Das Testspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Chile hat Bundestrainer Joachim Löw wohl kaum einige der erhofften Erkenntnisse liefern können, wen er am 8. Mai in seinen vorläufigen WM-Kader nominieren kann und wen eher nicht.
Dafür war die Zusammenstellung des Kaders zu unfertig, fehlten unter anderem Spieler wie Mats Hummels, Thomas Müller, Marco Reus, Rene Adler, Sami Khedira, Julian Draxler, Mario Gomez oder Ilkay Gündogan. Sie waren verletzt oder sind rekonvaleszent, haben momentan nicht die entsprechende Form oder fanden wie Adler schlicht keinen Platz mehr in ihrem Mannschaftsteil.
62 Tage sind es noch bis zum entscheidenden Tag, an dem "Entscheidungen getroffen werden müssen, die einigen Spielern weh tun werden", wie Löw bereits vor dem Spiel gegen die Südamerikaner angekündigt hat. 25 bis 28 Spieler will Löw dann nominieren und mit ins Trainingslager nach Südtirol nehmen. Bei der FIFA darf er dann Ende Mai noch 23 davon offiziell melden.
Die Kategorisierung in die einzelnen Mannschaftsteile schwankte bei den letzten Turnieren immer ein wenig, und auch dieses Mal ist noch nicht so ganz klar, wie Löw die 23 Spieler in die vier Kategorien Torhüter, Abwehr, Mittelfeld und Angriff verteilen. Klar ist lediglich, dass drei Torhüter gemeldet werden - das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Löw am 8. Mai auch nur drei Keeper nominieren wird.
Unklar, wer hinter Neuer zweiter und dritter Torwart wird
Manuel Neuer steht außer Frage, dahinter wird es aber schon eng. Eine feste Nummer zwei, wie sie Tim Wiese lange Zeit war, gibt es derzeit nicht. Die besten Chancen dürften die beiden Routiniers Roman Weidenfeller und Rene Adler haben. Letzterer spielt beim HSV aber eine eher durchwachsene Saison.
Von den Jüngeren drängeln Marc-Andre ter Stegen, Ron-Robert Zieler und vielleicht auch noch Bernd Leno in den Kader. Allenfalls einer davon wird von Bundestorwarttrainer Andreas Köpke Anfang Mai einen positiven Anruf erhalten.
Innenverteidigung gesetzt, Problemfall Außenbahnen
In der Abwehr sind Jerome Boateng, Per Mertesacker, Mats Hummels und Marcel Schmelzer fest eingeplant. Wobei die beiden Dortmunder Hummels und Schmelzer Sonderfälle bilden: Der eine war lange verletzt und muss in den kommenden Wochen beweisen, dass er bis zur Nominierung wieder an seine Bestform anknüpfen kann. Und der andere ist vornehmlich deshalb dabei, weil es auf seiner Position schlicht an Alternativen mangelt. Schmelzers Saison beim BVB ist bis heute allenfalls mittelprächtig gelaufen.
Benedikt Höwedes dürfte gute Chancen haben, der Schalker kann innen wie zur Not auch außen verteidigen. Heiko Westermann hat prinzipiell ähnliche Veranlagungen, spielt in Hamburg aber eine schwache Saison. Zählt der Leistungsgedanke, ist für Westermann definitiv kein Platz. Marcell Jansen wäre ein Kandidat für die linke Seite - jetzt fällt der Hamburger aber wegen eines Bänderrisses im Knöchel rund sechs Wochen aus.
Lars Bender hat bei der EM vor zwei Jahren gezeigt, dass er rechts in der Viererkette spielen kann. Allerdings sucht der Leverkusener seit Wochen schon nach seiner Form.
Gegen Chile hat sich Kevin Großkreutz etwas in den Vordergrund gespielt. Der Dortmunder gilt als beste Lösung für die rechte Außenbahn in der Viererkette, er bringt die physischen und psychischen Voraussetzungen für das "Turnier der Urkräfte" mit, wie Löw unter anderem die klimatischen Bedingungen in Brasilien gerne umschreibt.
Hohe Verletzungsdichte im Mittelfeld
Im Mittelfeld drückt den Bundestrainer der Schuh am meisten. Gündogan und Khedira sind seit Monaten verletzt. Während der Real-Star in wenigen Tagen wieder ins Mannschaftstraining einsteigen soll, ist Gündogans Zukunft weiter völlig offen.
