- Immer wieder Misserfolg, immer wieder ähnliche Ausreden: Oliver Bierhoff hat nach den glanzvollen Jahren die Entfremdung von der Nationalmannschaft zu verantworten.
- In der kommenden Woche wird sich das Schicksal des 54-Jährigen entscheiden.
Bernd Neuendorf nahm sogar die Brille vom Kopf, fast hätte man den gar nicht ganz so neuen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes gar nicht erkannt ohne sein liebgewonnenes Accessoire. Neuendorf trat am Freitag noch ein letztes Mal vor die Journalisten, um der wieder einmal komplett verkorksten Mission paar abschließende Worte anzuheften.
Das Ausscheiden schon nach der Gruppenphase schmerze außerordentlich, sagte Neuendorf also und schwenkte dann am Flughafen in Doha, wo er die provisorisch eingerichtete kleine Presserunde gab, schnell um in eine Art Angriffsmodus.
DFB-Krisensitzung in der kommenden Woche
"Der Fahrplan sieht vor, dass wir uns in der kommenden Woche zusammensetzen werden", sagte Neuendorf, der eine eingehende Analyse des sportlichen Abschneidens einfordert, von Bundestrainer
"Dass sie aber auch Perspektiven entwickelt für die Zeit nach dem Turnier mit dem Blick auf die Europameisterschaft im eigenen Land." Die Analyse müsse "die Entwicklung der Nationalmannschaft und unseres Fußballs seit 2018" umfassen - was besonders für Bierhoff einigermaßen unangenehm werden könnte.
Es war schon einigermaßen interessant, was und wie Neuendorf formulierte, dass er auf eine unverzügliche Aufarbeitung drängt und einen nachvollziehbaren Plan, wie das alles nun weitergehen soll. Mindestens genauso interessant war aber, was Neuendorf nicht erzählte. Unter anderem vermied der Präsident ein klares Bekenntnis für Flick und Bierhoff, den nicht wenige im deutschen Fußball schon länger als die Wurzel vielen Übels sehen und dem nun tatsächlich die Argumente ausgehen für eine Weiterbeschäftigung beim größten Sportfachverband der Welt.
Bierhoff: "Leider keine Argumente mehr"
Das sieht - mittlerweile - auch Bierhoff selbst so, wenn er offen darauf hinweist, dass "ich nach drei schlechten Turnieren leider keine Argumente mehr habe, die ich dagegen halten kann. Das muss ich akzeptieren." Wie es nun weitergehe, "das müssen andere entscheiden". Allerdings, und das ist auch ein typischer Bierhoff, "habe ich ein sehr gutes Gefühl für mich".
Einen Rücktritt schloss der 54-Jährige unmittelbar nach dem Ausscheiden am Donnerstag jedenfalls schon kategorisch aus. "Die Frage stelle ich mir gerade nicht. Natürlich weiß ich, dass solche Fragen kommen werden. Ich bin seit 18 Jahren da - vielleicht schaut man sich sachlich die gesamte Bilanz an. Da mache ich mir nicht die großen Sorgen."
Das ist die große Hoffnung für Oliver Bierhoff, der in knapp zwei Jahrzehnten beim DFB in unterschiedlichen Funktionen und mit wechselnden Mitstreitern immer die große Konstante blieb - oder bleiben durfte. Die ersten zehn Jahre seines Schaffens vollendete Bierhoff mit dem Gewinn des Weltmeistertitels, die Sympathiewerte der Nationalmannschaft schienen damals keine Grenzen mehr zu kennen.
Was der Nationalmannschaftsmanager Bierhoff damals auch jeden wissen ließ. Wie eine Trophäe trug er Zahlen der Marktforschung vor sich her, stellte Bekanntheit und Beliebtheit der Nationalmannschaft in Deutschland heraus. Die Jobbeschreibung des damaligen Teammanagers verordnete unbedingt auch, den Hype maximal auszuschlachten und wirklich auch den letzten Tropfen herauszuquetschen.
Bierhoff hat das Gespür verloren für die wichtigen Themen
Die Nationalmannschaft war tatsächlich ein Hort der guten Laune. Nur lässt sich dieses Hochgefühl schwerlich konservieren und es bekommt schnell einen faden Beigeschmack, wenn die Gewichtung kippt: Seit Jahren rücken der sportliche Wert und faktisch auch die erzielten Leistungen immer mehr in den Hintergrund, interessant wird die Mannschaft nur noch, wenn man sich so richtig schön über sie aufregen kann.
