Vor der WM war stets die Rede vom Heimvorteil für den Gastgeber Brasilien. Die Weltmeisterschaft auf dem eigenen Kontinent scheint aber alle südamerikanischen Mannschaften zu beflügeln - woran liegt das?
Die bisherige WM-Bilanz der südamerikanischen Teams kann sich durchaus sehen lassen: Sieben Siege stehen bislang zu Buche, bei einem Remis und nur zwei Niederlagen. Und eine der beiden verlorenen Partien geht auf das Konto von Ecuador, die bei aller Liebe zum Underdog nicht unbedingt zum Favoritenkreis aufs Weiterkommen zu zählen sind.
Von den "Big Five" Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien und Uruguay haben sich bislang nur das letztere Team um Luis Suarez, Edinson Cavani und Diego Forlan sowie der Gastgeber die Blöße gegeben - aber immerhin gegen Costa Rica (Uruguay verlor 1:3) und Mexiko (Brasilien kam nicht über ein 0:0 hinaus). Diese beiden Länder gehören wenigstens auch zu Lateinamerika und dürfen sich daher in Brasilien auch ein wenig zu Hause fühlen.
Doch wieso fällt der Heimvorteil offenbar so stark ins Gewicht? Bereits vor der WM war viel von den klimatischen Bedingungen die Rede, die die Südamerikaner schon gewöhnt sind. Das schien in den bisherigen Partien allerdings noch kein Faktor zu sein: Die südamerikanischen Mannschaften waren in den Schlussminuten bislang auch nicht erkennbar fitter als ihre Gegner. Zumal viele Spieler aus südamerikanischen Nationalteams ihr Geld in Europa verdienen.
Auch ist der Mythos vom übermächtigen Heimvorteil überholt. Statistiken zeigen, dass beispielsweise in der Bundesliga nicht mal jedes zweite Heimspiel gewonnen wird - in dieser Saison lag der Anteil an Heimsiegen bei 47,4 Prozent, in den Jahren davor war der Wert sogar noch niedriger. Eine Garantie, dass man als Heimmannschaft auch als Sieger vom Platz geht, gibt es also nicht.
Ausgerechnet Brasilien vom Heimvorteil gelähmt?
Schon eher kann da die Fanunterstützung als Erklärung herhalten. Wer das gelbe Meer auf den Rängen bei der Partie Kolumbien gegen die Elfenbeinküste gesehen hat, bekam einen ungefähren Eindruck, wie es in südamerikanischen Stadien zugeht. Dass der Fußball dort im Vergleich zu Europa (abgesehen von Ausnahmen wie der Türkei beispielsweise) einen ganz anderen, beinahe schon existenziellen Stellenwert hat, dürfte wohl mittlerweile jeder auf Bildern von der WM oder in Fußballdokus über Südamerika gesehen haben. Sprüche wie "In Argentinien hat Gott Maradona-ähnlichen Status" sind wohl wahrer als man denkt.
Hinzu kommt ein von jahrhundertelanger Unterdrückung aus dem Ausland geprägter Nationalstolz, der sich bei dieser Weltmeisterschaft besonders dann zeigt, wenn Zuschauer und Spieler nach dem Ende der Musik vom Band ihre jeweiligen Nationalhymnen noch weiterschmettern - wie schon mehrfach bei dieser WM gänsehauterzeugend zu beobachten. Gut vorstellbar, dass sich viele Spieler an der Ehre gepackt fühlen.
Wie schmal der Grat zwischen motivierender Unterstützung durch die eigenen Fans und lähmender Erwartungshaltung allerdings sein kann, zeigt sich aber ausgerechnet am Gastgeber. Brasilien wusste in beiden Partien gegen Kroatien und Mexiko nicht zu überzeugen. Da haben es die anderen Mannschaften aus Südamerika offensichtlich einfacher: Sie haben einfach nur den Stolz - ohne den Druck.
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