Mit jedem Tag, der ohne Fortschritte verstreicht, schwindet die Chance auf die WM. Und im Moment kann Gündogan allenfalls leichte Trabrunden um den Platz absolvieren. Löw lässt beiden eine Hintertür auf, wenn er sagt, dass manche Spieler auch mit 80 bis 90 Prozent ihres Leistungsvermögens eine Bereicherung für die Mannschaft wären. Bei Gündogan ist Stand heute aber kaum an einen Einsatz beim Endturnier zu glauben.
Sven Bender fällt noch mindestens fünf Wochen aus, wenn es schlecht läuft für den Dortmunder, wird er erst unmittelbar vor der Kadernominierung wieder gesund. Wohl zu knapp, um noch auf den Zug aufzuspringen.
Bleiben Philipp Lahm, der ziemlich sicher ins Mittelfeld aufrücken wird, Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger für die zentrale Mittelfelddefensive. Schweinsteiger ist auf einem guten Weg, was Optimismus schürt beim Bundestrainer. Dafür hat er auf den Flügeln und im Kreativzentrum noch einige Sorgen.
Thomas Müller ist gesetzt, Lukas Podolski kämpft sich in London nach langer Verletzung gerade langsam zurück ins Team und ist bei Löw ein ziemlich sicherer WM-Fahrer. Ebenso wie Marco Reus, der im Grunde nur gesund bleiben muss bis zur WM. Sorgenkinder - und damit Wackelkandidaten - sind Julian Draxler und Sidney Sam. Beide glänzten mit einer teilweise sehr starken Vorrunde, in der Rückrunde nach Verletzungen aber meilenweit von ihrer Form entfernt.
Sie sind ungenannt gemeint, wenn Löw sagt, dass "ich drastisch gesagt einige Spieler überwachen werde. Solche Spieler, die nicht mehr in den englischen Wochen unterwegs sind, müssen dann die Zeit nutzen, um sich auf hohes Fitnesslevel zu bringen. Wir brauchen diese körperliche Fitness in Brasilien." Draxlers Schalker und Sams Leverkusener stehen nach deftigen Heimpleiten mit ihren Klubs in der Champions League vor dem Aus.
Andre Schürrle saß zuletzt beim FC Chelsea zu großen Teilen nur auf der Bank. Kommt der ehemalige Leverkusener dann zum Einsatz, spielt er aber ganz ordentlich. Zuletzt gelangen ihm sogar drei Treffer in einer Partie. Schürrle dürfte gute Chancen haben.
Ein spezieller Fall ist der von Mesut Özil. Der Spielmacher ist an guten Tagen kaum zu ersetzen. An schlechteren Tagen aber taucht er ab, in engen Spielen ist dann oft wenig von ihm zu sehen. Das ist eine Frage der Mentalität. Löw meint nicht explizit Özil, wenn er fordert, dass "manche ihr Training, ihren Lebenslauf und ihre Professionalität so nutzen sollten, dass sie die letzten Monate bis zur WM optimal gestalten." Kritiker würden Özil diese Forderungen zu gerne unterschieben.
Auch die Stürmer sind noch nicht in Form
Im Angriff sind Miroslav Klose und Mario Gomez gesetzt - sofern sie gesund bleiben und endlich ihre Form wieder finden. Klose plagen immer wieder kleinere Verletzungen, seine letzten Spiele im Klub und im DFB-Dress waren schwach. Gomez war über ein Vierteljahr nicht einsatzfähig und hat erst in den letzten Tagen wieder erste Pflichtspielminuten absolviert.
Mario Götze erscheint mehr als eine echte Alternative für ein Spielsystem ohne echten Stoßstürmer, der Bayern-Star ist selbstverständlich absolut gesetzt im Löw-Kader. Hinter den drei großen Namen dürfte Max Kruse noch die besten Chancen haben, in Brasilien dabei zu sein. Der hat aber seit acht Spielen nicht mehr getroffen.
Von den Außenseitern wie Serge Gnabry, Piere-Michel Lasogga, Andre Hahn oder Matthias Ginter dürfte kaum einer reelle Chancen haben. Es sei denn, auf seiner Position bricht der Notstand aus.
Neun Wochen bleiben noch Zeit. Neun Wochen, in denen Löw "ab sofort ganz genau hinschauen" wird. "Selbstverständlich bleibt die Tür noch offen", sagt Löw und fügt an: "Allerdings in beide Richtungen!"
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