Bierhoff hat daran einen veritablen Anteil. Als Teammanager und später als Direktor Nationalmannschaften und Akademie hat er die falschen Signale gesendet, er hat das Gespür verloren für die Bedürfnisse der Fans.
Auf der einen Seite trieb er die Vermarktung der Mannschaft immer weiter voran. Weiter, höher, schneller sollte das alles gehen, in den Testspielen nur noch die größten Gegner rangekarrt werden, jedes Länderspiel gegen entsprechenden Aufpreis beim Ticketverkauf zu einem großen Event werden. Auf der anderen Seite rügte Bierhoff aber den gesamten Betrieb und die Auswüchse seiner Branche mit voller Überzeugung.
"Wenn wir alle im Fußball zehn oder zwanzig Prozent weniger verdienen würden, würde es uns immer noch sehr gut gehen", sagte er vor einigen Monaten in einem Interview mit dem "Focus". "Wir könnten möglicherweise die Qualität des Spiels erhöhen, indem wir die Zahl der Spiele reduzieren. Wettbewerbe müssten auf ihren Sinn und sportlichen Wert geprüft werden. Stattdessen werden Entscheidungen oft aus politischen Gründen getroffen. Wir im Fußball müssen sehen, dass wir es nicht übertreiben."
Zu viele Fehler und Fettnäpfchen
Da war die Liste seiner eigenen Verfehlungen längst aber schon viel zu lang. Der enorme Fokus auf allerhand Marketingaktivitäten rund um "Die Mannschaft" war ebenso überzogen wie der künstlich eingeführte Claim als solcher. Was Verbundenheit im eigenen Land und Bewunderung im Ausland für die Mannschaft bewirken sollte, entpuppte sich als stetes Ärgernis.
Wie Bierhoff die Weltmeisterschaft in Russland mit fragwürdigen Aktionen und Hashtags rund um die Mannschaft überzog und gleichzeitig die Turbulenzen um Mesut Özil und Ilkay Gündogan falsch einschätzte und das Team dann in einer besseren Jugendherberge in Watutinki kasernierte, brachte ihm schon vor vier Jahren jede Menge Kritik ein.
Das Festhalten an Joachim Löw und die vermasselte Europameisterschaft im letzten Jahr erhöhten den Druck auf das laufende Turnier, der erneute Kollaps mit den wiederholt schlechten Entscheidungen Bierhoffs in der "One Love"-Debatte oder der Auswahl des WM-Quartiers mehr als 100 Kilometer entfernt von Doha im katarischen Nichts rücken Bierhoff nun endgültig und so scharf wie nie in den Fokus.
DFB-Plan mit Watzke?
Als einzige Konstante beim DFB hat er die Entfremdung der Fans nach den glanzvollen Jahren nicht nur erlebt, sondern auch entscheidend dazu beigetragen. Immer wieder wusste Bierhoff sich in brenzligen Situationen rhetorisch zu befreien oder im richtigen Moment einfach auch mal nichts zu sagen. Das dürfte in der kommenden Woche nicht mehr möglich sein. Der Druck auf alle Beteiligten - auf Flick, der sich schon erkennbar selbst aus der Schusslinie nehmen wollte, und auf den bisher eher unglücklichen Präsidenten Neuendorf - ist wahnsinnig schnell angestiegen.
Hans-Joachim Watzke soll dann auch dabei sein bei der großen internen Aufarbeitung. Watzke kommt als Chef der DFL und als Vizepräsident beim DFB unter Umständen eine ganz entscheidendes Rolle zu. Die "Bild" berichtete am Samstag bereits von dem Plan, den Dortmund-Boss nahe an der Mannschaft zu platzieren und Bierhoff "nur" noch die Akademie und den DFB Campus als Betätigungsfeld zu überlassen.
Watzke gilt überdies als harter Bierhoff-Kritiker. Auf viele Verbündete wird sich der 54-Jährige beim Treffen in Frankfurt also nicht mehr verlassen können.
Verwendete Quellen:
- Focus.de: "Es wäre sicher hilfreich, volksnäher zu wirken"
- Bild.de: Bierhoff muss gehen!
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