht Jahre dafür gekämpft, dass das alles professioneller wird in Italien, dass wir diesen Schritt irgendwann gehen. Und der Traum ist gerade wahr", sagt er.
Konkret arbeitet die Federazione Italiana Giuoco Handball (FIGH) seit Jahren intensiv daran, den Aufbau von Ligabetrieb und Nationalteam professioneller und nachhaltiger zu gestalten. Handball wird zudem an den Schulen mehr unterrichtet und so der dringend benötigte Nachwuchs akquiriert. Italien ist ein wunderbares Beispiel dafür, was mit den richtigen Maßnahmen und ein wenig Glück in relativ kurzer Zeit möglich ist.
Wie geht es weiter?
Ein Vorteil dabei: Die Infrastruktur ist da, denn "die Basketball- und Volleyballhallen können wir und die Vereine mitnutzen", erklärt Ebner. Trotzdem sei Italien noch ein "absolutes Handball-Entwicklungsland", so der Nationaltorhüter im ZDF: "Die Liga ist immer noch nicht professionell genug. Man hat aber wichtige Entscheidungen getroffen und zum Beispiel einen Handball-Campus nahe Pescara installiert, aus dem immer mehr junge Spieler hervorgehen."
Schon jetzt ist ein Großteil des aktuellen Teams unter 25, Legionäre wie Simone Mengon (ThSV Eisenach), Leo Prantner (Balingen) und Mikael Helmersson (Coburg) gelten als Versprechen für die Zukunft. Wichtig wäre es, mit einer erfolgreichen EM-Qualifikation nachzulegen. Nach zwei Spielen hat Italien zwei Punkte, könnte daher in einem Jahr den Erfolg bestätigen. Ebner findet so oder so, dass der italienische Handball "eines der spannendsten Projekte in den nächsten Jahren" sei, denn "diese Sportart kann in Italien sehr schnell wachsen".
Gegen DHB-Team der Underdog
Vor allem dann, wenn man sich weiter so gut verkauft, nicht nur sportlich, sondern auch emotional, denn der Außenseiter begeistert das Publikum. "Das ist alles gerade so verrückt. Wie ein Traum, aus dem wir nicht wieder aufwachen wollen", betont Ebner. Gegen die Deutschen sei man "definitiv der Underdog. Aber einer, der mit Spaß und Freude auch Berge versetzen kann. Natürlich wird das ein ganz besonderes Spiel", sagt Ebner, der sich auf diese Spiele freut, "weil wir gegen solch große Mannschaften nicht zu oft spielen". Dass dies jetzt möglicherweise die Regel wird, ist auch ihm zu verdanken. Und einer Facebook-Nachricht.
Verwendete Quellen:
- zdf.de: So ticken Italiens WM-Handballer
- Pressekonferenzen
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