- Der Handball der Frauen wird vor der EM von schweren Vorwürfen gegen einen Trainer gebeutelt.
- Vereine und der Deutsche Handballbund (DHB) reagieren entsetzt.
- Für Nationalspielerin Mia Zschocke geht die Reaktion des Deutschen Handballbundes nicht weit genug.
Die Vorfreude von Markus Gaugisch auf seine erste Turnier-Vorbereitung als Bundestrainer war "mega", als er tief in der Nacht um 4.10 Uhr am Sporthotel Großwallstadt aus dem Bus kletterte. Doch angesichts der großen Unruhe im deutschen Handball der Frauen um schwere Vorwürfe psychischer Gewalt gegen einen langjährigen Bundesliga-Trainer ist Gaugisch zunächst einmal auch als Moderator und Psychologe gefragt.
"Natürlich kann das Thema nicht vollständig ausgeblendet werden. Es wäre auch merkwürdig, wenn es anders wäre", sagte Gaugisch dem Sport-Informations-Dienst (SID) zum Start der heißen EM-Vorbereitungsphase des DHB-Teams. Er will dem Thema in den kommenden Tagen und Wochen Raum geben, "falls es weiteren Gesprächsbedarf gibt", sagte er. "Dennoch sollten wir dann aber auch den Blick und den gesamten Fokus auf die Vorbereitung auf die Europameisterschaft und dann das Turnier selbst legen."
Fokus auf die EM wird schwierig
Das dürfte gar nicht so einfach werden, denn die Vorwürfe, die im "Spiegel" unter dem Titel "Psychoterror im deutschen Frauenhandball" öffentlich gemacht wurden, haben es in sich. Auch die für die EM in Slowenien, Nordmazedonien und Montenegro (4. bis 20. November) nominierte Mia Zschocke zählt zu den Betroffenen. Zusammen mit der aktuell verletzten Nationalspielerin Amelie Berger nahm sie bei der Aufarbeitung der Geschehnisse auch den Deutschen Handballbund (DHB) in die Pflicht, der den betroffenen Trainer bis Ende August drei Jahre lang auf Honorarbasis als U20-Nationalcoach beschäftigt hatte.
"Wir spielen beide mit sehr viel Herzblut für Deutschland. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, wenn unser Verband mehr Schutz und mehr Unterstützung in solch sensiblen Angelegenheiten bieten würde", sagten die früheren Spielerinnen von Borussia Dortmund dem "Spiegel". Berger und Zschocke hatten beim BVB ihre Kündigung eingereicht und die Anlaufstelle gegen Gewalt im Sport kontaktiert, der Klub stellte den Trainer im September frei.
In der Liga schlägt das Thema hohe Wellen. DHB, Liga und Vereine "werden sich sehr ernsthaft Gedanken machen müssen, welche Lehren und welche möglichen Konsequenzen aus diesem Fall zu ziehen sind", schrieb Peter Prior, langjähriger Manager des Buxtehuder SV, in einer ausführlichen Stellungnahme. Die Verantwortlichen in den Vereinen, für die der Trainer arbeitete, müssten sich mit Blick auf die Fürsorgepflicht fragen, "ob sie ihrer Verantwortung gegenüber den Spielerinnen gerecht geworden sind. Das gleiche gilt für den DHB."
Für den Verband stehen die veröffentlichten Vorwürfe "in keiner Weise im Einklang mit den Werten des Handballsports". Der DHB "fühlt mit den betroffenen Spielerinnen und nimmt die Vorwürfe sehr ernst, hinterfragt das eigene Vorgehen kritisch und überprüft seine Prozesse", hieß es auf SID-Anfrage. Man sei "nach Bekanntwerden erster Hinweise zu möglichem Fehlverhalten umgehend auf Basis des zum jeweiligen Zeitpunkt bekannten Wissens entsprechend der Handlungsempfehlungen für Sportvereine aktiv geworden und hat intern auf allen Ebenen für die Prävention von Gewalt sensibilisiert". Während dessen Zeit beim Verband habe es keine Vorwürfe gegen den Trainer gegeben, "die dem Vorstand des DHB bekannt geworden sind".
Zschocke fordert neutrale Instanz zur Aufklärung
Das DHB-Statement geht Zschocke nicht weit genug. Sie fordert eine unabhängige Instanz im Aufklärungsprozess des DHB. "Ich habe klar gesagt, dass man eine externe, neutrale Person braucht, um Kritik zu äußern", sagte Zschocke dem SID am Dienstag über ein Gespräch mit DHB-Sportvorstand Axel Kromer. Jedem sollte bewusst sein, "dass bei so einer Aufarbeitung oft eine neutrale Instanz benötigt wird, um eine gewisse Neutralität zu wahren".
Das DHB-Statement sei "zu kurz", sagte Zschocke außerdem. "Wenn man sich öffnet, muss man einen Seelenstriptease betreiben, das ist nicht einfach. Da man sich häufig in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet, kann man nicht offen darüber sprechen", führte die 24-Jährige aus. "Ich hoffe, dass die Aufarbeitung professionell abläuft. Mit den Athleten Deutschland hatten wir eine super Zusammenarbeit, das kann ich nur weiterempfehlen." (afp/ska)
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